Schlaganfall: Immer mehr Jüngere betroffen

(c) REUTERS (CHRIS HELGREN)
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Täglich sechsmal ereignen sich in Österreich Schlaganfälle bei Menschen unter 50. Mitunter liegen die Wurzeln des Übels bereits im Kindesalter. Doch: Der Hirninsult ist kein Schicksal, es gibt Möglichkeiten, sich zu wehren.

Ein 42-jähriger Manager, mitten im Leben. Ein Schlag und alles ist anders, nichts mehr wie es war. Der Mann bleibt nach dem Schlaganfall schwer behindert. „Bleibende Behinderungen bei jüngeren Schlaganfallopfern sind zwar eher selten, die Zahl der unter 50-Jährigen, die einen Hirninsult erleiden, aber steigt“, weiß Wilfried Lang, Vorstand der Neurologie am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien. Ungefähr sechs juvenile Schlaganfälle ereignen sich in Österreich pro Tag.

Brandgefährlicher Bluthochdruck

Mit Schuld daran ist der Lebensstil: viel Stress, wenig Bewegung, Übergewicht, Diabetes, Rauchen, Bluthochdruck. Hypertonie ist eines der größten Risikos für einen Schlaganfall. „Senkt man den systolischen Blutdruck auch nur um zehn Prozent, also beispielsweise von 160 auf 150, reduziert man damit das Schlaganfallrisiko gar um 30 Prozent“, betont Herbert Watzke, Leiter der Palliativabteilung der Universitätsklinik für Innere Medizin in Wien und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Innere Medizin. Die Crux dabei: Österreicher unter 50 kümmern sich kaum um ihren Blutdruck, Hypertonie tut ja zunächst nicht weh.

Risikofaktoren schon bei Kindern

Schon Kinder aber weisen erhöhte Blutdruckwerte auf, vor allem fettleibige. Starkes Übergewicht wirkt sich schon bei den Kleinen schlecht auf Herz und Gefäße aus. „Bleiben diese Risikofaktoren über die Jahre hinweg erhalten, steigt die Gefahr, im Erwachsenenalter einen Schlaganfall oder Herzinfarkt zu erleiden, um 30 bis 40 Prozent“, heißt es im „British Medical Journal“.

Schlaganfall, die dritthäufigste Todesursache, ist also nicht schicksalhaft. „Es gibt die Möglichkeit, sich zu wehren, von Kindesbeinen an“, sagt Artur Wechselberger, Allgemeinmediziner und Präsident der österreichischen Ärztekammer. Potente Waffen im Kampf gegen den Hirninsult sind also Gewichtsabnahme, regelmäßige Bewegung, Blutdruckkontrolle und bei Bedarf Therapie, Nikotinverzicht und im Falle eines Vorhofflimmerns entsprechende Medikation. Solchermaßen könnten extrem viele von den mehr als 25.000 jährlichen Schlaganfällen mit 5000 Todesopfern in Österreich verhindert werden. Man ist nie zu jung und nie zu alt dazu.

Neben dem Lebensstil gibt es noch eine wichtige Komponente, die da heißt: ernst nehmen. Das sogenannte Schlagerl – also nur kurzzeitige Sprachstörungen, nur vorübergehende Lähmung eines Arms, die Doppelbilder sind gleich wieder weg – wird so gern verharmlost. Ist ohnehin bald wieder alles in Ordnung, ist eh' nur eine kleine Kreislaufschwäche, man geht zur Tagesordnung über. Und das ist brandgefährlich! 20 bis 40 Prozent erleiden danach einen echten Schlaganfall. Und selbst dann wird häufig zugewartet. Wird abgewartet, ob die Sehstörungen, ob die Schwierigkeiten beim Reden und Verstehen, ob die starken Kopfschmerzen nicht von selbst wieder vergehen. Und dabei vergeht wertvollste Zeit.

Denn das Hirn ist ein sehr empfindliches Organ. „Je länger man zuwartet, desto mehr wird zerstört, desto mehr Nervenzellen sterben ab, desto gröber sind die bleibenden Behinderungen“, warnt Johann Willeit, Präsident der österreichischen Gesellschaft für Schlaganfallforschung. Nach 4,5 Stunden ist keine Thrombolyse mehr möglich, also eine Auflösung des Blutgerinnsels im Hirn mit speziellen Medikamenten. Derlei Blutgerinnsel führen in 85 Prozent der Fälle zum Schlaganfall (der Rest sind Hirnblutungen).

Eine Thrombolyse allein ist nicht ausreichend, wenn das Gerinnsel zu groß ist. Da gibt es jetzt eine neue Technik: „Man geht mit einem Katheter durch den Blutpfropf durch, platziert einen Stent und zieht diesen mit dem Gerinnsel wieder heraus“, so Lang. Das sei eine relativ schnelle und sichere Methode, aber noch nicht im Routineeinsatz. „Doch das wird kommen, alle Bundesländer in Österreich bereiten sich jetzt darauf vor.“

Österreich ist übrigens hinsichtlich der Stroke Units, also der auf Schlaganfall spezialisierten medizinischen Einrichtungen zur Akutbehandlung international im Spitzenfeld (es gibt derzeit 35 solcher Einheiten). Wo es bei uns ein bisschen hapert, ist die Rehabilitation. Da könnte und soll sich noch einiges bessern.

Zu selten frühe Rehabilitation

Die Frührehabilitation, also Krankengymnastik, Ergotherapie und Logotherapie, sollte bereits 24 Stunden nach dem Ereignis einsetzen. Und das passiert leider noch immer zu selten oder zu halbherzig. Schade, denn die entscheidende Neuroplastizität des Gehirns, also die Fähigkeit der Gehirnzellen, sich nach einer Schädigung neu zu modellieren, sinkt allmählich. Das dürfte in den Gehirnen von heimischen Ärzten und Pflegepersonal noch viel zu wenig verankert sein. Denn nicht nur die Behandlung in der Akutphase entscheidet darüber, wie gut oder schlecht sich jemand nach einem Schlaganfall erholt, die frühe Rehabilitation ist ebenso wichtig.

WEITERE INFORMATIONEN UNTER

www.schlaganfall-was-tun.at

Alarmstufe Rot

Der Welt-Schlaganfall-Tag findet am 29. Oktoberstatt. Er soll das Bewusstsein für Schlaganfall und dessen Verhinderung stärken.

Alarmstufe Rot. Bei folgenden Warnzeichenunbedingt sofort die Rettung rufen:

•Einseitige Lähmung: Ein Arm fällt plötzlich herunter, ein Mundwinkel hängt, die Finger fühlen sich gelähmt an.

•Sprachstörung, Wortfindungsstörung, Verständnisprobleme.

•Sehstörung: Blindheit an einem Auge, Doppelbilder, halbseitiger Ausfall des Gesichtsfeldes.

•Heftige Kopfschmerzen, plötzlicher Schwindel, Gleichgewichtsstörungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2012)

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