Sonnenvitamin steuert Gene, verlängert Leben

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Vitamin D ist auch ein Hormon und wird seit einigen Jahren extrem beforscht. Es soll vor Krebs und Infekten schützen und Muskeln stärken, ein Mangel könnte zu Libidoverlust führen und dem Fötus schaden.

Sie sollten noch wissen, dass Sie ein erheblich erhöhtes Risiko haben, vorzeitig aus dieser Welt zu scheiden, wenn Ihr Vitamin-D-Spiegel niedrig ist“, schreibt der Ernährungswissenschaftler Nicolai Worm in dem Buch „Heilkraft D. Wie das Sonnenvitamin vor Herzinfarkt, Krebs und anderen Zivilisationskrankheiten schützt“ (Verlag Systemed). Was auf den ersten Blick haltlos übertrieben wirken mag, stellt sich nach einem genaueren Blick auf eine unüberschaubare Zahl von Studien zu Vitamin D als gar nicht mehr abwegig dar.

Dass Vitamin D Leben verlängern kann, wurde auch in Österreich schon 2008 nachgewiesen: Harald Dobnig, damals Medizinische Universität Graz, heute ärztlicher Leiter eines Hormoninstituts, hat mehr als 3500 Patienten acht Jahre lang beobachtet und herausgefunden: Die Sterblichkeit von Menschen mit einem Vitaminspiegel im untersten Viertel ist doppelt so hoch wie jene der Probanden mit höheren Werten.

Hype auf Vitamin D

Diese Studie wurde inzwischen mehr als 330-mal in unterschiedlichen wissenschaftlichen Arbeiten zitiert. Inzwischen hat weltweit ein wahrer Hype auf Vitamin D eingesetzt, die Zahl der Studien ist explodiert. Und nun wissen wir auch, dass mindestens die halbe Population Mitteleuropas über weite Strecken des Jahres zu wenig von diesem fettlöslichen Vitamin hat. Vor allem im Herbst und Winter haben wir allenthalben Mängel, da sollen sogar bis zu zwei Drittel der Österreicher im roten Bereich liegen.

Erklärung: Zum Unterschied zu anderen Vitaminen muss unser Körper das D überwiegend selbst produzieren, benötigt aber hiefür Sonnenlicht: Der überwiegende Teil der Vitamin-D-Bildung – 80 bis 90 Prozent – erfolgt in der Haut unter Einwirkung von UVB-Strahlen. „In unseren Breiten reicht die Sonnenintensität aber nur in den Sommermonaten dafür aus“, betont Heike Bischoff-Ferrari vom Zentrum für klinische Forschung der Universität Zürich. Wo also wenig Sonne, da ein Vitamin-D-Mangel, den die Nahrung allein nicht ausgleichen kann. (Vitamin-D-reich ist vor allem Fisch.)

Erste Symptome eines Mangels können sich in Müdigkeit und Antriebslosigkeit äußern, aber auch in Nervosität und Konzentrationsproblemen, in Schlafstörungen und depressiven Verstimmungen.

Abwehrzellen brauchen Vitamin D

Vitamin D hat noch eine Sonderstellung: Es ist nicht nur Vitamin, sondern auch Hormon. Dobnig: „Fast jede Zelle in unserem Körper hat einen Vitamin-D-Rezeptor, der Zellfunktionen und -zyklen steuert und 200 bis 300 Gene in ihrer Aktivität reguliert.“ Wen wundert's jetzt noch, dass diese Tausendsassa-Substanz auch in der Lage ist, das Immunsystem zu stärken und Infekte abzuwehren. Eine US-Studie mit mehr als 18.000 Probanden hat unlängst herausgefunden: Menschen mit niedrigen Spiegeln gaben um 36 Prozent öfter an, an einem Atemwegsinfekt gelitten zu haben. „Vitamin D ist absolut notwendig, damit beispielsweise unsere Abwehrzellen überhaupt erst ordentlich arbeiten können“, weiß Experte Dobnig.

Nicht nur er, sondern auch viele andere Forscher haben nachgewiesen, dass dieser wichtige Mikronährstoff für stärkere Knochen sorgt, da er die Kalziumaufnahme im Darm sowie die Kalziumeinlagerung in die Knochen fördert. Vitamin D senkt aber auch das Sturzrisiko bei Senioren – um immerhin 39 Prozent, fand Dobnig in einer Studie mit deutschen Kollegen heraus. Zudem steigert es die Muskelbildung sowie die Muskelkraft und -funktion – und davon profitieren nicht nur ältere Menschen, sondern auch junge Sportler.

Alte Menschen weisen in bis zu 90 Prozent der Fälle einen Vitamin-D-Mangel auf, aber auch Junge und Jüngste haben häufig zu wenig davon. Die Jüngsten, weil sie mit der Muttermilch häufig zu wenig davon bekommen. Hier überraschte kürzlich eine Studie des australischen Telethon Institute for Child Health Research, die zu dem Schluss kam: Haben Schwangere zu wenig dieses Hormons, ist der Nachwuchs doppelt so oft von Sprachproblemen betroffen.

Das Sonnenvitamin der Schwangeren spielt auch für den Aufbau von Knochen und Lunge sowie generell für das Wachstum des Fötus eine Rolle. „Haben Mütter in spe Vitamin-D-Mangel, neigen deren Kinder Jahrzehnte später zu Osteoporose und multipler Sklerose“, weiß der bekannte Hormonexperte Johannes Huber. Auch Männer, so Huber, sollten Vitamin D ernst nehmen: „Es regt die Testosteron-Produktion an, ein Mangel kann also zu Libidoverlust führen.“

Hingegen schützen gut gefüllte Speicher unter anderem vor Krebs. „Bislang am überzeugendsten ist die Datenlage zu Dickdarmkrebs“, schreibt die „Ärzte-Woche“:Durch ausreichende Versorgung kann das Risiko für eine Erkrankung um etwa 50 Prozent reduziert werden. Nicolai Worm zitiert in seinem Buch, das auf 203 Seiten wahrlich detailreichst über diese Wundersubstanz informiert, unter anderem die Nurses' Health Study an 100.000 Frauen, die ein um 30 Prozent gesenktes Brustkrebsrisiko bei ausreichend hohem Spiegel fand. Auch bei der Entstehung von Prostata- und Lungenkrebs spielt ein Mangel dieses Vitamins eine Rolle.

Schutz vor Herzerkrankungen

Eine gute Studienlage gibt es auch zur Schutzwirkung des Multitalents auf kardiovaskuläre Leiden, denn es fördert indirekt die Elastizität der Gefäßwände. Mehrere neuere Studien stützen zudem die Hypothese, dass Vitamin D das Risiko für Alzheimer, Diabetes und multiple Sklerose reduziert. Zudem erhöht es die Leistungsfähigkeit des Nervensystems. Ein britisches Forscherteam wiederum zeigte kürzlich, dass sich Patienten mit Tuberkulose rascher erholen, wenn sie zusätzlich zur Standardtherapie Vitamin D erhalten.

Doch auch in anderen Bereichen könnte sich Vitamin D als nützlich erweisen, zum Beispiel gegen den Verlust kognitiver Fähigkeiten und bei rheumatoider Arthritis, berichtet Eufic, das europäische Informationszentrum für Lebensmittel. Um diesen Nutzen zu bestätigen, seien aber noch weitere Forschungen erforderlich. Und die wird es mit Sicherheit geben, man darf gespannt sein.

Vitaminversorgung

Nicht zufriedenstellend ist der Vitamin-D-Status der Österreicher. Der jüngst erschienene, im Auftrag des Gesundheitsministeriums erstellte Ernährungsbericht 2012 listet etwa auf: Bei 62 Prozent der Mädchen und 56 Prozent der Buben zwischen sieben und 14 Jahren sind die Vitamin-D-Werte erniedrigt. Bei den Erwachsenen weisen 44 Prozent der Männer und knapp 40 Prozent der Frauen unzureichende Werte auf und bei den Senioren sind es fast zwei Drittel.

O-Text aus dem Bericht: Auch andere Studien zeigen, dass große Teile der Normalbevölkerung an einem Vitamin-D-Mangel leiden und dieser nicht nur die häufig erwähnten Risikogruppen Neugeborene, Schwangere und ältere Personen betrifft. Daher sollte auf eine Vitamin-D-reiche Nahrung mit ein bis zwei Fischmahlzeiten pro Woche und eine tägliche UV-Sonnenlichteinstrahlung von zumindest zehn Minuten an Armen und Gesicht geachtet werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2012)

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