Studie: Dicke leben doch nicht länger

Studie Dicke leben doch
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Eine amerikanische Metastudie attestierte leicht Übergewichtigen ein geringeres Sterblichkeitsrisiko. Heimische Mediziner schlagen Alarm und kritisieren den veralteten Body-Mass-Index.

Manchmal sind wir wie kleine Kinder – oder wie sehr alte Menschen. Wir hören einfach nur das, was wir hören wollen. Ganz besonders gern tun wir das, wenn es um das eigene Körpergewicht oder um die Rechtfertigung des eigenen Schweinehundes geht. Da verwundert es kaum, dass eine Studie, die Übergewichtigen eine längere Lebenserwartung verspricht, gerade jetzt, nach der großen Festtagsesserei, dankend angenommen wird. Immerhin sind die Ergebnisse der amerikanischen Studie, die im US-Fachblatt „Journal of the American Medical Association (Jama)“ veröffentlicht wurden, ja wirklich verlockend: Übergewichtige sollen demnach ein um sechs Prozent niedrigeres Sterblichkeitsrisiko als Normalgewichtige haben, leicht fettleibige Menschen ein um fünf Prozent niedrigeres Risiko. Allerdings: Bei schwerer Fettleibigkeit steigt das Sterblichkeitsrisiko um 29Prozent.

Begründet werden diese Ergebnisse für die (leicht) übergewichtigen Gesunden mit der Tatsache, dass diese öfters und bei Krankheiten schneller einen Arzt aufsuchen. Außerdem haben dickere Menschen größere Energiereserven, die bei manchen Krankheiten, speziell im Alter, von Vorteil sein können.


Freibrief fürs Schnitzel? Ein Freibrief also fürs tägliche Schnitzel? Wenn auch ohne Pommes, denn auf die „plus 29Prozent Sterblichkeitsrisiko“ wird wohl jeder gern verzichten. Immerhin wurden bei der amerikanischen „Superstudie“, wie manch einer sie schon nennt, knapp drei Millionen Menschen in Nord- und Südamerika, Europa und Asien untersucht. Also können die Forscher nicht so falsch liegen.

Ganz so ist es dann aber leider doch nicht. Denn auch, wenn uns das Ergebnis gelegen kommt, verdient die Studie, die vielmehr eine Metastudie beziehungsweise eine Analyse von 97 bereits bestehenden Studien zu dem Thema ist, eine nähere Betrachtung.

Fragt man bei heimischen Medizinern nach, die – ähnlich wie ihre internationalen Kollegen – mit einem Aufschrei reagieren und vor der Verharmlosung von Übergewicht und Fettleibigkeit warnen, wird vor allem eines an dieser Metastudie besonders kritisiert: der Body-Mass-Index (BMI), mit dem die Probanden gemessen und klassifiziert wurden. „Diese Studie, die ja eigentlich eine Analyse ist, zeigt prinzipiell, wie ungenau der BMI zur Risikoeinschätzung ist“, sagt Adipositas- und Stoffwechselexperte Bernhard Ludvik von der Universitätsklinik für Innere Medizin III der Med-Uni Wien.

Der BMI setzt nämlich lediglich das Körpergewicht in Relation zur Körpergröße. Dabei wird die Körpermasse in Kilogramm durch die Körpergröße in Metern zum Quadrat dividiert. Als Normalgewichtige gelten demnach Menschen mit einem BMI zwischen 18,5 und 25. Übergewichtig sind Menschen mit einem BMI zwischen 25 und 30. Dann folgen die verschiedenen Stufen der Fettleibigkeit: Stufe 1 (ein BMI von 30 bis 35), Stufe 2 (35 bis 40) und Stufe 3 (über 40).


Bauchumfang ist der neue BMI. Diese Maßeinheit sagt aber weder etwas über den Fettanteil oder die Fettverteilung noch über den Bauchumfang aus. „Die Muskelmasse wird dabei überhaupt nicht berechnet. Arnold Schwarzenegger hatte in seiner Bestzeit als Bodybuilder wahrscheinlich einen BMI von 30, aber einen Fettanteil von sechs Prozent“, so Ludvik.

Der veraltete BMI wurde längst von Fettanteil und Bauchumfang abgelöst. Letzteres ist auch für den Laien ganz einfach zu berechnen, immerhin benötigt man dazu lediglich ein Maßband. „Männer sollten unter 102 Zentimetern liegen, Frauen unter 88 Zentimetern, dann ist man relativ auf der sicheren Seite“, so Ludvik. Für ihn ist die neue Studie wenig spektakulär, denn dass leicht übergewichtige Menschen, also jene mit der Stufe 1, nicht ungesünder sind als Normalgewichtige, sei nicht neu – sofern keine anderen Risikofaktoren vorliegen. Das bestätigt auch der Ernährungsmediziner Kurt Widhalm: „In der ersten Stufe ist das Sterberisiko nicht höher als bei Normalgewichtigen. Es hat auch nie jemand behauptet, dass es da einen Zusammenhang mit der Lebenserwartung gibt.“

Ihn stört an der Studie, dass daraus nicht hervorgeht, wann der BMI gemessen wurde und über welchen Zeitraum. „Die Autoren geben selbst zu, dass nur limitierte Angaben über das Alter vorliegen. Das ist aber der entscheidende Punkt.“ Außerdem werden bei der All-Cause-Mortalität, also der „normalen“ Sterblichkeit, nicht die Erkrankungen, die auf Fettleibigkeit basieren, berücksichtigt.

Einig sind sich Ludvik und Widhalm ebenso wie die Studienautoren darin, dass die Bewegung eine große Rolle spielt. „Fett und fit ist besser als dünn und faul“, bringt es Ludvik auf den Punkt – vorausgesetzt, man ist nicht allzu fett. Er betrachtet die Studie – oder genauer gesagt die verknappten Zusammenfassungen – durchaus als gefährlich, hält ihr aber zugute, dass dadurch den Leuten der Druck genommen wird, unbedingt abnehmen zu müssen. „Die Gewichtsabnahme funktioniert ohnehin meistens nicht.“ Prävention sei deshalb umso wichtiger.


Alte brauchen mehr Fett. Bei einer Gruppe ist Übergewicht aber tatsächlich nicht nur nicht schlimm, sondern sogar von Vorteil: Bei Menschen über 65 Jahren. Im Alter können die Energiereserven bei Krankheiten durchaus positiv sein. „Ich würde niemals einem 70-Jährigen raten abzunehmen, außer er ist extrem fettleibig“, so Ludvik.

Bei Kindern hingegen verhält es sich genau umgekehrt. Bei ihnen kann sich Übergewicht verheerend auswirken, da dann die Wahrscheinlichkeit, auch später an (schwerer) Fettleibigkeit zu leiden, deutlich ansteigt. Und dann sinkt auch die Chance, so alt zu werden, dass man nur noch hören kann, was man hören will.

body-Mass- Index

BMI. Setzt das Körpergewicht in Relation zur Körpergröße
(kg/Meter ).

Kritik. Der BMI gibt keine Auskunft über Fettanteil, Fettverteilung und Bauchumfang. Diese Faktoren sind aber wichtig zur Risikoeinschätzung von Krankheiten.

Normalgewicht:
BMI 18,5 bis <25

Übergewicht:
BMI 25 bis <30

Fettleibigkeit Stufe 1: BMI 30 bis <35

Fettleibigkeit Stufe 2: BMI 35 bis <40

Fettleibigkeit Stufe 3: BMI >40

Betroffene. Laut Österreichischem Ernährungsbericht 2012 sind in Österreich 40 Prozent der Erwachsenen übergewichtig, zwölf Prozent sind fettleibig (BMI>30). Bei Schulkindern sind 24 Prozent übergewichtig und acht Prozent adipös.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.01.2013)

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