Die Vermessung von Glück und Urin

Die Vermessung von Glück und Urin
Die Vermessung von Glück und UrinReuters
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Der eine checkt seinen Stresspegel, der andere testet mit dem Smartphone sein Trinkverhalten. Die Selbstüberwachung erreicht eine neue Dimension.

Zähne putzen, Gesicht waschen, gute Laune messen. Klingt absurd, ist für manche aber selbstverständlich. Fitness-Apps, mit denen Nutzer ihr Lauftempo oder ihre täglichen Schritte messen können, sind beliebt - und der Trend zur Selbstoptimierung treibt noch andere Blüten.

Schon mal das persönliche Wohlbefinden gemessen? Oder per Smartphone den eigenen Urin analysiert? Dann aber wenigstens den täglichen Alkoholkonsum? "Wenn man die Chance hat, etwas zu messen, kann man es scheinbar managen", sagt Trendforscher Peter Wippermann, der ein Buch über "Das Zeitalter der Selbstoptimierer" herausgegeben hat. Seine Prognose: In den nächsten Jahren wird das sogenannte Self Tracking (Selbstüberwachung) eine neue Dimension erreichen. "In einer Gesellschaft, in der jeder viel mehr Leistung erbringen muss, bedeutet es einen Vorteil, einen gesunden Körper zu haben."

Krankheitscheck anhand von Urin-Fotos

Apps zur vermeintlichen Verbesserung von Leben und Gesundheit gibt es genug. Wippermann nennt etwa "Play-it-down", mit der Nutzer ihr Gehör testen können. Die Telekom hat zudem die App "Stress Manager" herausgebracht, die helfen soll, den eigenen Stresspegel unter Kontrolle zu halten. Für eher Hartgesottene dürfte indes die Applikation "Uchek" sein: Sie bestimmt - so das Versprechen - Krankheiten anhand von Fotos des Urins. Hinzu kommen Internetseiten wie "Trackyourhappiness" oder "Moodscope", mit denen Nutzer ihre Stimmung messen können. Die Webseite "Drinking Diary" wiederum soll helfen, den eigenen Alkoholkonsum zu überwachen.

Aber ist all das wirklich sinnvoll? "Es ist erst einmal zu begrüßen, wenn Menschen sich mit ihrer Gesundheit beschäftigen", sagt Johannes Schenkel, der bei der deutschen Ärztekammer für Telemedizin zuständig ist. "Allerdings macht es die große Flut an Apps schwierig herauszufinden, welche wirklich nutzbringend sind." Zudem sei der Effekt wissenschaftlich noch nicht ausreichend untersucht. "Es gibt Apps, mit denen man Fotos von Hautveränderungen machen kann. Wir wissen nicht genau, nach welchen Kriterien die Aufnahmen bewertet werden", sagt der Mediziner. "Am Ende ist es möglicherweise doch der Hautkrebs und es ist wertvolle Zeit vergangen, bis der Patient zum Arzt gegangen ist."

Was, wenn die App nervt?

Dabei kann der Selbstoptimierungswahn auch Vorteile haben - nämlich dann, wenn die Daten an Fachleute übermittelt werden. Die Central Krankenversicherung in Köln etwa stattet Diabetes-Patienten vom Typ 2 mit einem iPhone, einem Schrittzähler und einem Blutzuckermessgerät aus, um die Krankheit besser überwachen zu können.

Trendforscher Wippermann glaubt, dass die einzelnen Auswüchse der Selbstüberwachung bald zusammengeführt werden. "Die Zukunft gehört den ganzheitlichen Messinstrumenten, die die körperliche, geistige und seelische Gesundheit scannen." Eine App namens Reporter etwa fragt schon mehrere Aspekte wie Wetter, gemachte Schritte und die Gesellschaft, in der man sich befindet, ab. Nutzer können so genau verfolgen, was ihren Tag positiv oder negativ beeinflusst. Manchmal nervt aber auch die Anwendung selbst: "Sie fragt mich jeden Tag dieselben fünf Fragen - und manchmal auch in der Nacht", beschwert sich etwa ein Nutzer auf iTunes. "Das ist langweilig."

Eine Leben aus Glas

Mit dem Self-Tracking, also dem Sammeln von Daten über sich selbst, geht man natürlich auch ein gewisses Risiko ein. Digitale Tagebücher sind in Zeiten der NSA-Affäre wahrscheinlich nicht so sicher wie man hofft. Und nicht jeder Nutzer setzt sich beim Download automatisch damit auseinander, wer seine App anbietet und welche Interessen dahinter stehen. Die freiwillige Selbstvermessung spielt Unternehmen, Krankenkassen und anderen interessierten Institutionen in die Karten, da müssen wir uns nichts vormachen. 

(APA/dpa/sh.)

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