Der Kartoffelbefehl für Dahlien

(c) Ute Woltron
  • Drucken

Kartoffeln kennt jedes Kind, doch wer weiß, dass die Dahlie in der noch nicht entdeckten Neuen Welt genauso gern gegessen wurde wie der Erdapfel? Ein Selbstversuch.

Ob folgende Geschichte erfunden oder wahr ist, weiß man nicht genau. Doch ist sie amüsant und bezeichnend für das menschliche Gemüt, deshalb wird sie hier nochmals berichtet: Als Friedrich der Große im Jahr 1740 sein Regentenamt antrat, herrschte Hungersnot in Preußen. Knapp 200 Jahre zuvor, zumindest das ist als Tatsache dokumentiert, war mit der Kartoffel jenes bis dato unbekannte Nachtschattengewächs aus der Neuen Welt nach Spanien gekommen, das das gesamte künftige Ernährungswesen Europas gründlich verändern würde. Doch das wusste man damals noch nicht. Friedrich der Große war einer der wenigen, die es zumindest ahnten.

Die Kartoffel war um 1580 aus Spanien über Frankreich bis nach Sachsen gereist und schließlich in Preußen gelandet. Man unterhielt damals noch die Dreifelderwirtschaft, und die sah vor, dass jedes Jahr ein Teil des Ackers brachlag. Was schon allein eine Missernte bedeuten konnte, darf man sich also leicht ausmalen.

In seinen berühmten Kartoffelbefehlen dekretierte der Alte Fritz, die von ihm verteilten Saaterdäpfel seien, und da führe kein Weg daran vorbei, in die brachliegenden Äcker zu setzen: „Es ist von uns in höchster Person in unseren anderen Provinzen die Anpflanzung der sogenannten Tartoffeln, (SIC!) als ein sehr nützliches und sowohl für Menschen als Vieh auf sehr vielfache Weise dienliches Erd-Gewächse, ernstlich anbefohlen.“

Da die Untertanen dem fremdartigen Zeug misstrauten und die Befehle missachteten, soll der Monarch zu einem militärischen Trick gegriffen und manch Feld von Soldaten bewachen haben lassen. So, als ob schieres Gold dort im Boden läge, das zu stehlen einem Landesverrat gleichkäme. Nach immerhin 15 erlassenen Kartoffelbefehlen und diversen bewachten Kartoffeläckerchen samt neugierig grabendem nächtlichem Diebsvolk setzte sich der Erdapfelanbau zögerlich durch. Soweit die Anekdote.

Während die Kartoffelernte Ende Oktober längst abgeschlossen ist, reift heimlich unter der Erde eine weitere Gabe der Neuen Welt heran, von der wir Europäer auch ein halbes Jahrtausend nach der Entdeckung des Kontinents nach wie vor keine Ahnung haben. Wir wissen immer noch nicht, dass wir nichts wissen, auch wenn wir es vielleicht wenigstens ahnen.

Denn mit der Kartoffel schipperten die Spanier jede Menge weiterer Pflanzen über den Ozean. Die einen konnte man essen, etwa Paradeiser, Mais, Kürbis, Paprika und Chili, Bohnen, Topinambur, Süßkartoffel, Vanille und Kakao. Die anderen wollte man anschauen, wie zum Beispiel Petunien, Zinnien, Sonnenhut, Fuchsie, Weihnachtsstern, Sonnenblume, Kapuzinerkresse und Dahlie – angesichts Letzterer wird offenbar, dass manches nicht nur schön, sondern auch köstlich sein kann.


Dahlien im Gemüsegarten

Sonnenblumen spenden als Nutzpflanzen auch Kerne und Öle. Kapuzinerkresse aus dem Blumentopf schmeckt ausgezeichnet und ist noch dazu gesund. Doch für die absolute Überraschung sorgte die Dahlie. Da sich in den vergangenen Jahren unter den Unternehmungslustigen der Branche die Gerüchte verdichtet hatten, dass deren Knollen nicht nur genießbar, sondern sogar kulinarisch hochstehend seien, war ich ab Frühjahr bereit, der Sache auf den Grund zu gehen, und setzte mehrere Dahlien.

Historische Quellen berichten über den Gebrauch von Dahlienknollen in der aztekischen Küche, der hierzulande jedoch in Vergessenheit geriet. Die Dahlienblüte ist so schön, man schlachtet diese Pflanze einfach nicht so mir nichts, dir nichts. Doch in Mexiko bauen die Leute auch heute noch Dahlien im Gemüsegarten an.

Obwohl die zur Verfügung stehenden Dahliensorten auf schöne Blüten und nicht auf guten Geschmack gezüchtet wurden, war der Selbstversuch ein absoluter Erfolg. Die abgebürsteten, weichgekochten und geschälten Knollen schmeckten warm, vor allem aber ausgekühlt, ausgezeichnet, vergleichbar einem Hybrid aus Spargel, Schwarzwurzel und einem Hauch Topinambur.

Empfehlenswert sind die zarten jungen Knollen, die älteren neigen zur Fasrigkeit. Auch roh waren die geraspelten Dahlien ein Genuss. Nächstes Jahr steht der Gemüsegarten mit Sicherheit im Zeichen bunter Dahlienzeilen, denn dem Vernehmen nach schmecken die Sorten unterschiedlich. Die besten sollen Kaktus- und Anemonendahlien sein. Falls sich mexikanische Köche oder Gärtner mit Dahlieninsiderwissen unter Ihnen befinden, bitte leisten Sie doch unter ute.woltron@diepresse.com Entwicklungshilfe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.