Sie ist einfach zu ziehen und wirft den ganzen Sommer über Massen an scharf-würzigen Blättern, Blüten und Samen ab. Doch mundet sie offenbar nicht nur menschlichen Gourmets.
Es gibt möglicherweise so viele Gärtnerlegenden wie Gärtner, was unendlich viele Möglichkeiten des Erprobens, Für-gut-Befindens und Wieder-Verwerfens von Ratschlägen ergibt. Eine dieser Legenden behauptet beispielsweise, die scharfblättrige Kapuzinerkresse gehöre zu jenen Pflanzen, die von Schnecken verschmäht würden. Mitunter wird in einschlägiger Literatur sogar angeraten, lebende Kapuzinerkressezäune rund um Gemüsebeete und dergleichen zu ziehen, um die Mollusken von Salat & Co. fernzuhalten. Diese Annahme könnte irriger nicht sein.
Unlängst erst erbrachte eine einzige, sehr fette und selbstverständlich rote Vertreterin ihrer Gattung den Gegenbeweis. Sie drang unbemerkt ins Glashaus ein, wo verschiedene Salatsorten im Jugendstadium und andere Schneckenleckerbissen quasi auf dem Serviertablett lagen. Doch diese verschmähte sie. Sie fraß vielmehr in nur einer Nacht drei bereits gut gewachsene Kapuzinerkressepflanzen kahl. Die Blätter, die sie nicht mehr wegputzen konnte, säbelte sie sicherheitshalber an den Blattstielen ab.
Am Morgen standen drei arme Gerippe da. Am Abend war noch das Gießwasser von vielversprechenden Blättern abgeperlt, denn, ein kleiner Exkurs: Man muss nicht in die Sümpfe Asiens reisen, in denen die Lotosblume beheimatet ist, um den sogenannten Lotoseffekt zu studieren. Man kann diese faszinierende Oberflächenbeschaffenheit genauso an der Kapuzinerkresse beobachten. Die ersten Forschungen bezüglich Selbstreinigung und Nichtbenetzbarkeit erfolgten in den frühen 1970er-Jahren an ihren Blättern. Der Lotos, wenig später ebenfalls Objekt wissenschaftlicher Analysen, war dann offenbar namenstechnisch markttauglicher. Doch zurück in den kapuzinerkressebefreiten Garten.
Nach diesem bacchantischen Mahl war die Schnecke so übersättigt, dass sie sich nicht der Mühe unterzog, Nachtquartier zu beziehen und sich zu verkriechen, was mir die Gelegenheit bot, mich an ihr zu rächen. Keine Details dazu. Der Verlust der ohnehin säumigerweise etwas spät aus Samen gezogenen Kapuzinerkressen ist jedoch aus mehreren Gründen schmerzlich.
Zum einen ist das Tropaeolum, so der botanische Name, eine schmucke, einfach zu ziehende Pflanze, die in jeden Sommergarten und auf Sommerbalkone gehört. Zum anderen schmeckt das in unseren Breiten einjährige Gewächs besonders gut. Zu guter Letzt gilt Kapuzinerkresse als ausgewiesene, jedoch noch zu wenig gewürdigte Arzneipflanze: sie enthält neben Vitamin C auch Substanzen, die die Vermehrung von Bakterien, Viren und Pilzen hemmen sowie die Durchblutung fördern können. Schon die Inkas sollen die ursprünglich in Mittel- und Südamerika beheimatete Pflanze zu Heilzwecken verwendet haben.
Uns interessiert aber an dieser Stelle vor allem das kulinarische Talent der schnellwüchsigen Schönheit. Ihre Blätter schmecken scharf und würzig, und natürlich sind die jungen unter ihnen besonders zart. Doch selbst alte Kapuzinerkresseblätter werden nie so ledrig, dass man sie nicht fein nudelig geschnitten auf Butterbrote und Eierspeisen streuen und in Salate einarbeiten könnte. Zig weitere Verwendungsmöglichkeiten bleiben Ihrer Fantasie überlassen, doch vergessen Sie nicht, unbedingt auch die Blüten zu verzehren.
Achtung vor Bienen. Diese sind etwas weniger scharf, tragen dafür einen Hauch Süße in sich. Oftmals übrigens auch Bienen, deshalb schütteln Sie die Blüten aus, bevor Sie sie in den Mund stecken. Da es seit einiger Zeit schick ist, mit Blüten Salate, Torten und Suppen zu verzieren, dürften Sie beim Kauen von Veilchen, Stiefmütterchen und anderen Blümchen zwischenzeitlich Erfahrung gesammelt haben. Und sollten Sie diese, so wie ich, bisher als wenig berauschend bis erstaunlich geschmacklos befunden haben: Geben Sie auf keinen Fall auf – die Kapuzinerkresseblüten spielen in einer anderen Liga.
Nun hat diese Schnecke natürlich auch die Blütenknospen vernichtet. Das ist ein doppelter Verlust. Denn die Blüten bringen in weiterer Folge Samen hervor, und diese sind ebenfalls eine kleine Geschmackssensation, wenn man sie jung und grün erntet. Sie hängen anfangs zu zweit oder zu dritt am Stiel. Wenn sie sich schon geteilt haben, sind die Samen fast nicht mehr zu beißen, also sollte man sie jedenfalls rechtzeitig ernten. Sowohl Blütenknospen als auch grüne Samen können übrigens als „falsche Kapern“ eingelegt werden.
Die Schnecke hat die heurige Einlegearbeit vereitelt, doch erwiesen sich die drei Kressen als verzeihend und vital, sie haben bereits wieder ausgetrieben. Ob besagter Mollusk ein Gourmet unter den Roten Wegschnecken oder einfach geschmacksverirrt war, kann ich nicht sagen und nicht mehr fragen. Er ruhe in Frieden.
Lexikon
Tropaeolum.Kapuzinerkresse gibt es in zig Sorten, vom 20-Zentimeter-Winzling bis zur Kletterpflanze mit drei Meter langen Ranken. Auch die Blütenfarben variieren stark.
Standort. Sie gedeiht im Schatten sowie in der Sonne, wobei sie im Schatten weniger Blüten ansetzt. Fast jeder Boden ist ihr recht, zu viel Dünger vermeidet aber, wer viele Blüten möchte.
Ernte. Kapuzinerkresse kann man weder trocknen noch einfrieren und auch kaum lagern. Die Zucht ist unkompliziert, gelingt jedem und erfolgt entweder direkt im Beet oder im Topf.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2016)