»Akupunktur wirkt auch ohne eine mystische Umgebung«

Gerhard Litscher von der Medizin-Uni Graz exportiert Akupunktur-Know-how zurück nach China.

Die TCM boomt, wird aber vor allem von Naturwissenschaftlern immer wieder ins esoterische Eck gerückt. Warum?

Gerhard Litscher: Weil viele sich unter TCM oder Akupunktur überhaupt nichts Naturwissenschaftliches vorstellen können. Wir aber arbeiten mit unseren Partnern in China nach den Spielregeln, wie sie auch in der westlichen Medizin gefordert werden. Im Akupunkturbereich tun wir das mit großem Erfolg seit 15 Jahren. Vor allem junge Mediziner sind an dieser Thematik sehr interessiert. Unsere speziellen Studienmodule sind immer lange im Voraus ausgebucht.

Sorgen Sie sich, dass die große Nachfrage nach TCM zu einem unseriösen Angebot führen könnte?

In Österreich ist das gut geregelt, mit den Ausbildungen zur Akupunktur oder zur TCM. In Deutschland wird das anders gehandhabt, da gibt es den Status des Heilpraktikers. Man darf aber vor allem nicht so tun, als könnte man mit der TCM alles behandeln.

Unterscheidet sich die TCM im Westen von der TCM in China?

Schon bei der Akupunktur gibt es enorme Unterschiede. Wir forschen an Hightech-Akupunktur, an Laser-Akupunktur. Das ist im Westen gefragt, jeder möchte eine schmerzfreie Akupunktur, nicht nur Kleinkinder oder Patienten mit Nadelangst. In China ist es das Gegenteil. Dort möchte der Patient das „de Qi-Gefühl“ spüren, das beim Einstechen der Nadel entsteht, das elektrische Kribbeln. Dort wird tiefer gestochen und heftiger stimuliert. Wir beschäftigen uns seit Jahren mit der Modernisierung dieser Stimulationsverfahren. Das ist für uns Forscher auch interessant, weil wir damit Nachweise erbringen können, wie Akupunktur wirkt.

Mit welchen Ergebnissen?

Wir machen Tele-Akupunktur. Der Patient wird in China akupunktiert, wir führen mit unseren sensiblen Messgeräten zum Beispiel 24-Stunden-EKG durch. Die werden über Internetverbindungen an unser Labor in Graz übermittelt, von wo wir dem Akupunkteur sofort Feedback geben.

Es gibt also einen Rückexport von TCM-Know-how aus dem Westen nach China?

Es gibt einen TCM-Cluster Austria. Wir machen gemeinsame Studien mit China, die zum Teil von österreichischen Ministerien unterstützt werden, unter anderem zu Prävention und altersbedingten Erkrankungen.

Viele Menschen zweifeln die Existenz von Meridianen an. Gibt es dafür Beweise?

Mit dieser Frage haben wir uns auch beschäftigt, und es hat in der Tat noch niemand die Meridiane sichtbar gemacht. Da stimme ich zu.

Wie kann aber dann Akupunktur wirken? Die basiert doch auf den Meridianen.

Wir wissen ganz genau, was beim Nadeleinstich passiert. Wir wissen, was im Gehirn passiert. Wir kennen zum Teil die therapeutischen Effekte. Was zwischen dem Einstich und dem Effekt liegt – da ist noch viel Forschungsarbeit notwendig.

Die westliche Medizin ist besser im Akutfall, die TCM im chronischen Bereich.

Durchaus. Niemand könnte sich vorstellen, Anästhesie mit Akupunkturnadeln durchzuführen – obwohl das in China immer wieder geschieht. Was aber sehr wohl ein Thema sein könnte, ist die Behandlung postoperativer Nebenwirkungen der Anästhesie. In China wird in der Regel zuerst die TCM und dann die Schulmedizin angewendet. Bei uns ist es umgekehrt. Wenn gar nichts mehr wirkt, wird TCM versucht. Das sollte nicht sein. TCM sollte stärker in der Prävention eingesetzt werden.

Nachdem die chronischen Krankheiten zunehmen, wird wohl auch die TCM immer wichtiger werden.

Ja, sie wird immer wichtiger werden. China hat auch ein großes Interesse daran, die TCM weltweit zu etablieren. Nur, genau dafür soll sie auch wissenschaftlich fundiert sein. Im Rahmen des TCM-Clusters Austria wird in diesem Zusammenhang auch an der Qualitätssicherung chinesischer Kräuter gearbeitet.

Es gibt einen ziemlichen Unterschied zwischen österreichischen TCM-Ärzten und chinesischen Ärzten in Österreich. Die einen nehmen sich viel Zeit, bei den anderen ist es mitunter Massenabfertigung.

Das liegt einfach an den kulturellen Unterschieden. Eine Kollegin, mit der wir zusammenarbeiten, leitet eine große Akupunkturambulanz in China und behandelt dort pro Tag 70 bis 80 Patienten. Da ist die Zeit für den Einzelnen gering. Die Patienten liegen dort nebeneinander, in der Business Class sind sie durch Vorhänge getrennt. Man kann die Effekte der Akupunktur aber im Elektroniklabor nachweisen – und das zeigt, dass sie auch ganz ohne mystische Umgebung wirkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2012)

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