Gartenkralle

Schuppige Memorabilia

Manche Leute sammeln eben verschiedene Zapfen.
Manche Leute sammeln eben verschiedene Zapfen.(c) Ute Woltron
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Zapfen. Derzeit klauben Bockerlsammler den Unterzund für winterliche Kaminfeuer in den Kiefernwäldern auf, doch manche Zapfenexemplare sind zu schade für das Feuer.

Andere Leute sammeln Zinnkrüge, Fingerhüte oder Bodenvasen. Ich sammle Zapfen. Sicherheitshalber ein kleiner botanischer Exkurs zum besseren Verständnis der Begrifflichkeit: Der Ausdruck Zapfen bezeichnet die meist weiblichen Blütenstände der Pflanzengruppe der Koniferen, auch Nadelgehölze genannt. Die haben die Eigenschaft, entweder ganz oder zumindest teilweise zu verholzen, und diese Zapfen können je nach Provenienz faszinierende dauerhafte Skulpturen ausbilden.

Die hierzulande bekanntesten Zapfen sind natürlich die von Fichten und Tannen, wobei die einerseits formal wenig aufregend sind und wir alle andererseits spätestens seit Ende der Volksschule vergessen haben, worin sie sich eigentlich unterscheiden. Darf ich Ihnen also bitte zumindest vorübergehend auf die Sprünge helfen: Fichtenzapfen hängen an den Ästen. Sie fallen ab, können aufgeklaubt und von meist männlichen, fadisierten, weil zum Spazierengehen gezwungenen Kindern wie Zeppelingeschosse durch die Luft katapultiert werden.

Tannenzapfen hingegen stehen aufrecht wie Christbaumkerzen auf den Ästen und fallen nur in Form einzelner Schuppen ab, weshalb auf Waldböden herumliegende ganze Zapfen immer nur Fichtenzapfen sein können. Diese brennen übrigens nicht gut bis gar nicht, was einerseits Zentralheizungsverwöhnten komplett egal sein kann, was sie andererseits aber auch für kluge Holzofenbesitzer völlig uninteressant macht. Denn diese wenden sich zum Anzünden ihrer Feuerchen vielmehr den köstlich harzhaltigen Kiefernzapfen zu.


Statt stinkender Anzündhilfen. Die je nach Region Bockerln, Tschurtschen oder Tatschen genannten rundlichen Föhrenzapfen sind der allerbeste Unterzund für Feuerlheizer, und dieser Tage werden sie in den herbstlichen Kiefernwäldern von denjenigen in Vorbereitung auf den Winter aufgeklaubt und in Säcken heimgetragen, die das noch wissen und sich stinkende, von der Mineralölindustrie bereitgestellte Anzündhilfen ersparen wollen.

So, damit hätten wir nun die heimische Zapfenwelt fürs Erste abgehandelt und können uns endlich exotischeren Gefilden nähern. Das absolute Prachtstück meiner Zapfensammlung stammt aus Australien und ist eine gut 35 Zentimeter lange, steinharte Samenhülle eines immergrünen Baumes, der genau genommen gar keine Koniferenart ist, aber egal. Denn die kompakten, schweren Zapfen der Banksia dentata sind in anderer Hinsicht hochinteressant.

Sie benötigen die Hitze eines Buschbrandes, um sich zu öffnen und die darin befindlichen Samen freizugeben. Nur wenn der Boden durch ein Feuer aufbereitet und fruchtbar gemacht wurde, gibt die Pflanzen sozusagen ihren Nachwuchs auch preis, die Zapfen springen auf, und die geflügelten Samen werden in der Folge vom Wind vertragen.

Ein Paradies für Zapfensammler sind selbstverständlich mediterrane Gegenden, in denen beispielsweise Zypressen ihre kleinen kugeligen Zäpfchen ausbilden. Zwei Jahre brauchen sie, um auszureifen, und oft bleiben sie jahrelang geschlossen, denn auch sie öffnen sich vorzugsweise erst nach einer Feuersbrunst.

Ein solches Zäpfchen befindet sich ebenfalls in meiner Sammlung, und bei seiner Betrachtung wird die Erinnerung an eine vor langen Zeiten an einem Sommertag in einer kleinen toskanischen Kirche geschlossene Ehe wach. Das Kirchlein stand auf einem Hügel. Rundherum gab es nur Felder und flirrende Hitze. Die wohlondulierte Festgemeinde hatte sich im Schatten einer Zypressenreihe versammelt und wartete in verschwitzter Auflösung auf den Pfarrer.

Seine verspätete Ankunft kündigte sich durch eine beachtliche Staubfahne an, die sich über die gewundene, ungepflasterte Zypressenallee in rasantem Tempo dem Ort des Geschehens näherte. Der Gottesmann fuhr, wie könnte es anders sein, in einem betagten Fiat vor, dem er nach einem filmreifen Einschleifen und Zum-Halt-Bringen spindeldürr und hochbetagt samt Soutane und brennender Zigarette im Mund entsprang. Die Ehe ward ordnungsgemäß geschlossen, der Zapfen zur Erinnerung aufgeklaubt und in das Schatzkästchen der Zapfenerinnerungsstücke gelegt.


Pinienzapfen vom Friedhof. Eine weitere Memorabilie ist der große Zapfen einer Pinie, die auf dem prachtvollen protestantischen Friedhof Roms wächst – das besonders schöne Stück wurde auf dem Grab John Keats', des britischen Dichters der Romantik, aufgeklaubt. Apropos Pinien: Abgesehen davon, dass die Zapfen des mediterranen Gewächses besonders groß und schön sind, enthalten sie bekanntlich auch noch die höchst aromatischen Kerne, ohne die kein anständiges Pesto zubereitet werden kann.

Die Pignole aus selbst aufgeklaubten Pinienzapfen herauszukitzeln ist mir bis dato zwar nicht gelungen, doch Pinienzapfen sonder Zahl zieren mein Zapfenarrangement, manche davon fragwürdiger Provenienz: Als die Nachbarin einst einen ausgedehnten Spaziergang unternahm, erblickte sie am Rand eines Gartens der Umgebung eine große Pinie, oder – um genau zu sein – eine Pinus nigra, die enge verwandtschaftliche Beziehungen zur toskanischen Variante pflegt. Letztere ist nicht, Erstere sehr wohl in unseren Breiten winterhart.


Der einzige verbliebene Zapfen. Der Baum streckte ein paar Äste über den Gartenzaun. An einem von ihnen sah die Nachbarin einen feschen großen, jedoch noch nicht geöffneten Pinienzapfen, und da er ihr gefiel, pflückte sie ihn kurzerhand ab. Als sie jedoch den Blick über den restlichen Baum schweifen ließ, bemerkte sie zu ihrem Entsetzen, dass dieser Zapfen der einzige gewesen war. Das schlechte Gewissen nahm dermaßen von ihr Besitz, dass sie das Diebesgut sofort verschenkte, und zwar an mich, die ich den Zapfen im Meer der anderen versenken durfte.

Lexikon

Zapfen. Echte Zapfen, das wissen botanisch Bewanderte, werden nur von Koniferen ausgebildet, obwohl auch viele andere Pflanzen zapfenähnliche Blüten oder Fruchtstände tragen.

Architektur. Die Konstruktion des Zapfens besteht aus der Spindel und den darum gruppierten Zapfenschuppen. Diese können gegenständig oder spiralig angeordnet sein. Das Pinienornament der Architektur heißt übrigens Zirbelnuss.

Pollenzapfen. Neben den weiblichen gibt es logischerweise mit den Pollenzapfen auch die fast immer kleineren, filigraneren männlichen Varianten, die jedoch meist nicht verholzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2017)

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