Gesellschaftliches Tabu und Mangel an Therapieplätzen

Die Zahl der Schizophrenie-Erkrankungen ist überall gleich, wie man damit umgeht aber nicht. Experten schätzen, dass es in Österreich noch 20 Jahre dauern wird, bis man sie wie anderen psychische Krankheiten betrachtet.

Wie viele Menschen in Österreich an Schizophrenie leiden, lässt sich nur grob sagen. „Es gibt nur Prozentzahlen, die sind aber in ganz Europa gleich. Im Laufe eines Jahres leiden zwischen 0,34 und 0,6 Prozent der erwachsenen Bevölkerung an Schizophrenie. Im Lauf des Lebens eines Menschen ist ein Prozent davon betroffen“, sagt Johannes Wancata, Leiter der Klinischen Abteilung für Sozialpsychiatrie an der Medizinischen Universität Wien.

Wie viele Menschen, die unter Schizophrenie leiden, in Behandlung sind, lässt sich hingegen nur erahnen. Wancata spricht von jährlich 13.500 stationären Aufnahmen in ganz Österreich (2009) in psychiatrischen Abteilungen. Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger kam 2011 auf 14.009 stationäre Aufenthalte mit der Hauptdiagnose „Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen“ in österreichischen Fondskrankenanstalten. „Davon waren 7372 Aufenthalte – nicht Patienten – mit reiner Hauptdiagnose Schizophrenie“, so Sprecher Wilhelm Donner. Im Schnitt beträgt die Aufenthaltsdauer 25 Tage.


Nur zwölf Jugendpsychiater. Zahlen zu den ambulanten Behandlungen, also Therapien, gibt es allerdings nicht. Der vom Gesundheitsministerium herausgegebene Österreichische Schizophreniebericht 2008 (erstellt von Hans Rittmannsberger und Johannes Wancata) hält fest, dass sich die außerstationäre psychiatrische Versorgung in der Kompetenz der Länder befindet und deshalb keine Aussagen über deren Nutzung machen lässt. Eines lässt sich aber dennoch sagen: Ausreichend ist das Angebot an (kassenfinanzierten) Therapieplätzen, Früherkennung und Betreuung der Angehörigen bei Weitem nicht.

„Es gibt einige verbesserungswürdige Punkte in Österreich, etwa die gesellschaftliche Stigmatisierung oder der Mangel an Therapieplätzen auf Krankenkasse“, sagt Maria-Anna Pleischl, Präsidentin der Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie, die eine einheitliche Regelung für kassenfinanzierte Therapieplätze fordert. Besonders kritisch sei die Situation für Jugendliche. „In ganz Österreich haben wir zwölf Kinder- und Jugendpsychiater auf Krankenkasse“, so Pleischl. Speziell bei Schizophrenie sei aber eine Früherkennung wichtig – für den Patienten, aber auch für die Angehörigen. Aufgrund der Stigmatisierung werden heute immer noch Erkrankungen innerhalb einer Familie verheimlicht. „Diese Abwehr geht oft zulasten der Betreuungspersonen, meist der Mütter. Da kommt es zu furchtbaren Schicksalen in der ganzen Familie.“

Das gehe oft so weit, dass die Angehörigen selbst wegen der großen Belastung psychotherapeutisch behandelt werden müssen. „Da gibt es noch einen sehr großen Aufholbedarf“, so Pleischl. Sie fordert mehr Betreuung und ein Ende der Stigmatisierung, das nur durch Aufklärung erreicht werden kann. „Es ist wichtig zu wissen, dass das eine Spielart der Natur ist, es gibt keine Schuldigen.“


Unterstützung für Angehörige fehlt. Wancata ortet ebenfalls Bedarf bei der Betreuung der Angehörigen. „Umfragen haben ergeben, dass 80 Prozent der Angehörigen nicht die Unterstützung bekommen, die sie brauchen“, so Wancata. Er hat noch ein paar Zahlen zur Lebenssituation der an Schizophrenie erkrankten Menschen parat. 20 Prozent der chronisch Kranken leben in geschützten Wohneinheiten. Zirka 60 Prozent haben keine geregelte Beschäftigung, zehn bis 15 Prozent arbeiten in einer geschützten Arbeitsstätte. Lediglich unter zehn Prozent arbeitet Vollzeit auf dem freien Arbeitsmarkt, der Rest Teilzeit.

Wancata geht davon aus, dass es sicher noch 20 Jahre dauert, bis sich das Bild in der Öffentlichkeit verbessert. „Bei manchen psychotischen Erkrankungen wie Depression hat sich die Situation verbessert, das hat aber 30 Jahre gebraucht. Bei Schizophrenie tut sich erst seit dem Jahr 2000 etwas, das wird also noch dauern.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2013)

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