Gekürte Pflanzenstars mit viel Wirkung

Melisse
Melisse (c) Wikipedia
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Vor den Vorhang: Anis, Melisse und Spitzwegerich wurden zur Arznei-, Duft- und Heilpflanze des Jahres 2014 gewählt. Auch von kompetenter EU-Stelle werden diesem Pflanzentrio medizinische Wirkungen bescheinigt.

Wer Ouzo mag, mag auch Pimpinella anisum L., zu Deutsch Anis – und der ist die Arzneipflanze des Jahres 2014. Zur heurigen Heilpflanze hat es der Spitzwegerich, zur Duftpflanze des Jahres die Melisse gebracht. Gemeinsam ist dem Trio, dass es sich bei allen um alte, klassische Arzneipflanzen handelt, deren Anwendung eindeutig empfohlen wird. Das Herbal Medicinal Products Committee der European Medicine Agency (EMA), das die Aufgabe hat, Arzneipflanzen zu evaluieren, hat allen drei gekürten Pflanzen ein positives Zeugnis hinsichtlich ihrer medizinischen Wirkungen ausgestellt. Der Unterschied liegt im Detail. Das Neueste zur Melisse, der Duftpflanze des Jahres 2014: „Melissenextrakt hat einen leicht cholesterinsenkenden Effekt, auch der Zuckerspiegel geht damit herunter“, zitiert Rudolf Bauer, Vorstand des Instituts für pharmazeutische Wissenschaften, Department Pharmakognosie, der Karl-Franzens-Universität Graz eine wissenschaftliche Studie aus Deutschland. Bekannt seit der Antike indes ist die beruhigende Wirkung von Melisse. Den Lippenblütler kennen wohl viele auch durch Klosterfrau-Melissengeist, seit dem 17. Jahrhundert beliebtes Volksarzneimittel, das bei Magen- und Darmbeschwerden, Erkältung, Appetitlosigkeit und innerer Unruhe eingesetzt wird.

Beruhigt und belebt.
Eine wissenschaftlich nachgewiesene Wirkung hat die mehrjährige Pflanze – etwa in Form von Tee, Badezusatz oder Extrakt – unter anderem auch bei nervös bedingten Einschlaf- sowie bei psychovegetativen Störungen. „Die Rosmarinsäure und gewisse Gerbstoffe der Melisse wirken zudem antibakteriell und antiviral“, ergänzt Bauer.

„Wir haben die Melisse auch deswegen zur Duftpflanze des Jahres gewählt, weil wir damit auf das Bienensterben aufmerksam machen wollen“, betont Ingrid Karner, Vorsitzende der Vereinigung für Aromapflege und gewerbliche Aromapraktiker (Vaga). Bienen lieben die Melisse – aufgrund ihres Reichtums an Nektar –, weswegen der Volksmund auch von Bienenkraut spricht. Aber auch Herztrost wird die Melisse gern genannt – Hildegard von Bingen etwa empfahl sie zur Stärkung des Herzens.

Melissa officinalis ist übrigens der botanische Namen der echten Melisse, vielen auch als Zitronenmelisse geläufig. Und die wird oft unterschätzt: Wenn Zitronenmelisse auch wächst wie Unkraut, ist ihr ätherisches Öl dennoch relativ teuer (ein Milliliter kostet 20 bis 25 Euro). Um einiges billiger ist das Öl von Cymbopogon winterianus (fälschlich auch Melissa indicum genannt; sieben bis acht Euro). „Es handelt sich dabei in der Regel um Citronella- oder Lemongrasöl“, macht Karner aufmerksam. „Das riecht zwar sehr ähnlich, hat aber ganz andere Wirkungen. Ich verwende Zitronengras-Öl gern als Zusatz zu Putzmitteln und gegen Insekten.“

Das ätherische Öl der echten Melisse wirkt hingegen entzündungshemmend und krampflösend. Es kann aber noch etwas ganz Besonderes: Es wirkt beruhigend, entspannend und ist hervorragend gegen Stress. Ist aber jemand niedergeschlagen, kann es auch beleben und aufmuntern. Öle mit dieser angenehmen Doppelfunktion nennt man auch Merkuröle. Das Merkuröl Melisse setzt noch eines drauf und hat auch einen gewissen blutdrucksenkenden Effekt – und entpuppt sich zudem als potenter Schmerzkiller.

Auch Anis, die Heilpflanze 2014, ist an sich eine Aromapflanze. Wie Melisse wirkt auch Pimpinella anisum L. entkrampfend, wird aber auch gegen Blähungen und zur Förderung der Verdauung eingesetzt. Letztere haben etliche vielleicht auch schon mit Ouzo oder Raki unterstützt, die beide Anisöl enthalten. Und was der Verdauung hilft, erzeugt beim Anisschnaps, mischt man ihn mit Wasser, auch die milchige Trübung. Bauer: „Es ist das Anethol, welches in wässriger Lösung auskristallisiert und die erwähnte Trübung verursacht.“ Auch heiß bietet Anis Benefits: Tees (und auch andere Anispräparate) sind effizient und anerkannt bei Magen- und Darmkrämpfen sowie bei Husten und Katarrhen der Lunge.

Die neueste (Doppelblind-)Studie zum Doldenblütler Anis kommt aus dem Iran und beschäftigt sich interessanterweise mit Frauen im Wechsel: Betroffene, die Extrakte dieses Küchengewürzes erhielten, litten weniger unter Hitzewallungen. Die Volksmedizin schreibt Anis zudem aphrodisierende und milchbildende Wirkung bei stillenden Müttern zu. Bei Ausgrabungen im römischen Kolosseum hat man übrigens Anisfrüchte (das ist das, was wir schlechthin als Anis kennen) gefunden: Sie stammten vom Anisgebäck, das Zuschauer bei Gladiatorenkämpfen zur Beruhigung ihrer Nerven knabberten. Die Hyde-Seite dieser Pflanze mit dem markanten Geschmack: Vereinzelt kann sie auch allergische Reaktionen auslösen. Und immer wieder wird der echte Anis vom ertragreicheren Sternanis (Illicium verum) abgelöst, der jedoch eine völlig andere Pflanze ist.

Unscheinbar und bei Nichtkennern gar als Unkraut verrufen hat es die Arzneipflanze des Jahres 2014 in sich – Spitzwegerich, schon seit ewigen Zeiten als Heilpflanze beliebt. Erste Aufzeichnungen finden sich schon in der Antike: Der griechische Arzt Dioskurides (1. Jahrhundert) empfahl bei Fieber Spitzwegerichwurzeln, in Wasser und Wein gekocht. Apropos: Die jungen Blätter machen sich gut in Salaten. Als Saft, Tropfen, Sirup oder Tee lindert die Rosettenpflanze Husten, Erkältungen, Katarrhe der Luftwege, Entzündungen von Mund- und Rachenschleimhaut. Die (wissenschaftliche) Erklärung dazu: Die Polysaccharide von Plantago lanceolata legen sich über entzündete Areale und Schleimhäute und bringen so Linderung auf mechanischem Weg. Phenolische Verbindungen wirken zusätzlich antioxidativ und damit auch entzündungshemmend. Die sogenannten Iridoide sind zudem in der Lage, Bakterien zu bekämpfen. Im Zweiten Weltkrieg wurden Wunden deshalb mit Spitzwegerich als „Antibiotikum“ versorgt. Die unscheinbare Pflanze kann aber noch mehr: Ihre Gerbstoffe wirken adstringierend und blutstillend – seine blutstillende Wirkung wurde übrigens schon im Mittelalter gelobt.

Abschließend greift Bauer noch in Großmutters Wissensschatz und verrät ein gutes, altes Hausmittel: „Nach Bienen- oder Gelsenstich ein Spitzwegerich-Blatt zerreiben und auf die Einstichstelle drücken. Das vertreibt Schwellung und Juckreiz.“

Pflanzen im Wettstreit

DIE JUROREN UND DER WETTBEWERB

Warum wird gewählt? Um Pflanzen und ihre Heilwirkung bekannter zu machen, werden jährlich einige zu „Stars“ gekürt.
Die Duftpflanze des Jahres wird erst seit 2013 gewählt – von der österreichischen Vereinigung für Aromapflege und gewerbliche Aromapraktiker (Vaga).
Die Heilpflanze des Jahres wird in Deutschland seit 1990 jährlich ausgerufen – seit 2003 vom Verein NHV Theophrastus (Verein zur Förderung der naturgemäßen Heilweise nach Theophrastus Bombastus von Hohenheim, bekannter als Paracelsus).
Die Arzneipflanze des Jahres wird seit 1999 gekürt, und zwar durch den interdisziplinären Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzen am Institut für Geschichte der Medizin der Universität Würzburg. Zum Mitmachen. Die Vaga (Vereinigung für Aromapflege und gewerbliche Aromapraktiker) ruft auch heuer wieder zu einem Wettbewerb rund um die Melisse auf. Es gibt sechs Bereiche, in denen Interessierte antreten können: Kulinarik und Genuss, Gartenbau und Landwirtschaft, Kunst und Handwerk, Kultur und Geschichte, Gewerbe, Wissenschaft und Medizin. Näheres zum Bewerb und die Vorjahressieger ist unter www.duftpflanzedesjahres.at sowie unter www.thescenteddrop.eu/?page_id=574 zu finden.

Lesenswert

Als Tonikum für den gesamten Organismus bezeichnet Klaus Oberbeil die Zitronenmelisse in dem Buch „Kräuter & Gewürze“ als Medizin“ (Systemed Verlag, 240 Seiten, 15 €).

Auch einen Tee gegen Reizhusten mit Spitzwegerich und anderem blättert das Buch „Meine besten Heilpflanzen-Rezepte“ auf (Melanie Wenzel, Gräfe und Unzer Verlag, 240 Seiten, 20,60 €).

Melissenöl gibt Ingeborg Josel u. a. in einen Lippenbalsam gegen Fieberblasen in „Cremes & Salben selbst gerührt“ (Leopold Stocker Verlag, 160 Seiten, 19,90 €).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2014)

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