Unbeschwert zubeißen? Nicht als Allergiker!

Unbeschwert zubeissen Nicht Allergiker
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In neuen FWF-Projekten wird versucht, tiefer in die Geheimnisse von Nahrungsmittelallergien einzudringen. Im Fokus stehen dabei zwei bislang kaum erforschte Allergien: Gegen Kuhmilch und Fleisch.

Wenn Rülpsen und Furzen Symptome einer Laktoseintoleranz sind, dann haben eh alle Männer sowas“, sagt der Kabarettist Gerald Fleischhacker im Scherz. Freilich finden Betroffene so etwas weniger lustig, doch Menschen mit Laktoseintoleranz müssen heutzutage wenigstens nicht mehr erklären, warum sie im Restaurant dreimal nachfragen, ob in der Sauce eh keine Milch drin ist und welche Art von Käse beim Überbacken verwendet wurde. Etwas schwieriger haben es Leute, die an Kuhmilchallergie leiden. Denn diese Erkrankung ist weniger verbreitet und weniger im kollektiven Bewusstsein als diverse andere Unverträglichkeiten von Nahrungsmitteln: Betroffene müssen stets die Zutatenlisten von Lebensmitteln studieren, Eltern darauf achten, dass die Kinder auch in der Schule nichts mit Kuhmilch zu essen bekommen und so weiter.


Typische Symptome. „Zwei bis fünf Prozent der Säuglinge und Kleinkinder leiden an Kuhmilchallergie: Meistens wächst sich die Allergie aus, man verliert sie im Laufe der Zeit. Doch immerhin ein Prozent der Erwachsenen dürfte an dieser Allergie leiden“, sagt Heidrun Hochwallner von der Med-Uni Wien. Sie ist Teil der Forschungsgruppe um Rudolf Valenta, einen weltweit renommierten Allergiespezialisten. „Während Symptome der Laktoseintoleranz hauptsächlich den Magen-Darm-Trakt betreffen, haben Kuhmilchallergiker typische allergische Reaktionen wie Hautausschläge, Belastung des Magen-Darm-Systems bis hin zu Beschwerden im Atemtrakt wie Asthma“, so Hochwallner. Auch schlimme Reaktionen des Herz-Kreislauf-Systems sind nicht ausgeschlossen: Ein anaphylaktischer Schock kann zum Tod führen.

Während Laktoseintoleranten das Enzym Laktase fehlt, sie daher keinen Milchzucker verdauen können, reagieren Kuhmilchallergiker mit einer IgE-Reaktion des Immunsystems auf Proteine, die in der Milch enthalten sind. „Obwohl Kinder die Kuhmilchallergie mit der Zeit verlieren, sind diese Patienten dann sehr anfällig für andere Allergien, meistens gegen Gräser, Pollen, Hausstaubmilben oder Haustiere“, so Hochwallner. Sie wird in den nächsten drei Jahren ein FWF-Projekt zu neuen Diagnose- und Therapiemöglichkeiten dieser Krankheit leiten. „Derzeit ist die Diagnose nicht immer richtig: Sowohl der Haut-Prick-Test als auch Bluttests, die nach IgE-Antikörpern suchen, erkennen manchmal die Kuhmilchallergie nicht beziehungsweise wird sie bei Leuten diagnostiziert, die gar nicht daran leiden“, so Hochwallner. Die einzige zuverlässige Methode ist bisher die „orale Provokation“: Die Patienten bekommen unter ärztlicher Aufsicht steigende Mengen Kuhmilch, bis die Reaktion auftritt. Diese kann sehr heftig ausfallen und ist belastend für die Patienten. „Wir wollen nun die Einzelallergene der Kuhmilch genauer charakterisieren, um die Diagnose zu verfeinern und sicherer zu machen.“ Die molekularen Methoden dazu sind in der Valenta-Gruppe gut erprobt: Man nutzt biotechnologisch veränderte E.-coli-Bakterien, um Proteine und Teile davon, auf die man allergisch reagieren kann, sauber herzustellen.


Acht Proteine. „Aus diesen Einzelkomponenten wollen wir ein Micro-Testsystem entwickeln, bei dem man aus einer winzigen Menge Blut erkennen kann, auf welche der acht allergieauslösenden Proteine, die in Kuhmilch vorhanden sind, der Patient reagiert und wie stark die Reaktionen sind. Dass man nur eine kleine Menge an Blut benötigt, ist vor allem bei der Arbeit mit Kindern sehr wichtig“, sagt Hochwallner. Die neue Diagnose sollte auch vorhersagen, ob die betroffenen Kinder die Kuhmilchallergie „auswachsen“ werden oder nicht. „Wir können auf das Blutserum ganzer Geburtskohorten zurückgreifen, von Kindern, die an der Allergie leiden, und die involvierten Moleküle genau untersuchen. Dazu kooperieren wir mit Kinderärzten in Österreich und Schweden“, so Hochwallner.

Ihre frühere Kollegin Ines Swoboda, die bis 2011 in Valentas Abteilung an der Med-Uni Wien tätig war und sich dort 2004 habilitierte, nun aber an der FH Campus Wien im Fachbereich Molekulare Biotechnologie forscht, sucht ganz ähnliche Ansätze bei einer weiteren wenig bekannten Lebensmittelallergie: In einem FWF-Projekt sollen neue Diagnoseverfahren für Fleischallergie entwickelt werden.

„Über Fleischallergie weiß man sehr wenig: Nur dass Leute entweder auf weißes Fleisch wie Huhn und Pute oder auf rotes Fleisch wie Rind und Schwein allergisch reagieren. Die Extrakte, die für Hauttests (Prick-Tests) zur Verfügung stehen, sind oft von ungenügender Qualität, daher wird diese Allergie oft nicht diagnostiziert“, so Swoboda. Auch hier müsste eine „orale Provokation“ im Ambulatorium durchgeführt werden, um sicher zu wissen, ob man auf Fleisch allergisch ist. „Das Problem ist, dass man die Moleküle im Fleisch, die die Allergien auslösen, noch gar nicht kennt: Unser Ziel ist es daher, diese erstmals zu identifizieren.“ Dazu werden Extrakte aus verschiedenen Fleischsorten hergestellt, im Labor wird untersucht, welche Moleküle darin mit IgE-Antikörpern der Betroffenen reagieren. „Wir arbeiten eng mit dem Allergiezentrum Floridsdorf zusammen, dort sind Wolfgang Hemmer in den letzten Jahren immer mehr Fleischallergiker aufgefallen. Die Blutseren der Patienten können wir nun für die Forschung nützen.“

Erste Ergebnisse zeigen, dass der moderne Proteomics-Ansatz (Identifizierung von Proteinen mittels biochemischer Methoden) funktioniert: Einzelne Proteine, auf die sich die IgE-Antikörper stürzen, konnten schon identifiziert werden. Bisher nimmt man an, dass maximal acht Prozent aller Nahrungsmittelallergiker auf Fleisch allergisch sind, doch da die Diagnose bisher schlecht war, könnte diese Zahl bald anders aussehen. „Die Diagnose mit Einzelmolekülen, die wir nun sauber produzieren wollen, ist sicher genauer als die mit herkömmlichen Fleischextrakten“, sagt Swoboda.

In Zukunft könnten die neu gefundenen, Fleischallergien auslösenden Moleküle auch Basis für die Entwicklung von Molekülen sein, die die Therapie in Form einer Hyposensibilisierung ermöglichen könnten. Diese Methode wird bei Gräser- und Pollenallergien bereits angewendet: Man verabreicht kleine Mengen des Allergenextraktes (oral oder als Impfung) über längere Zeiträume. Dadurch wird das Immunsystem veranlasst, IgG-Antikörper zu bilden. Diese vernichten Zellen nicht, sondern heften sich normalerweise an Oberflächenproteine von Viren oder Bakterien, um sie für andere Immunzellen besser sichtbar zu machen. Stellt der Körper nun eine Heerschar an IgG-Antikörper bereit, die sich an die Oberfläche der Allergene heften, bleiben keine Bindungsstellen mehr frei, an die IgE-Antikörper andocken können, die zur Allergie führen. Die Med-Uni Wien veröffentlichte im Oktober 2012 erste Beweise, dass eine solche Hyposensibilisierung bei Apfelallergie, einer sehr häufigen Nahrungsmittelallergie, klappen kann und die Lebensqualität der Betroffenen bald verbessert werden könnte.


Antikörper. Hochwallner geht in ihrem Projekt den gleichen Weg: Sie will es schaffen, im Blut der Kuhmilchallergiker IgG-Antikörper produzieren zu lassen, die sich an die Bindungsstellen der Kuhmilchallergene setzen. Derzeit werde die Hyposensibilisierung direkt mit Kuhmilch nur im Rahmen klinischer Studien durchgeführt, doch da gebe es oft schwere Nebenwirkungen. „Wenn wir die Kuhmilchallergene genau identifiziert haben, können wir die Therapie mit den reinen modifizierten Proteinen oder auch mit ungefährlichen Teilstücken der Proteine durchführen“, so Hochwallner. Die Impfung soll dafür sorgen, dass der Körper passende IgG-Antikörper bereitstellt und bei Einnahme von Kuhmilch diese schneller an die Milchproteine andocken als die allergisch machenden IgE, sodass die allergische Reaktion ausbleibt. Damit stehen die Chancen für Nahrungsmittelallergiker gut, dass sie nach einigen Jahren nicht mehr bei jedem Einkauf und Restaurantbesuch die Zutatenlisten studieren müssen, sondern wieder unbeschwert ein Steak in Rahmsauce essen können.

Österreichische Hotspots

In der Allergieforschung gibt es in Österreich zwei international renommierte Hotspots: an der Med-Uni Wien (um Rudolf Valenta) und an der Uni Salzburg (Fatima Ferreira). Derzeit entwickelt sich ein neuer Hotspot an der FH Campus Wien (Ines Swoboda). In derzeit vier Christian-Doppler-Labors (in Wien, Salzburg und am IFA Tulln) werden die Methoden in Kooperation mit Firmen weiterentwickelt.

Im Gefolge der Forschung konnten sich einige Unternehmen etablieren – etwa der Wiener Impfstoffhersteller Biomay oder der Hersteller von Allergietest-Chips Phadia Austria.

Die Tradition der heimischen Allergieforschung lässt sich auf den Wiener Kinderarzt Clemens von Pirquet zurückführen, der 1906 den Begriff „Allergie“ geprägt hat.

Lexikon

Eine Allergie ist eine Überreaktion des Menschen auf körperfremde Proteine, die an sich ungefährlich sind. Beim Erstkontakt werden Antikörper des Typs IgE gebildet („Sensibilisierung“), die bei weiterem Kontakt allergische Reaktionen auslösen.

Die Symptome:
Hautausschläge, Schwellungen der Schleimhäute, Verdauungsprobleme, Atembeschwerden – bis hin zum lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock.

Viele Naturstoffe können Allergien auslösen – am verbreitetsten sind Pollen (Gräser, Birke, Ragweed), häufiger werden Allergien gegen tierische Lebensmittel – Eier, Fleisch, Fisch, Milch.

Manche Allergien treten gehäuft bei Säuglingen und Kleinkindern auf und „wachsen“ sich dann aus. Andere Allergien entwickeln sich mit höherem Lebensalter.

Nicht beteiligt ist
das Immunsystem bei Unverträglichkeiten von manchen Lebensmittelbestandteilen – etwa Fruktose, Laktose oder Histamin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2013)

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