Rot ist der Mohn

Strahlend rot auf dem Feld. Kaum gepflückt, lässt der Mohn seine roten Blütenblätter fallen.
Strahlend rot auf dem Feld. Kaum gepflückt, lässt der Mohn seine roten Blütenblätter fallen.Ute Woltron
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Klatschmohn. Diese roten Prachtblüten sind überaus flüchtig, wie jeder erfahren wird, der diese Blume des Feldes pflücken und heimtragen will. Ein Trick hält sie für ein paar Stunden frisch.

Jüngst ward eine kleine Delegation aus der Stadt hierher aufs Land entsandt. Eine Hochzeit stand kurz bevor. Die Braut, sonst bescheidenen Anspruchs, wünschte sich ihren Brautstrauß gespickt mit wildem rotem Mohn. Das Brautkomitee hegte heimliche Bedenken über die Machbarkeit des Unterfangens, man wollte deshalb sicherheitshalber eine Generalprobe wagen – und das zu Recht.

Mohn! Ausgerechnet! Sehr schwierig. Nachgerade unmöglich. Der Klatschmohn, der zurzeit verschwenderisch ganze Landstriche in knalliges Rot taucht, sodass die Leute im Scharen aus ihren Autos springen und die Fotoapparate und Handys zücken, ist die wahrscheinlich flüchtigste aller Blumen. Die Mohnblüte hält auch an der Pflanze nur einen Tag, und noch weit flüchtiger ist sie, wenn man sie erbeuten will. Kaum gepflückt welkt sie auch schon, und bis man mit einem Mohnstrauß in der Hand im Laufschritt vom Feldrain die rettende Vase erreicht hat, hängt er auch schon kläglich da. Kein schöner Anblick und insbesondere für einen Brautstrauß völlig ungeeignet. Zumindest einen Hauch, eine kleine Hoffnung von Ewigkeit sollte der doch in sich tragen.

Nichtsdestotrotz stellten wir uns dem Problem mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, denn Bräute will man glücklich sehen und keinesfalls mit einem schon vor dem Jawort entblätterten Büschel Grünzeug als Brautstrauß. Ein Teil der Delegation wurde denn also mit einem gefüllten Wasserglas in der einen sowie mit scharfen Scheren in der anderen Hand auf die Wiese gesandt, um die dort in luxuriöser Fülle blühende Pflanze zu ernten. Sofort nach dem Schnitt müsse der Mohn ins Wasser, lautete der Auftrag.

Ins kochende Wasser. Der andere Teil erwartete die Blumenpflücker zu Hause und hielt fürsorglich einen in der Zwischenzeit zum Kochen gebrachten Topf Wasser bereit. Ein Teil der Mohnblumen wurde sofort nach Ankunft hitzebehandelt: Die letzten Zentimeter der Blumenstängel kamen für höchstens 20 Sekunden in das fast kochende Wasser und danach sofort in das kühle Nass der Vase. Der zweite Teil kam für Vergleichszwecke unbehandelt in ein identisches benachbartes Gefäß. Dann schauten wir alle auf die Uhr und ließen die Sache vorerst auf sich beruhen.

Während wir nun auch hier auf den Ausgang des Experiments warten, was, wie Sie bereits ahnen, nicht sonderlich lang auf sich warten lassen wird, erfolgt die Erklärung der Methode. Der Mohn gehört zu jenen Pflanzen, die, wie der berühmte Kautschukbaum, Milchsaft bilden. Warum sie das tun, weiß man nicht ganz genau, doch wird angenommen, dass diese besondere Art des Pflanzensaftes einerseits die meisten Fressfeinde aufgrund des bitteren Geschmacks abschreckt. Zum anderen könnte der Saft, der an der Luft aushärtet, als eine Art Wundschutz gegen Pilze und Bakterien dienen.

Ein feines Röhrensystem durchzieht die Pflanze und versorgt sie mit der Flüssigkeit. Die These lautet nun folgendermaßen: Bei Hitzeeinwirkung gerinnt der Milchsaft augenblicklich, die Röhrchen verstopfen, das Pflanzeninnere wird sozusagen konserviert, die Blüten halten länger. Möglicherweise passieren noch ganz andere magische Dinge – wer's weiß, möge sich bitte melden, doch fest steht, dass etwa Sonnenblumen hitzebehandelt in der Vase deutlich länger frisch bleiben. Auch hier unternahmen wir bereits vergleichende Studien, und die Abkochmethode erwies sich als sehr erfolgreich.

Doch zurück zum Mohn. Der unbehandelte Mohnstrauß ließ die ersten roten Blütenblätter praktisch bereits in der Sekunde seines Einfrischens fallen. Zwei Stunden später glich er einem zerrauften Strauß Grashalmen mit ein paar wenigen zerknittert-roten Einsprengseln. Der hitzegeschockte Mohn hingegen war auch nach fünf Stunden noch halbwegs ansehnlich, begann jedoch ebenfalls Anzeichen von Erschlaffung zu zeigen.

Die Idee des mohnseligen Brautstraußes wurde kurz weitergesponnen: Am Hochzeitstag aufs Feld fahren, Thermoskanne mit heißem Wasser mitnehmen, eine Kühltasche für den Weitertransport zum Standesamt. Doch letztlich trug man das Ansinnen zu Grabe und schloss den Ehebund mit robusteren Blumengrüßen.

Wenn Sie auch zur Gilde der begeisterten Blumenpflücker und -arrangeure gehören und gern etwas länger Freude an Wolfsmilchgewächsen, vielen Vertretern der Korbblütler und an Hundsgiftgewächsen haben wollen, nutzen Sie die Heißwassermethode. Dickere Stängel kommen länger und tiefer ins Kochwasser, feine kürzer. Übrigens soll, so berichten kluge Floristinnen, auch das Hitzetauchen von Narzissen sehr hilfreich sein. Ausprobieren!

Klatschmohn. Der Papaver rhoeas wächst weltweit, bevorzugt auf der Nordhalbkugel, ist meist ein-, höchstens zweijährig und blüht vom Mai bis in den Juni hinein. Er mag es sonnig, warm, trocken.

Gartenform. Nicht nur die größeren Verwandten, wie etwa der Schlafmohn Papaver somniferum oder der Türkische Mohn Papaver orientale, gibt es in diversen Zuchtformen, sondern auch den Papaver rhoeas, der dann gern Seidenmohn genannt wird.

Fruchtbarkeit. Eine einzige Mohnkapsel kann bis zu 1000 Samen enthalten, wobei eine einzige Pflanze bis zu 50 Blüten treibt. Ergibt bei einer Keimrate von 85 Prozent unter Idealbedingungen 42.500 Pflänzchen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2016)

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