Die Fliege ist eine Laus

Auf einer Orchidee kam die Weiße Fliege nach Europa.
Auf einer Orchidee kam die Weiße Fliege nach Europa.Ute Woltron
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Weiße Fliege. Eine der Hauptplagen des Glashaus- und Zimmergärtners ist winzig klein, schneeweiß, hat Flügel, sitzt bevorzugt auf den Blattunterseiten und bringt Pflanzen locker um, wenn man sie nicht rechtzeitig bekämpft.

Wir sitzen am Frühstückstisch und beobachten eine Mauerassel, die, wie seinerzeit Zwergenkönig Laurin in seinem Rosengarten, dringend ein Versteck sucht und so gern unsichtbar wäre. Ihre 14 Beinchen sind bewundernswert koordiniert, ihr Ziel ist vorerst unklar. Sie krabbelt verloren im Kreis, steuert schließlich auf Untertassen und Frühstücksteller zu. Sie will in Deckung gehen. Wo sind die herrlichen Pflanzenuntersetzer des Sommers mit dem feuchten, dunklen Kleinklima und all den verrottenden, köstlichen Pflanzenteilen, die man so gern ungestört frisst?

Der Sohn betrachtet erst sie, dann mich mit Abscheu. „Du und deine Pflanzen“, sagt er, „überall steht dieses Zeug herum, das ist ja alles nicht mehr auszuhalten. Bring das Tier weg!“ Die Assel wurde heimatlos, weil der seit vielen Jahren im Herbst immer wieder gefasste Vorsatz, diesmal wirklich nur einen Bruchteil der draußen übersommerten Zimmerpflanzen in die warmen Innenräume zu verfrachten, wieder einmal nur halbherzig umgesetzt wurde. Die Assel reiste als blinder Passagier im Laderaum eines der zahllosen Töpfe – und sie war nicht allein.


Spinnen und Schnecken. Weberknechte staksen umher und suchen Fluchtwege ins Freie. Giftgrüne Blattspinnen seilen sich an silbrigen Fäden von einem Gewächs zum anderen ab. Eine Schnirkelschnecke irrt über die halbquadratmetergroße Weite eines Taro-Blattes, auch kleine Nacktschnecken kriechen aus den Blumentöpfen, weil ihnen hier drinnen alles zu heiß und zu trocken wird. Einsammeln, hinaustragen, kein Problem – die Übersiedlung zurück in den Garten ist erfahrungsgemäß in wenigen Tagen abgeschlossen.

Wir hingegen laufen fürderhin gebückt Slalom zwischen Elefantenfüßen, australischen Zitronenblättern, neuseeländischer Duftmyrte, mexikanischem Pfefferblatt, bis zum Boden hängenden Duftjasminranken – übrigens in voller Blüte – und vielen anderen Exoten, die, wie immer übereilt, vor den ersten herbstlichen Stürmen und Regennächten in Sicherheit gebracht wurden.

Wenigstens ist die Zahl der Kübelpflanzen im Keller überschaubar, und dort fühlen die Asseln sich auch wie zu Hause. Interessante Tiere übrigens, die sich im Lauf ihrer langen Entwicklungsgeschichte zwar an terrestrische Lebensbedingungen angepasst und gelernt haben, Sauerstoff auch über die Luft aufzunehmen, die jedoch immer noch hauptsächlich über Kiemen atmen. Damit das funktioniert, müssen die Atemorgane stets in einen feinen Wasserfilm gehüllt sein, weshalb sie gern im kühlen Feuchten krabbeln, und das sind Bedingungen, die ich ihnen oben weder bieten will, noch kann. Also hinaus mit ihnen.

Wesentlich unangenehmer ist der unfreiwillige Import eines millimeterkleinen und sehr lästigen Insekts, dessen ursprüngliche Heimat die Neue Welt war, das den europäischen Kontinent jedoch bereits rund um das Jahr 1848 erreichte, und das sich seither insbesondere im Kreis der Glashausgärtner und Gurkenzüchter sehr unbeliebt gemacht hat: die Weiße Fliege.

Die kleine geflügelte Laus reiste angeblich auf einer brasilianischen Orchidee nach Großbritannien ein und begann dort mit sofortiger Wirkung die Glashausbetreiber zu ärgern. Mittlerweile ist sie jedem Gartenmenschen bekannt und verhasst: Schwärme weißer Miniaturinsekten umschwirren die befallenen Pflanzen, wenn man an ihnen rüttelt.


Schnelligkeit zählt. Trialeurodes vaporariorum heißt die Gewächshaus-Weiße-Fliege mit wissenschaftlichem Namen, und sie mag es warm und feucht. Wer sie bekämpfen will, muss schnell sein, denn die Läuse vermehren sich hurtig. Erst legt das Weibchen an der Unterseite junger Blätter Eier ab. Viele Eier! Eine einzelne Laus produziert bis zu 600 im Lauf ihres kurzen Lebens. Daraus schlüpfen nach etwa einer Woche die noch flügellosen Larven. Sie werden vier Stadien und eine abschließende Metamorphose durchlaufen, bis schließlich das erwachsene, charakteristisch weiße und geflügelte Tier schlüpft. In allen Phasen wird natürlich äußerst kräftig Pflanzensaft gesaugt. Gurken, Auberginen, Tomaten, Paprika, aber eben auch tropische Zimmerpflanzen werden von den Schädlingen bevorzugt.

Sollten Sie an einer Ihrer Pflanzen weiße Fliegen entdecken, müssen Sie sofort handeln: Aktion Nummer eins ist kräftiges Abduschen in der Brause. Dann folgt eine ungiftige Spritzkur mit der bewährten Lösung von je 30Gramm Spiritus und Schmierseife auf zwei Liter Wasser. Wenn das nicht restlos hilft, wird die Blattunterseite mit einer etwa fünfprozentigen Emulsion von Rapsöl, Wasser und einem Spritzer Spülmittel behandelt. Wichtig: Gießen Sie Ihre Pflanzen im Winter nicht zu viel! Das ist meistens der Grund für einen Befall.

Lexikon

Weiße Fliege. Der Name täuscht, das etwa 1,5 Millimeter kleine, weiße, geflügelte und in Massen auftretende Tierchen ist tatsächlich eine Mottenschildlaus.

Arten. Weiße Fliegen sind hoch spezialisierte Pflanzensauger, es gibt an die 1550 unterschiedliche Arten, von der Eschen-Weiße-Fliege bis zur hierzulande verbreiteten Gewächshaus-Weiße-Fliege.

Schädling. Ein Befall ist nicht nur unappetitlich, er ist auch schädlich. Nicht behandelte Pflanzen können rasch eingehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2016)

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