Naomi Feil: "Begriff Demenz ist sehr respektlos"

Begriff Demenz sehr respektlos
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Die 80-jährige Naomi Feil verrät das Geheimnis ihrer Vitalität. Die Begründerin der Validation lehrt weltweit die bessere Kommunikation mit Alzheimer-Patienten. Ein "Presse"-Interview.

Als „Die Presse“ die 80-jährige Naomi Feil an einem Freitagabend in Wien traf, hatte sie gerade ein Ganztagsseminar geleitet. Am Tag davor war sie nach Wien angereist, hatte am Abend eine Vorstellung im Metropol gesehen, Samstag hielt sie wiederum ein Ganztagesseminar, am Abend dann ins Volkstheater, Sonntag nach Klagenfurt, Montag, Dienstag wieder Seminare.

Die Presse: Woher nehmen Sie Ihre beneidenswerte Energie?

Naomi Feil: Das Geheimnis meiner Vitalität sind eigentlich die anderen Menschen. Ich mag Menschen gern und wenn ich Krankenschwestern, Pfleger, Angehörige von Alzheimer-Patienten und desorientierte Menschen glücklich machen und ihnen helfen kann, gibt mir das Energie, Freude und Kraft. Zudem genieße ich das Leben, das erhält auch jung.

Gibt es nicht noch etwas, was Sie tun, um dermaßen fit zu bleiben?

Ja, ich versuche, nicht zu dick zu werden. Ich muss da sehr vorsichtig sein. Ich war als Kind sehr dick und das möchte ich nie wieder sein. Ich esse sehr wenig Fleisch, viel Fisch und Gemüse und zu Hause wenig Brot, in Österreich wird's schon relativ viel Brot. Weil es so gut schmeckt.

Was verbindet Sie mit Österreich?

Zunächst liebe ich Musik, und da bin ich hier ja bestens aufgehoben, auch die Museen in Wien schätze ich sehr. Eine meiner ersten Veranstaltungen zur Validation fand 1988 in Wien statt, damals lebte meine Tochter Vicki de Klerk in Wien, wo ihr Mann arbeitete und auch ihre Kinder geboren wurden. In Österreich gibt es übrigens viele Menschen, die die Validation weiterverbreiten.

Ihre Tochter trat in Ihre Fußstapfen?

Ja, sie hat ein Buch geschrieben und hält weltweit auch viele Seminare und lehrt Validation. Sie lebt seit acht Jahren mit ihrer Familie in Jordanien, nächstes Jahr verlässt sie das Land. Davor möchte ich unbedingt noch einmal nach Jordanien, wahrscheinlich im April, wahrscheinlich für ein Monat lang.

Weitere Reisepläne?

Ja, ich möchte auch 2013, wie jedes Jahr, dreimal für Vorträge und Seminare nach Europa kommen, jeweils für einen Monat und für drei Wochen nach Japan. So lange ich kann, werde ich durch die Weltgeschichte reisen und Interessierten die Validation näherbringen.

Werden Sie noch weitere Bücher schreiben?

Wahrscheinlich schon, hundertprozentig weiß ich es allerdings noch nicht. Derzeit produzieren wir gemeinsam mit meinem Sohn, der in Oregon lebt, eine neue DVD über nonverbale Validation. Ich will auch zeigen, dass desorientierte Menschen ein Hirn haben, dass ihr intuitives Gehirn intakt ist, dass sie weise, einzigartig und wertvoll sind. Daher verwende ich auch den Begriff Demenz nicht, der ist sehr respektlos, denn das heißt so viel wie ,ohne Geist‘ und das stimmt absolut nicht. Das Gehirn von alten und sehr alten Menschen altert eben, wie der Körper auch. Das ist Teil des Lebens und des Alterns, aber keine Krankheit. Wenn man desorientierten Menschen nur aufmerksam zuhört und sie annimmt, wie sie sind, passieren wunderbare Dinge.

Was ist besonders wichtig im Rahmen der Validation, welche Botschaft möchten Sie gern herausstreichen?

Ganz wichtig ist es, sich stets bewusst zu sein, dass hinter jedem Verhalten eines desorientierten Menschen, mag es noch so absurd oder verrückt wirken, ein Grund steckt. Wer zum Beispiel seine Mama ruft, der sucht Sicherheit und Nähe. Schreien, schlagen, beschuldigen sind sehr oft eine Folge nicht bewältigter Emotionen. Validation kann helfen, diese Gefühle zu verarbeiten, alte, innere Konflikte zu lösen und die Betroffenen zu beruhigen. Und: Validation lügt nie, verurteilt nie, sie hört zu, ist gelebte Empathie.

Da gab es doch die Geschichte mit dem Alzheimer-Patienten, der Ihren Vater immer wieder beschuldigte, ihn im Keller kastriert zu haben.

Ja, mein Vater leitete ein Altenheim in Cleveland und ich versuchte mit allen Methoden, zu diesem Heimbewohner vorzudringen, nichts half. Erst in Gesprächen mit dessen Familie erfuhr ich, dass dieser Mann von seinem Vater als Kind fast täglich auf den finsteren Dachboden gesperrt worden war, ohne triftigen Grund. Als die Desorientierung schon stark fortgeschritten war, kamen diese schlimmen Erlebnisse wieder an die Oberfläche. Der betroffene Mann konnte sie jedoch nicht einordnen, sein Zorn und seine Ängste fanden ein Ventil in der Beschuldigung meines Vaters. Der war als Direktor des Heimes zum Stellvertreter seines Vaters geworden, beide waren für ihn die männliche Autorität. Alte Menschen bringen nicht aufgearbeitete Erlebnisse aus der Vergangenheit oft mit Symbolen in die Gegenwart.

Weltweit arbeiten bereits 30.000 Einrichtungen nach den Prinzipien der Validation. Ist das zu wenig?

Ja, denn es kommt noch immer viel zu häufig vor, dass man desorientierten Menschen nicht zuhört, dass man sie nicht ernst nimmt, sondern ihnen lediglich Medikamente hineinschiebt. Doch jeder sollte sich vor Augen führen: Wer heute desorientierte Menschen abschiebt und allein lässt, dem wird vielleicht morgen nicht zugehört, der wird morgen abgeschoben. Aber ich denke, es gibt Hoffnung. Doch da ist noch viel zu tun. Und man darf nie vergessen: Alte, orientierungslose Menschen wollen sich sicher und geliebt fühlen, wie jeder andere Mensch auch.

Zur Person

Naomi Feil wurde 1932 in München geboren, flüchtete 1936 gemeinsam mit ihren jüdischen Eltern und wuchs in Cleveland, Ohio, auf, wo ihre Eltern im Montefiore-Altenheim verwirrte alte Menschen betreuten (der Vater führte es, die Mutter leitete die Abteilung für Sozialarbeit).

Naomi Feil, die also früh Kontakt zu alten Menschen hatte, studierte Psychologie, erhielt 1956 den Master Degree für Solzialarbeit an der Columbia University in New York, ging zurück nach Cleveland, arbeitete im selben Heim und entwickelte von 1963 bis 1980 die Validationsmethode.

Heute ist sie Direktorin des Validation-Training-Instituts in Cleveland, hat zahlreiche Publikationen und Bücher geschrieben, hält regelmäßig Vorträge und Seminare in Europa, Kanada, USA, Australien und Japan.

Die zierliche und temperamentvolle Frau hat vier Kinder, sechs Enkel, liest gern und geht gern ins Kino.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2012)

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