Studie: Jede zweite Frühpensionistin psychisch krank

(c) Erwin Wodicka - wodicka@aon.at
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Psychisch bedingte Invaliditätspensionen nehmen laut einer Studie zu. Frauen macht vor allem die Doppel- und Mehrfachbelastung von Beruf und Privatleben zu schaffen. Männer greifen hingegen zu Alkohol.

Wien/Ett. Psychische Erkrankungen sind in Österreich immer häufiger Anlass für Frühpensionen wegen Invalidität. Dieser Trend ist bei Frauen besonders stark: Nach aktuellen der „Presse“ vorliegenden Daten der Pensionsversicherung (PVA) und des Hauptverbandes der Sozialversicherungen ging im Vorjahr fast die Hälfte der Frauen, die eine Invaliditätspension erhielten, wegen psychischer Probleme in diese krankheitsbedingte Form der Frühpension.

Mit einem Anteil von 48,85 Prozent wurde ein neuer Höchststand erreicht, er ist gegenüber 2010 nochmals leicht gestiegen. Der Anteil der betroffenen Frauen ist damit signifikant höher als bei den Männern: Bei diesen betrug der Anteil der Invaliditätspensionen wegen psychischer Krankheiten im Vorjahr 28,63 Prozent.

Karl Dantendorfer, Universitätsprofessor für Psychiatrie, führt die Zunahme psychisch bedingter Invaliditätspensionen im Gespräch mit der „Presse“ auch darauf zurück, dass solche Erkrankungen nicht mehr stigmatisiert seien, sondern sich Betroffene früher an Ärzte wenden. Frauen tun dies aber viel häufiger, Männer würden hingegen zuerst eher zum Alkohol greifen. Erst nach längerer Zeit würden psychische Folgen des Alkoholkonsums offenkundig. Bei Frauen zeige sich auch international eine höhere Fallzahl mit depressiven Erkrankungen. Zweifellos, so Dantendorfer, spiele bei der höheren Rate an psychisch bedingten Invaliditätspensionen von Frauen die Doppelbelastung von Beruf und Familie eine Rolle.

„Frauen sind häufiger in Berufen tätig, die psychisch stärker belastend sind“, analysiert Gudrun Biffl, Arbeitsmarktexpertin an der Donau-Universität Krems. Das gelte für Gesundheits- und Krankenpflegeberufe wie für die Lehrerschaft. Sie hat heuer gemeinsam mit Expertinnen vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) eine ausführliche Studie erarbeitet.

Ein Ergebnis: Für Männer stellt die private Lebenssituation oft einen Ausgleich zum Job dar, während die Doppel- und Mehrfachbelastung von Beruf und Privatleben im Schnitt Frauen kaum einen Ausgleich biete. „Es hat uns überrascht, dass das so signifikant ist“, sagt Biffl. Ihre Erklärung im Gespräch mit der „Presse“: Dies liege an der Anforderung, die eine berufstätige Frau an sich selbst stelle: „Sie will eine gute Hausfrau sein – sie will alles sein.“

In der PVA verweist der chefärztliche Vizeleiter, Klaus Rudolf Pirich, auch darauf, dass Frauen häufiger mit psychischen Störungen zu kämpfen haben. Bei Männern seien es Suchterkrankungen und deren Folgen. In einem ist die PVA vorsichtiger: „Wahrscheinlich“ spiele der Faktor der Doppelbelastung von Frauen eine Rolle.

Insgesamt zeigt sich bei beiden Geschlechtern: Die Zahl der Krankenstände wegen psychischer Diagnosen hat von 2009 bis 2011 um zwölf Prozent weiter zugenommen. Von 2007 bis 2009 war die Zunahme mit 22 Prozent jedoch höher. Psychische Probleme sind dann zu 35,85 Prozent, also einem guten Drittel, „schuld“ an den Neuzugängen in die Invaliditätspensionen. Auch das ist ein neuer Rekordwert. In absoluten Zahlen waren das 15.178 Betroffene.

Betroffene sterben früher

Frauen mit psychischen Erkrankungen gehen im Schnitt mit 47,3 Jahren in Invaliditätspension, Männer mit 48,7 Jahren. Diese Menschen sterben deutlich früher: Frauen mit psychischen Krankheiten sind im Schnitt 20,1 Jahre in Pension, sie werden nur 67 Jahre alt. Männer sind im Regelfall 14,2 Jahre in Invaliditätspension und sterben im Schnitt mit 63 Jahren, also noch vor dem Regelpensionsalter von 65. Sozialbericht, Seite 17

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2012)

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