Frust über das System: Österreichs Ärzte auf der Flucht

Frust ueber System oesterreichs
Frust ueber System oesterreichs(c) Erwin Wodicka - wodicka@aon.at (Erwin Wodicka)
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Rund 700 Mediziner verlassen Österreich jedes Jahr, um im Ausland zu arbeiten. Bessere Bedingungen und eine höhere Bezahlung sind Motive dafür, aber oft auch Frust über das System.

Wenn sich in Österreich nichts ändert, werden bald alle davongelaufen sein“, sagt Sebastian Leibl. Der 40-Jährige selbst ist schon weg. Seit Dienstag ist er in Zürich, schraubt dieser Tage Möbel in seiner neuen Wohnung zusammen – und tritt am 1.November seinen Job an der Uniklinik Zürich an. Und nicht nur er – auch seine Frau Manon, ebenfalls Ärztin, hat es in Österreich nicht länger ausgehalten und beginnt nun auch, in der Schweiz zu arbeiten. „Wenn ich Ärztekollegen davon erzählt habe, dass wir weggehen, haben sie alle gratuliert“, sagt er, „und gemeint, dass sie das auch schon machen hätten sollen.“

Der Frust sitzt tief bei vielen Medizinern in Österreich. Und der Gedanke, das Land zu verlassen, ist fast schon allgegenwärtig – zwischen 600 und 700 setzen ihren Gedanken auch jedes Jahr um. Schlechte Arbeitsbedingungen, unterdurchschnittliche Bezahlung und wenig Aufstiegschancen – das sind die Punkte, über die viele frustrierte Mediziner klagen. Dazu kommt eine im Vergleich zu anderen Ländern ungleich längere Ausbildung, ehe man tatsächlich seinen Beruf als Arzt ausüben kann.


Bis zu 80 Stunden Arbeit. Bei Sebastian Leibl und seiner Frau kamen all diese Dinge zusammen. 70 bis 80 Stunden Arbeit in der Woche waren die Regel, sie litt unter den sieben bis acht Nachtdiensten pro Monat, in denen an ruhige Momente oder gar Schlaf nicht zu denken war. Er wiederum verzweifelte vor allem an dem, was er als „das System“ bezeichnet: „Führungspositionen werden entweder mit voller Absicht an mittelmäßige und oft noch dazu sozial völlig inkompetente politische Günstlinge vergeben“, klagt er verbittert. Dass Ärzte in Krankenhäusern während ihrer Dienstzeit für ihre privaten Praxen arbeiten, sei üblich und bekannt – und die Politik schaue nur weg. Externe Experten, die am System etwas ändern könnten, würden ausgehebelt oder vergrault. Und auf diese Weise blieben viele Stellen unerreichbar – was mehr oder weniger explizit auch gesagt werde. Ihm selbst sei etwa in Wien mitgeteilt worden, dass er sich zuerst bei seinen Kollegen anbiedern möge – als Grazer Universitätsdozent hafte ihm ein Stallgeruch an.

Ärztemangel droht. Dass der Frust mittlerweile groß ist, hat sich in der Zwischenzeit auch unter den für die medizinische Versorgung Verantwortlichen herumgesprochen. Und auch, dass die Abwanderung gemeinsam mit weiteren Faktoren schon bald zu einem Ärztemangel führen könnte. Eine im Juli präsentierte Studie im Auftrag von Ärztekammer, Gesundheits- und Wissenschaftsministerium zeichnete das Szenario, dass im Jahr 2030 bis zu 10.000 Mediziner fehlen könnten. Zwar hat Österreich mit 1,5 Allgemeinmedizinern pro 1000 Einwohnern noch eine verhältnismäßig hohe Ärztedichte (der OECD-Durchschnitt liegt bei 0,9), doch eine Pensionierungswelle bei den derzeit tätigen Ärzten könnte für eine massive Ausdünnung sorgen.

Vor allem auch deswegen, weil von den Universitäten nicht genügend Nachwuchs kommt. Und weil sich, auch das ist ein Ergebnis der Studie, ein gar nicht so kleiner Teil der Studenten schon mit dem Gedanken trägt, nach dem Studium ins Ausland zu gehen. Was bei den deutschen Studierenden nicht so sehr verwundert – etwa drei Viertel von ihnen möchten außerhalb Österreichs ihren Beruf ausüben. Doch auch ein Viertel der heimischen Studenten möchte sich nicht mit den österreichischen Verhältnissen herumschlagen. Ihr Hauptargument für den Weg ins Ausland ist die lange Turnusausbildung. Sie führe international zu Wettbewerbsnachteilen, sei qualitativ schlecht und unterbezahlt. Außerdem, so die Klage, seien die Wartezeiten auf einen Turnusplatz viel zu lang.

So zieht es viele Jungmediziner schon bald nach Ende des Studium ins Ausland. Matthias Hasun ist einer von ihnen. Weil er lange keinen Ausbildungsplatz bekommen hätte, ging der Niederösterreicher nach Zürich. 15 Monate arbeitete er dort in der klinischen Forschung und in einer Ambulanz, später wechselte er an eine kleine Klinik für eine Ausbildung zum Internisten. „Den Turnus habe ich mir damit gespart“, sagt er. Es sei eine gute Entscheidung gewesen, in die Schweiz zu gehen. Er habe viel gelernt, wichtige Erfahrungen gemacht. Doch auf der anderen Seite zog es ihn doch wieder nach Österreich. Zur Familie, zur Freundin, zum gewohnten Umfeld – und so kam er nach knapp zweieinhalb Jahren wieder zurück.


Flache Hierarchien. Mittlerweile hat er einen Job in der Wiener Rudolfsstiftung gefunden und wirkt recht weit davon entfernt, mit seiner Situation unzufrieden zu sein. Gut, die Ausbildungszeit in der Schweiz muss ihm erst noch angerechnet werden – und noch steht die Entscheidung der Ärztekammer darüber aus. Außerdem gebe es natürlich ein paar Unterschiede: So seien etwa die Hierarchien in der Schweiz viel flacher. Und auch die Bezahlung sei dort deutlich höher als in Österreich. „Aber dafür ist auch alles viel teurer“, sagt Hasun. „Und unter dem Strich kommt circa dasselbe raus.“

Arzt im Exil

Sebastian Leibl (40)ist Mitte Oktober in die Schweiz ausgewandert. Er und seine Frau Manon, ebenfalls Ärztin, waren mit der Situation des Gesundheitswesens in Österreich unzufrieden.

Dienstort Schweiz.Nur ein Drittel der zweitausend Ärzte, die jährlich zugelassen werden, haben ihr Studium in der Schweiz absolviert. Von fast 31.000 registrierten Ärzten kommen knapp 8000 aus dem Ausland – rund 400 davon sind Österreicher. Ende der Neunzigerjahre hatte die massive Einwanderung vor allem deutscher Ärzte zu einem Überangebot geführt – die Unis reagierten mit dem Numerus clausus. Und so werden die Ärzte für die Schweiz nun aus Deutschland oder Österreich rekrutiert. Klausnitzer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2012)

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