Aufstand gegen den Seniorenteller

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Ältere Menschen werden oft als hilfsbedürftige Kranke, verwirrte Omas und Opas oder gar als „demografische Zeitbomben“ wahrgenommen. Gegen die Formen der Altersdiskriminierung regt sich nun zunehmend Widerstand.

"Alte Schachtel." Es ist diese wenig charmante Zuschreibung, die derzeit in Graz auf Plakaten und Freecards zu sehen ist – mit Frauen über 50, die ihr Gesicht mit der einen oder anderen Falte ganz selbstbewusst gemeinsam mit diesem Slogan ablichten lassen. Die Aktion des Frauenservice Graz in Kooperation mit FH-Studierenden richtet sich gegen das aktuelle gesellschaftliche Leitbild, dass weibliche Schönheit ein Ablaufdatum hat – und gegen traditionelle Zuschreibungen für alte Frauen, sei es das der ältlichen Oma oder umgekehrt der ewig jungen, sportlichen Dame mit geglätteten Falten.

Die Aktion „Alte Schachtel?“ steht aber auch stellvertretend für eine neue Welle der Bewusstseinsbildung, die in der westlichen Gesellschaft zunehmend bemerkbar wird: den Kampf gegen die Diskriminierung der Alten. Gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit laufen seit Jahren Sensibilisierungskampagnen – vor allem auf sprachlicher Ebene hat sich hier auch schon ein starkes Bewusstsein gebildet, „Neger“ sagt man heute etwa einfach nicht mehr. Auch in Sachen Geschlechtergerechtigkeit gab es zahlreiche Initiativen und Versuche – die jüngere Generation verwendet etwa das Binnen-I schon ganz selbstverständlich. Und so wie Minderheiten und Migranten diskriminierende Sprache und Verhaltensweisen aufzeigen, wie Frauen Rollenklischees hinterfragen, melden sich nun auch zunehmend ältere Menschen zu Wort.

Der dazugehörige Begriff „Altersdiskriminierung“, oder auch „Ageism“, betrifft zwar nicht zwangsläufig nur alte Menschen – auch der „junge Hüpfer“, das Suggerieren von Jugend mit Infantilität und Naivität, fällt darunter. Doch kommt der zunehmende Widerstand gegen Diskriminierung wegen des Alters vorrangig vonseiten der älteren Generation. Was schon allein demografisch begründet ist – schließlich nimmt die Zahl der älteren Menschen deutlich zu. Und das obere Drittel der Alterspyramide – die eigentlich längst keine Pyramidenform mehr hat – ist ökonomisch stark und hat auch eine deutlich stärkere Lobby.

2,2 Millionen Senioren

Das Bundes-Seniorengesetz fasst unter dem Begriff „Senioren“ all jene Menschen zusammen, die eine Pension, gleichgültig welcher Art, beziehen oder die als Frau das 55. und als Mann das 60.Lebensjahr vollendet haben. Geht man nach dieser Definition, gibt es in Österreich derzeit rund 2,2 Millionen Senioren (s. Grafik)– das ist mehr als ein Viertel der österreichischen Bevölkerung. Eine Gruppe, deren Interessen politisch vom Österreichischen Seniorenrat vertreten werden – der sich in großkoalitionärer Übung vorrangig aus dem roten Pensionistenverband und dem schwarzen Seniorenbund zusammensetzt.

Neben dem Lobbying für die Interessen der älteren Menschen in Verhandlungen mit Regierung und politischen Organisationen versuchen Seniorenvertreter auch zunehmend, das Bild zu verändern, das in großen Teilen der Öffentlichkeit und den Medien vorherrscht.

„In einem Interview hat Rechnungshof-Präsident Josef Moser die Kosten für Zinsen und Staatsschulden mit den Kosten für die Pensionen unter dem Begriff ,vergangenheitsbezogene Kosten‘ zusammengezählt“, klagt Susanne Walpitscheker, stellvertretende Generalsekretärin des Seniorenbundes. „Das ist besonders diskriminierend – denn von dem Geld bestreiten heutige Pensionisten ihren Lebensunterhalt. Was bitte ist daran vergangenheitsbezogen?“ Auch mediale Schlagworte wie „explodierende Alterungskosten“ oder „demografische Zeitbombe“ stoßen ihr sauer auf. Alte Menschen dürften nicht immer nur als Belastung betrachtet werden. Noch dazu, da ältere Menschen zunehmend aktiv seien. Und ja, Hilfe und Pflege sind teuer – doch nur die wenigsten Senioren würden sie auch tatsächlich brauchen.

Abgesehen davon habe Österreich ein solidarisches Gesundheitssystem, das Risken im gesamten Lauf des Lebens ausgleichen soll. „Als Junger braucht man es wenig, dann wird es teurer, wenn man Kinder bekommt. Dann kommt lange wieder nichts – und im Alter beginnen die Kosten eben zu steigen“, sagt Walpitscheker. Doch dürfe man das den Alten nicht vorwerfen. Fakt ist allerdings auch, dass das solidarische System es nicht mehr komplett schafft, alle Kosten abzudecken – so muss der Bund etwa zu den Pensionen aus dem Budget derzeit rund zehn Milliarden Euro zuschießen.

Es sind aber nicht nur die Debatten um das Geld, es geht auch zunehmend um die Darstellung alter Menschen. So widmet sich etwa die Kommunikationswissenschaft immer stärker dem Thema Alter in den Medien (s. Interview unten) – von klischeehaften Fotos gebrechlicher und pflegebedürftiger Menschen bis zu Begrifflichkeiten wie „Mords-Oma“, die alten Menschen das Prädikat „skurril“ umhängen. Zuletzt fällte sogar der Österreichische Presserat das Urteil, dass Parteigründer Frank Stronach als „verwirrter Opa“ bezeichnet werden darf. Wobei Seniorenvertreter kritisieren, dass die zum Teil skurrilen Aussagen des 81-jährigen Austrokanadiers nicht etwa auf fehlende Erfahrung mit der österreichischen Innenpolitik, sondern ausschließlich auf sein Alter zurückgeführt werden.

Diskriminierung erleben ältere Menschen aber auch abseits der sprachlichen Ebene. Etwa bei ganz alltäglichen Verrichtungen wie einem Gang zur Bank oder dem Einkauf. „Ältere Menschen haben mehr Probleme, Automaten zu bedienen oder Banküberweisungen im Foyer zu betätigen“, sagt Christine Kneschar. Die Psychologin betreibt mit Generationen-Consulting ein Unternehmen, das die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer alternden Gesellschaft untersucht. Gerade die zunehmende Automatisierung, sagt sie, sei ein Problem für viele ältere Menschen. Der persönliche Kontakt, die persönliche Betreuung, die sie gern hätten, seien oft einfach nicht mehr vorgesehen.

Alte würden oft auch nicht ernst genommen: „Wir haben eine Studie gemacht, bei der ältere Menschen Smartphones kaufen sollten. Bei technischen Fragen sind sie meist belächelt worden – oder man hat ihnen gesagt, ihre Enkel sollten ihnen doch weiterhelfen.“ Ein Angebot, dass die Leute bei Fragen wieder ins Geschäft kommen sollten, habe es nicht gegeben.

Als diskriminierend erlebt werden allerdings auch Angebote, die speziell an Senioren gerichtet sind. Zwar hätten etwa in Gasthäusern viele Senioren den Wunsch, kleinere Portionen zu bestellen. Doch einen Seniorenteller zu bestellen falle vielen von ihnen schwer. Die Stoßrichtung vieler Seniorenvertreter geht hier in Richtung „Design for all“ – also Angebote, die nicht nur die Bedürfnisse von Senioren, sondern auch von anderen Gruppen erfüllen. Was beim Essen etwa bedeuten könnte, dass man statt des Seniorentellers einfach eine halbe Portion bestellen kann. Das könnten dann ja auch Eltern für ihre Kinder bestellen. Oder auch Menschen, die gerade nicht so großen Hunger haben.

Es muss aber nicht immer nur das Aufzeigen diskriminierender Verhaltensweisen sein – es gibt auch Projekte, die ältere Menschen einfach machen lassen und so das Bild der Alten positiv prägen. Charlotte Faist und Hannes Lewinski sind zwei Senioren, die genau an einem solchen Projekt mitwirken – die 72-Jährige und der 61-Jährige arbeiten in der „Vollpension“. Moriz Piffl und Michael Lanner, Betreiber des Maßjeans-Unternehmens Gebrüder Stitch, hatten die Idee, ältere Menschen nach deren Rezepten backen, die Gäste bewirten und damit in aktiven Kontakt mit der jüngeren Generation treten zu lassen.

Alles Klischees

Die mehrfach ausgezeichnete Aktion zur Generationenverständigung findet ab kommenden Freitag eine Fortsetzung – im Jeansgeschäft der Gebrüder werden Charlotte und Hannes, so wie auch andere Senioren, an den Adventwochenenden ein Café betreiben. „Über die ,Vollpension‘ können wir zeigen“, sagt der 61-Jährige, „dass all die Klischees über ältere Menschen nicht stimmen müssen.“ Denn eines, darauf legt die 72-jährige Charlotte wert, müsse gesagt werden: „Alt sein heißt nicht unbedingt, dass man schwach und krank ist.“

Klar ist auch, dass sich das Bild des Alters in den vergangenen Jahrzehnten massiv gewandelt hat. Konnte man früher Menschen aufgrund des Alters grob in Lebensphasen einteilen, fällt das heute schwerer. Das erste Kind mit Mitte 20? Ja, gibt es – aber genauso gibt es Jungväter in einem Alter, in dem man früher schon am Stock ging. Gibt es 70-Jährige, die aktiver sind, als so manche 50-Jährige vor ein paar Jahrzehnten waren. All das sind Indizien dafür, dass der Begriff Alter längst nicht mehr so eindimensional gesehen werden kann, wie er es oft noch wird. Und auch dafür, dass es in nächster Zeit wohl noch zahlreiche weitere Aktionen geben wird, um Altersdiskriminierung sichtbar zu machen. Auf die „alte Schachtel“ in Graz folgt ja vielleicht bald auch irgendwo der „Tattergreis“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2013)

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