Brühbare Blüten im Glas

Chrysantheme
Chrysantheme(c) Ute Woltron
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Chrysanthemen. Nur zwei der mehreren Tausend Chrysanthemensorten eignen sich für eine chinesische Kräuterteespezialität, bei der man die getrockneten Blumen im heißen Teewasser ein letztes Mal aufblühen sieht.

Wenn nun der chinesische Dichter Lo Tung zu Wort kommt, so spricht einer der ersten Teemeister der Geschichte und damit ein Mann des Tees im Sinne der Camelia sinensis. Ich betone das, damit später bei den Puristen unter Ihnen nur ja keine Missverständnisse in Sachen echter Tee versus Kräutertee aufkommen. Ende des achten Jahrhunderts besang also besagter Lo Tung den Tee, gebraut aus den getrockneten oder fermentierten Blättern dieser speziellen Kamelienart mit folgenden, fein ziselierten Worten: „Die erste Tasse netzt Lippen und Kehle. Die zweite stärkt das dürr gewordene Fleisch. Die dritte verscheucht die traurige Einsamkeit. Die vierte Tasse durchdringt dein ganzes Inneres. Bei der fünften bist du geläutert. Die sechste ruft dich in die Regionen der Unsterblichkeit. Die siebente Tasse, so du zum Munde führst, lässt frische Lüfte dein Haupt umsäuseln und deinen Geist zum kühnen Fluge sich erheben.“

Das wollen wir auch erleben! Kühne Geistesflüge mit Tee allein, so ganz ohne Jaga? Das entspricht nicht unserer vergleichsweise ins Barbarische abgeglittenen mitteleuropäischen Tradition.

Als der Teemeister sein Gedicht niederschrieb, war China seit 1000 Jahren Kaiserreich. Die Morallehren des Konfuzius hatten über 1300 Jahre Zeit gehabt, die chinesische Gesellschaft zu prägen. Die Nachbarn waren im Industal ebenfalls nicht faul unter Mangobäumen herumgelegen, sondern hatten eine Kultur erarbeitet, deren Dimension sich Archäologen und Historikern gerade erst zu erschließen beginnt.

In Europa hingegen begannen die christlichen Mönche des frühen Mittelalters gerade eben, die gedanklichen Höhenflüge der griechischen Philosophie wieder aus den Pergamenten zu kratzen. Insbesondere die ketzerischen Ideen der Atomisten, die das Universum wenig bibeltreu nicht als Schöpfungsakt, sondern aus kleinen Teilchen zusammengesetzt sahen, mussten zum Teufel geschickt werden, wo sie nach Meinung der Kirche ja auch herkamen.

Nur verschlungenen Umständen ist es zu verdanken, dass wieder ein paar hundert Jahre später einige wenige überlieferte Schriften, die übersehen und nicht vernichtet worden waren, gefunden, gerettet, aufbewahrt und in der Geburtsstunde der Renaissance der Öffentlichkeit überantwortet werden konnten. Gott sei Dank, ist man versucht auszurufen, wenn es nicht exakt um das Gegenteil ginge!

Vom Tee und seiner Herstellung, vom Fermentieren der Kamelienblätter hatte man damals in Europa noch keine Ahnung. Wohl aber trank man Kräutertees, und dieser lange Einstieg in die wunderbare Welt der aufgebrauten Blätter und Blüten soll lediglich in Erinnerung rufen, dass an vielen Ecken und Enden dieses Globus beeindruckende Kulturen gekommen und gegangen sind, nicht nur hier im alten Europa.

Zurück in China können wir, da echter Tee teuer war, gleich viele Pflanzen studieren, die von den einfachen Menschen, also Leuten wie unsereiner, in den Gärten zu diesem Zweck gezogen wurden. Eine davon wird nun ins Rampenlicht gerückt, denn zum einen ist sie eine Besonderheit, und möglicherweise nicht vielen von Ihnen bekannt. Zum anderen hat sie in den kühlen Tagen des Herbsts ihren Auftritt: die Chinesische Teechrysantheme.

Spätzünder. Wie alle Chrysanthemen ist auch sie eine der letzten Blumen des Jahres. Die elegante Pflanze ist eine kühle Schönheit, die während der heißen Jahreszeit an schattigem, nicht zu trockenem Standort wächst. Dort sammelt sie mittels dunkelgrünen Laubs Kräfte für den fulminanten Blütenflor.

Nur zwei der Tausenden Chrysanthemensorten werden für die Teezubereitung verwendet: Ihre Vermehrung erfolgt vegetativ, also durch Teilung oder Stecklinge und nicht durch Samen. Sollten in Ihrem Garten diverse Chrysanthemen wachsen – kosten Sie sie nicht, besorgen Sie sich lieber über den Fachhandel die richtigen Sorten, denn manche sind leicht giftig.

Der Chrysanthementee wird aus getrockneten Blüten gewonnen und ist, laut Fachliteratur auch heute noch der beliebteste Kräutertee der südchinesischen Provinzen. Die Blüten werden gesammelt, wenn sie sich gerade geöffnet haben, und sie sollten möglichst schnell, doch nicht zu heiß, getrocknet werden. Am besten funktioniert das mit einer Darre mit Temperaturregler.

Beim Trocknen ziehen sich die Blüten zusammen, um dann im heißen Wasser gewissermaßen wieder aufzublühen, weshalb eine chinesische Kräuterhexe meinte, man dürfe Chrysanthementee immer nur in einem Glas trinken, denn der Anblick der wieder auferstandenen Blüten sei ein wesentlicher Teil des Genusses. Süßlich, leicht bitter, insgesamt unbeschreiblich wie alle Geschmäcker, so rinnt der Chrysanthementee durch die Kehle.

Lexikon

Chrysanthemen.
Teechrysanthemen sind bestimmte Sorten, die alle aus Asien stammen und Ende des 17. Jahrhunderts in Europa eingebürgert wurden.

Sorten.
Bai Ju Hua heißt die weiß blühende, Huang Ju Hua die gelb blühende Sorte.

TCM
Chrysanthemenblüten sind nicht nur Hausmittel, sondern werden auch in der Traditionellen Chinesischen Medizin eingesetzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2016)

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