Miriam Strauss: "Ich bin Angelina Jolie dankbar"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Angelina Jolie ließ sich aus Angst vor Krebs die Brüste abnehmen. Aktivistin Miriam Strauss, die sich ebenfalls einer Mastektomie unterziehen musste, ist froh über die Enttabuisierung.

Hat Angelina Jolies Operation einen Nachahmereffekt ausgelöst? Lassen sich jetzt mehr Frauen die Brust abnehmen?

Miriam Strauss: Es gibt mehr Frauen, die überlegen, diese Operation machen zu lassen. Was dazugekommen ist, ist dass das Thema enttabuisiert ist, es wird darüber gesprochen. Ich bin Frau Jolie dankbar, dass die Brustkrebspatientin nicht mehr die moribunde Patientin ist, die irgendwo in der Ecke stirbt, sondern eine voll im Leben stehende Frau, die halt subkutan mastektomiert ist. Was mir leid tut, ist, dass alles unter „Jolie-Methode“ läuft.

Weil ein Personenkult entsteht?

Nein, das ist kein Problem. Aber wenn sich ein berühmter Mensch eine Magenresektion hat vornehmen lassen, sagt man ja auch nicht, das ist zum Beispiel die „Schwarzenegger-Methode“.

Es gab die Befürchtung, dass nach Jolies Bekenntnis viele Frauen unnötigerweise Gentests machen oder sich gar die Brüste abnehmen lassen.

Es gibt Menschen, die machen sich primär Sorgen. Manche hätten ein viel größeres Risiko und machen sich keine. Aber Brustkrebs ist etwas, worüber viele Frauen besorgt sind. Nicht umsonst fürchten sich viele Frauen vor der Mammografie. Wenn Jolie dazu geführt hat, dass Frauen zur Mammografie gehen, ist das gut. Aber ich glaube, dass das ein vorübergehender Effekt ist.

Es gab Meldungen aus Deutschland, dass der Andrang zehnmal so groß war wie sonst, dass sogar pensionierte Ärzte für Gespräche zurückgeholt wurden.

Das ist das Wesen unserer Überinformationsgesellschaft, am Anfang gibt es einen Peak, dann pendelt es sich auf einem etwas höheren Niveau ein. Aber grundsätzlich mehr Leute in die Beratung zu holen, ist ja gescheit. Mehr Leute zu testen ist es nicht.

Wenn beraten wird, ist das Wichtigste also getan – der Test ist dann sekundär?

Das ist genau das Thema. Dazu gibt es Beratung und ganz klare Kriterien für einen derart aufwendigen Test. Man wartet ja Monate, bis man drankommt und weitere Monate, bis das Ergebnis da ist. Da wird eine Gensequenz dekodiert, das ist sehr aufwendig.

Inwieweit ist es eine Belastung, wenn man so lange warten muss – und wenn dann der Test tatsächlich ein hohes Risiko aufweist.

Für manche Leute ist es eine wahnsinnige Belastung, wenn sie hören, dass sie genetisch positiv sind. Es ist aber kein Todesurteil. Aber wir wissen, dass wir irgendwann sterben – so ein Test zeigt mir nur, was ich immer im Hinterkopf habe. Gerade beim Mammakarzinom habe ich ja Zeit – in den meisten Fällen. Ob ich jetzt drei Monate früher oder später draufkomme, positiv zu sein, spielt eigentlich keine Rolle.

Ist das Risiko festgestellt, stellt sich trotzdem die Frage: Operation oder nicht?

Die Frage ist, wie wir generell mit Risiko umgehen. Das machen die meisten Menschen nicht rational. Wir fürchten uns vor dem Fliegen, aber ins Auto steigen wir ein – obwohl das Risiko beim Autofahren viel höher ist. Aber konkret: Wenn jemand jeden Tag mit dem Gedanken aufwacht: „Oh Gott“, würde ich dringend zu einer Operation raten. Wenn jemand sagt, ich lass das halt jedes halbe Jahr kontrollieren, ist es etwas anderes.

Aber sich die Brüste abnehmen zu lassen, ist ja auch keine einfache Entscheidung.

Bei jungen Frauen stellt sich die Frage, will ich noch Kinder bekommen, will ich stillen? Und natürlich ist die Brust ein Sexualorgan und etwas höchst Intimes. Es gibt Frauen, für die das ein viel größeres Problem ist als das Karzinom selbst. Und genetisch positive Frauen sind eher in Gefahr, jung ein Karzinom zu bekommen. Die jüngste, die ich kenne, ist 21, viele sind noch nicht 40.

Wer hilft bei einer solchen Entscheidung?

Da gibt es Beratungsärzte. Und abseits des medizinischen und psychologischen Inputs ist es enorm wichtig, dass betroffene Frauen zur Verfügung stehen, wenn man sich persönlich austauschen möchte, per Telefon, per E-Mail, aber auch persönlich.

Nicht jede Frau kann wie Angelina Jolie drei Monate abtauchen und sich in einer Privatklinik behandeln zu lassen.

Wenn eine Frau in eine Notsituation kommt, gibt es Geld von der Krebshilfe. Nur wird das noch unmittelbar zu wenig vom Krankenhaus angeschaut. Da wird nicht einmal gefragt, wie man abgeholt wird. Da müssen wir noch an der Awareness arbeiten. Aber vonseiten der Gesundheitsversorgung in Österreich muss man sagen: Hut ab. Nicht nur, dass es keine Frage ist, dass man den Krankenstand bezahlt bekommt, sondern auch die Mastektomie und den kosmetischen Aufbau, was nicht selbstverständlich ist – in England wäre das ein Privatvergnügen.

Es hapert also im persönlichen Umgang?

Es wird vonseiten des medizinischen Systems zu wenig drauf geschaut, wie die Gesamtsituation der Frau ist. Wir haben viele Hilfsorganisationen mit dem entsprechenden Know-how, aber es wird nicht in der Anamnese erhoben. Etwa, wie man es den Kindern mitteilt. Da gibt es tolle Bücher, aber es gibt nicht das Selbstverständnis des Arztes, der danach fragt und an die richtigen Stellen weiterleitet. Da ist die Mentalität: Das ist nicht mein Job. Man misst lieber zwanzigmal Blutdruck.

Kann man das Risiko durch seine Lebensweise minimieren?

Gesünder leben, weniger essen, weniger Alkohol, mehr Sport, nicht rauchen. Aber wenn Sie mich anschauen, ich bin normalgewichtig, sehr sportlich und ernähre mich gesund. Garantie gibt es also keine. Und was noch helfen würde: Viele Kinder bekommen, möglichst lange stillen – unsere westliche Lebensweise mit früher erster Regelblutung, späten ersten Kindern, wenigen Kindern, später Menopause bedeutet viel Östrogen im Lauf eines Lebens. Aber man wird jetzt sicher nicht acht Kinder bekommen, nur um das Risiko eines Mammakarzinoms zu verringern.

Steckbrief

Miriam Strauss
ist selbstständige Unternehmensentwicklerin in Wien und Präsidentin der österreichischen Plattform von Europa Donna – Netzwerk Brustkrebs. Ihr wurden vor rund zwei Jahren beide Brüste entfernt.

www.europadonna.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2013)

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