Keith Richards und die Blüte der Kürbisse

(c) imago/Kickner
  • Drucken

Sie wachsen heuer üppig, wenn sie allein bleiben, tragen sie aber kaum Früchte. Wie man Kürbispflanzen notfalls auch selbst bestäuben kann. Und was man dafür von einem alternden Rolling Stone lernen kann.

Manche Geschichten prägen sich einfach ein. Sie bleiben erinnerlich, ob man will oder nicht. So gab es vor Jahren in einem Hochglanzmusikmagazin einen unvergesslichen Bericht über Keith Richards. Der Gitarrist der Rolling Stones wurde darin nicht, wie üblich, als musikalisches Urgestein und als gnadenloser, ja unsterblicher Drogenkonsument porträtiert, sondern als Gärtner.

Er habe, so stand da zu lesen, neben anderen botanischen Begeisterungen insbesondere seine Leidenschaft für den Pfirsichbaum entdeckt und eigne eine bescheidene Pfirsichplantage auf einem seiner Latifundien. Da es aber dort zu wenig Bestäuberinsekten gebe, greife er selbst zum Pinsel und erledige, auf der Leiter stehend, in kontemplativer Ruhe die Arbeit von Bienen und Co.

Nun, da ich dieses reizende Bild auch in Ihre Köpfe pflanzen durfte, werden möglicherweise auch Sie nie wieder Pfirsichblüten betrachten können, ohne zugleich Keith Richards vor dem inneren Auge zu sehen, wie er da mit dem pollenbestaubten Pinsel bedächtig eine Blüte nach der anderen betupft. Die Zeit der Pfirsichblüte kommt erst wieder, doch angesichts der allerorten aus den engen Gefängnissen ihrer Gärten entweichenden Kürbispflanzen bleibt Keith in Gedanken aus einem bestimmten Grund bei mir. Die Kürbisse sind in diesem extrem feuchten Sommer besonders gut geraten, ja, sie sprengen alle Grenzen. Kürbisranken schlängeln sich quer durch Blumenbeete, durchdringen Gartenzäune und erobern die Gehsteige, sie lugen über Mauern und begraben ganze Sträucherzeilen unter sich.


Der Kürbis liebt Gesellschaft. Speisekürbisse sind große, unternehmungslustige Pflanzen mit vielen großen Blättern und langen Sprossen samt Ranken, dank derer der Kürbis in luftige Höhe klettert, wenn er die Möglichkeit dazu hat. Die Idee, den eigenen Kürbis als Beschattung für das Glashaus heranzuziehen, erwies sich als erfreulich tauglich. Er ergriff, aus diversen strategischen Gründen innen gepflanzt, bereitwillig das zu diesem Zweck dort herabhängende Hanfseil und schwang sich daran bis auf das Dach. Doch wie viele andere derzeit zu beobachtende Kürbispflanzen trägt er wenige Früchte.

Das hat folgenden Grund: Der Kürbis ist einsam. Er liebt Gesellschaft. Überall, wo mehrere Pflanzen gleichzeitig wuchern dürfen, gibt es Kürbisse ohne Ende, weil in diesem Fall die Wahrscheinlichkeit, dass männliche und weibliche Blüten gleichzeitig geöffnet sind und somit eine Befruchtung durch Bienen oder andere Insekten stattfinden kann, viel größer ist.

Zur Erklärung: Die Speisekürbispflanzen sind einhäusig, sie bilden viele männliche Blüten mit Staubgefäßen und deutlich weniger weibliche Pendants mit Fruchtknoten aus. Unterscheiden lassen sich die beiden recht leicht. Die weiblichen Blüten sind oft größer und verfügen über kleine rundliche Fruchtknoten, die, auch wenn noch gar keine Bestäubung erfolgte, wie winzige Kürbisse ausschauen.

Beide Blütenvarianten – und das ist der springende Punkt – sind nur für wenige Stunden aktiv. Die männlichen Blüten fallen rasch ab, auch die weiblichen welken und verdorren, wenn sie nicht bestäubt wurden. Wenn Sie dieses Phänomen am eigenen Kürbis erfahren durften, so pflanzen Sie in der kommenden Saison entweder mehrere Kürbisse in nächster Nähe zueinander. Oder Sie nehmen sich ein Beispiel an Keith und nehmen die Bestäubung sicherheitshalber selbst in die Hand.


Richards-Aktion wirkt erntefördernd.Dazu können Sie zum Marderhaarpinsel greifen, oder Sie brechen einfach eine frische männliche Blüte ab und schütteln sie über den weiblichen aus. Der oft geäußerte Verdacht, es stünden zu wenig Bienen zur Verrichtung dieser Aufgabe zur Verfügung, kann zumindest hier nicht erhärtet werden. In unmittelbarer Umgebung hausen 17 Bienenvölker mit zur Höchstzeit je an die 40.000 Arbeiterinnen. Die Wahrscheinlichkeit, dass in dieser Masse von Bienen keine einzige dabei sein sollte, die der verlockenden Kürbisblüte verfällt, ist denkbar gering. Für die Bestäubung von Kürbisblüten ist es jetzt schon zu spät, die Früchte würden wohl nicht mehr ausreifen. Doch was für den Speisekürbis gilt, kann auf andere Kürbisgewächse wie Zucchini übertragen werden. Auch in ihrem Fall kann eine Keith-Richards-Aktion erntefördernd auswirken.

Apropos: Die Kürbisse brauchen ewig, bis sie reif und lagerfähig sind. Begehen Sie nicht den Fehler, sie zu früh einzulagern. Erst wenn der Stiel dürr ist, was bis in den November hinein dauern kann, wird er abgeschnitten. Leichte Fröste schaden nur dem Kraut, nicht aber der Frucht. Ein kühl und trocken gelagerter Speisekürbis hält gut und gern bis Februar, März, umso schmerzlicher ist die heurige Missernte. Der Pinsel für die kommende Saison liegt jedoch schon bereit.

Lexikon

Speisekürbis. So wie bei den Tomaten gibt es seit einigen Jahren eine erfreuliche, fast explosionsartige Zunahme unterschiedlichster als Saatgut zur Verfügung stehender Sorten aus aller Welt.

Grüner Hokkaido.Unter Fachleuten und Gourmets gibt die außen grüne, innen knallorange Variante der japanischen Kürbisdelikatesse als der beste Speisekürbis überhaupt.

Dünger. Die Annahme, zu gut gedüngter Boden führe zu besagter Missernte, ist unrichtig. Kürbisse brauchen – nebst Bestäubung versteht sich – sogar sehr viel Nahrung, um kräftig zu gedeihen und Früchte auszubilden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.