Frostige Zeiten für Obstbauern

In der Schweiz kämpfen Winzer mit Frostkerzen gegen die tiefen Temperaturen. (Rebberg, 28. April)
In der Schweiz kämpfen Winzer mit Frostkerzen gegen die tiefen Temperaturen. (Rebberg, 28. April)APA/KEYSTONE (GIAN EHRENZELLER)
  • Drucken

Frühe Obstblüte. Wer je Nachtfrost im Obstgarten erlebt hat, vergisst das nicht so schnell wieder. Insbesondere, wenn der Obstbauer abenteuerlichste Gegenmaßnahmen ergreift.

Erst der Nachtfrost, dann ein Grab aus schwerem, patzigem Schnee. Im Vorjahr ein Hitzesommer fast ohne Regen, der sowieso schon nachhaltige Schäden auf den Fluren hinterlassen hat: Die Landwirte können einem dieser Tage wirklich leidtun. Zur jetzt schon wirklich sehr lange extrem widrigen Witterung kommen noch dazu: von EU-Sanktionen gesperrte Absatzmärkte bei gleichzeitiger Totalbürokratisierung der Landwirtschaft. Wenn du einen Baum fällen willst, musst du ein Formular ausfüllen.

Die Bauern, so heißt es dann üblicherweise sogleich reflexartig, würden ohnehin alle nur von den Agrarsubventionen leben. Doch ganz so toll kann ihre Situation dann auch wieder nicht sein, wenn täglich mehrere Betriebe das Handtuch werfen, vor allem die kleinen Bauern ihre Höfe verlassen und aufgeben. In den vergangenen 20 Jahren hat das immerhin ein Drittel aller Betriebe getan: zugesperrt.

Wie schmerzlich es ist, wenn sich der Nachtfrost beispielsweise über eine Obstplantage legt, muss man erst einmal erlebt haben, das vergisst man nie wieder. Viele bange Nächte gab es da in meiner Kindheit, viele besorgte Blicke gen Himmel und große Erleichterung, wenn er abends gerade noch rechtzeitig dicht machte, wenn zum Glück Wolken aufzogen und die großväterlichen Marillen-, Birnen- und Apfelbäume vor der Kälte des Weltalls abschirmten. Wir Landmenschen mögen Wolken. Sie sind uns immer willkommen. Nur nicht die gelb geränderten schwarzen an heißen Sommertagen, die bringen den Hagel.

Langjähriger Gefährte

Wenn es uns, den am Grünen Privatvergnügten, einen Garten verhagelt, eine Obsternte abfriert, so ist das zwar schmerzlich, aber was soll's. Wir leben ja nicht davon. Für die Obstbauern bedeuten die letzten paar Tage jedoch weit mehr als finanziellen Verlust. So ein Obstbaum ist ein langjähriger Gefährte, der gepflegt, erzogen, geschnitten, versorgt werden muss. Den stellt man nicht einfach auf den Acker und pflückt dann Äpfel, Birnen und so weiter. Den muss man betreuen, über lange Jahre, und dann erst wirft er Ernte ab.

Die Obstbauern versuchten in diesen vergangenen kalten Nächten noch zu retten, was zu retten war, und spannten die Hagelnetze als Frostschutz auf. Dass gleich darauf der nasse, schwere Schnee kommen und nicht nur diese auch noch ruinieren, sondern ganze Plantagen unter sich begraben und die Äste brechen würde, war wirklich ein extremes Pech.

Mein Großvater selig gab seltsamerweise wenig auf Äpfel. Er war alljährlich viel mehr um seine noch viel empfindlicheren Pfirsiche, vor allem aber um die Marillen besorgt. Ewig blühten diese zu früh, mitunter schon im Februar, wenn sich die Sonne in klaren Phasen tagelang am Südhang anlehnte. Er strich die Stämme weiß, damit sie sich nicht zu schnell erhitzen und in Saft schießen würden. Er probierte verschiedene Marillensorten aus, wobei die Ungarische Rosenmarille das familieninterne Marillenknödelwettessen dank ihres wunderbaren Aromas dominierte. Doch insgesamt blieb die Marillensituation meist unbefriedigend.

Merke: Südhänge auf 420 Meter Seehöhe eignen sich nicht für diese doch eher südlichen Bäume. Man kann sie als Spalierbaum unter einen schützenden Vorsprung stellen, wie das die Tiroler zu tun pflegen. Doch ungeschützte Bäume tragen in solch ungünstigen Lagen nur alle paar Jahre, wenn man wettermäßig Glück hat.

Dieses herauszufordern war meines Großvaters Leidenschaft, und die Marillen waren seine hoffnungslose Obsession. Er besprühte die Blüten mit Wasser, als die sogenannte Frostschutzberegnung in Mode kam. Denn gefrierendes Wasser setzt Kristallisationswärme frei. Das funktioniert jedoch nur bei feinster Beregnung und nicht mit dem Gartenschlauch, wie er feststellen musste.

Eines sehr kalten Frühlingsnachmittags zeichnete sich wieder einmal eine klare Frostnacht und damit das Ende der gerade begonnenen Marillenblüte ab. Die Stimmung ging ebenfalls gegen null. Der Großvater begann, alle verfügbaren metallenen Tonnen durch seine kleine Obstplantage zu rollen und alle Vorräte an brennbaren mineralischen Substanzen hervorzuholen. Welche das waren, will man heute gar nicht mehr wissen. Er kippte jedenfalls reichlich davon in jedes Fass und behielt das Thermometer im Auge.

Nächtens entzündete er dann seine Feuer, um durch Rauch und Qualm für eine isolierende Decke zu sorgen, so wie das dieser Tage die Obstbauern mit angezündeten Heuballen taten. Der nächste Morgen brach kristallklar und eisig an. Die Marillenernte war trotz aller Bemühungen komplett hinüber, das gesamte Areal war dafür mit schwärzlichem Ruß überzogen. Der schwarze Garten, den die Künstlerin Jenny Holzer Jahrzehnte später anlegte, war ein Lichtermeer dagegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.05.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.