Chilis: Vorfreude in der Kälte

Reuters
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Die lateinamerikanischen Paprikavertreter sind die ersten Pflanzen des Gemüse- und Balkongartens, die im Winter angesät werden müssen, um rechtzeitig auszureifen.

Ziemlich viele von uns feiern dieser Tage rotwangig vor Freude den Beginn der heurigen Gartensaison mit folgendem traditionellen Akt: Falls wir über eine Gartenhütte verfügen, stemmen wir uns gegen eisige Winde und arbeiten uns mit Schaufeln durch den Schnee in ihre Richtung vor. Drinnen angekommen hängt es von unserer Veranlagung in Sachen Ordnung ab: Einige wenige Vorbilder haben ihre Miniglashäuser sofort griffbereit. Wir anderen müssen ein wenig wühlen und natürlich auch nach den passenden Töpfen und Schalen zwischen dem üblichen Gerümpel graben. Sobald wir alle Utensilien an uns gerafft, von Spinnweben und eingetrockneten Erdkrusten befreit und wie jedes Jahr geschworen haben, heuer endlich ordentlicher zu werden, streben wir wieder der Wärme unserer Behausungen zu. Nun wird – ebenso je nach Veranlagung – unter Produktion mehr oder weniger skandalöser Verdreckung von Tisch und Boden Anzuchterde in Schalen und Töpfchen gefüllt und leicht festgedrückt.

Rund, länglich, glockenförmig. Der Höhepunkt: Die Samen möglichst vieler, meist viel zu vieler, ganz unterschiedlicher Chilisorten – große, kleine, rote, schwarze, gelbe, lila gefärbte, runzlige, längliche, runde, glockenförmige, milde, süße, höllenscharfe – werden in der Erde versenkt. Danach wird sanft angegossen, alle Gefäße werden beschriftet, mit dem Glashausdach überstülpt, an einen warmen, hellen Ort gestellt und fürderhin täglich andächtig betrachtet.

Bis die ersten Pflänzchen die Erdoberfläche durchbrechen, kann es zwei oder mehr Wochen dauern. Und die kleinen Chilis wachsen nur langsam. Sie haben eben eine lange Vegetationszeit, die botanischen Lateinamerikaner, so sind sie halt. Deshalb sind die Vertreter der heißen und so beliebten Gattung Capsicum stets die ersten Pflanzen des Gemüse- und Balkongartens, die bereits im tiefsten Winter angesät werden.

Über Vorzüge einzelner Chilivarianten zu schreiben wäre äußerst riskant und würde nur Unruhe stiften. Denn die Chili-Anhängergemeinde ist groß und tiefgläubig, insbesondere an die eigene Fachkompetenz, und in derlei Spezialistentum sollte man sich gar nicht einmengen, zumal die Geschmäcker bekanntlich verschieden sind. Außerdem gibt es geschätzte 10.000 Chilisorten und wohl niemanden, der die alle durchgekostet hat.

Ein unverfänglicheres Thema ist die Systematik der fünf domestizierten Chilihauptarten, deren Unterschiede haben eventuell noch nicht alle gründlich durchstudiert. Da wäre einmal die größte Gruppe, Capsicum annuum. Der Gemüsepaprika gehört hier dazu, aber auch der fleischige, scharfe Jalapeno und der Cayenne-Pfeffer.

Alle sind mehrjährig. Der Namenszusatz annuum suggeriert zwar Einjährigkeit, doch das stimmt nicht: Alle Chilipflanzen sind mehrjährig, manche von ihnen werden sogar bis zu 15 Jahre alt, wie etwa diverse Sorten von Capsicum pubescens. Die sind hierzulande allerdings noch kaum verbreitet und weitgehend unbekannt. Die sogenannten Baumchilis mit ihren flauschig behaarten Blättern werden mehrere Meter hoch, verholzen und eignen sich gut für unsere kühleren Breiten: Sie tragen am besten, wenn die Temperatur in der Nacht deutlich absinkt.

Meist ebenfalls groß, und zwar bis zu über zwei Meter, wachsen die Vertreter von Capsicum baccatum. Capsicum chinense sind fast alle besonders scharf. Auch sie tragen eine irreführende Bezeichnung, denn sie stammen nicht aus China, sondern ebenfalls aus Südamerika. Die allseits sehr beliebten Habaneros gehören zu dieser Gruppe. Capsicum-frutescens-Sorten tragen kleine, schmale, längliche Früchte, die lustig nach oben wachsen, wie beispielsweise die Tabasco- und die Bird's-Eye-Chilis.

Die echten Freaks überwintern ihre Pflanzen im Topf, was je nach Sorte einmal besser, einmal weniger gut gelingt. Die größten Erfolge erzielen jene, die ihnen einen bei um die 15 Grad relativ kühlen, doch sehr hellen Platz zur Verfügung stellen können – und sich mit dem Gießen heftig einbremsen. Nur ganz wenig Wasser wird jetzt benötigt. Wer zu viel gießt, wird mit sofortigem Befall von Weißer Fliege abgestraft.

Eigentlich ist das Überwintern aber eine Liebhaberei und angesichts der verheißungsvollen Sortenvielfalt, die zum Durchprobieren verlockt, nicht notwendig. So viele Schönheiten sind darunter. Für Empfindliche: Wer es nicht so gern zu scharf hat, wird mit fruchtig-milden Sorten wie etwa Aji dulce, Ancho oder der fast schwarzen Pasilla Bajio glücklich.

Lexikon

Capiscum. Bezeichnet die Gattung Paprika, die aus Mittel- und Südamerika stammt und seit zumindest 7000 Jahren kultiviert wird.

Capsaicin. Das ist der Stoff, aus dem die Chilischärfe gemacht ist. Diese wird in Scoville-Einheiten gemessen. Zu den schärfsten Sorten zählen Habaneros- und Buht-Jolokia-Varianten.

Anbau. Magere Erde, wenig Wasser, dafür viel Licht und viel Wärme sind die wichtigsten Zutaten für die meisten Chilisorten. Die Samen keimen am besten bei Temperaturen zwischen 24 und 30 Grad. Bis die ersten Pflänzchen die Erdoberfläche durchbrechen, kann es zwei oder mehr Wochen dauern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2017)

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