Schelling: „Mehr Wettbewerb bei den Krankenkassen zulassen“

PK PR�SENTATION DER ARZNEI & VERNUNFT LEITLINIE ´ANTIKOAGULANTIEN´: SCHELLING
PK PR�SENTATION DER ARZNEI & VERNUNFT LEITLINIE ´ANTIKOAGULANTIEN´: SCHELLING(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Der Datenschutz sei ein schlechtes Argument gegen ELGA, sagt Sozialversicherungs-Chef Schelling. PCs von Ärzten wären leichter zu hacken.

Die Presse: Haben Sie einen Überblick, wie viele Personen sich mittlerweile von ELGA, der Elektronischen Gesundheitsakte, abgemeldet haben?

Hans Jörg Schelling: Um die 50.000 sind bereits draußen. Wenn alle Anträge abgearbeitet sind, werden wir bei rund 80.000 liegen.

Dabei ist die Abmeldung von ELGA mit einem enormen bürokratischen Aufwand verbunden – als wollte man es den Patienten möglichst schwer machen.

Dieser Eindruck täuscht. Wenn man eine Bürgerkarte hat, geht das ganz schnell.

Aber kaum jemand hat eine. Die meisten wissen gar nicht, dass es so etwas gibt.

Es ist jetzt etwas leichter geworden mit der Handysignatur. Aber ich erinnere daran, dass wir gesetzgeberische Aufgaben zu erfüllen und deshalb keinen Spielraum haben.

Haben Sie an der Gesetzwerdung nicht mitgearbeitet?

Schon, aber da ist es in erster Linie darum gegangen, ein funktionstüchtiges System herzustellen. Die Abmeldung ist durch eine Verordnung des Ministeriums geregelt. Und dass man in so einem Prozess die Identität der Personen überprüfen muss, ist wohl klar.

Das ist aber nicht die einzige Hürde bei der Abmeldung.

Ich bleibe dabei: Die Abmeldung ist relativ einfach. Wer keine Bürgerkarte hat, kann uns einen Brief schreiben. Wenn das ausgefüllte Formular und eine Kopie des Lichtbildausweises beigelegt sind, wird man abgemeldet. Außerdem wurde auch eine Hotline eingerichtet, die Montag bis Freitag besetzt ist.

Wäre es nicht fairer bzw. weniger bevormundend gewesen, ELGA so zu regeln, dass man sich anmelden muss, wenn man mitmachen will? Also eine Opt-in-Lösung. Jetzt muss man sich abmelden, sonst ist man automatisch dabei.

Die Eigenverantwortung des Bürgers im Bereich Gesundheit würde ich jetzt einmal mit einem Fragezeichen versehen. Bei der Prävention ist Österreich ja nicht gerade Weltmeister. Allerdings wird der Versicherte durch ELGA wieder Herr seiner Befunde, weil er sie online selbst verwalten und damit nachvollziehen kann, wer sie eingesehen hat.

Wie halten Sie es mit dem Datenschutz in ELGA? Wenn man den Hausärzten Glauben schenkt, steht uns Chaos bevor.

Die Patientendaten sind doch jetzt schon bei den Hausärzten gespeichert. Und den PC eines einzelnen Arztes hackt ein Spezialist sicher schneller als ein Hochleistungssystem, das wir gebaut haben. Oder ein anderes Beispiel: Facharztbefunde werden in der Regel per E-Mail an den Hausarzt geschickt. Auch das ist nicht gerade das sicherste System, wie wir alle wissen. Der Datenschutz ist also ein mäßiges Argument gegen ELGA.

Wovor fürchten sich die Ärzte dann?

Der Datenschutz ist nur ein Vorwand einiger radikalisierender Ärzte, die ihre Vertrauensbeziehung zum Patienten missbrauchen. In Wahrheit fürchten sie sich vor Transparenz. Durch ELGA wird die ärztliche Arbeit für den Patienten nachvollziehbarer.

Wie wäre es, auch das Kassensystem für den Patienten transparenter und einfacher zu machen? Finden Sie 22 Krankenkassen noch zeitgemäß, wo alle von Einsparungen und Verwaltungsreformen reden?

Die Verwaltungskosten in der Sozialversicherung liegen bei drei Prozent, das soll uns einmal jemand nachmachen. Alles Weitere muss das Parlament beurteilen, nicht wir.

Aber Ihre Meinung würde man im Parlament sicher gerne hören.

Ich erinnere nur daran, dass der Versuch, die Bauern- und die Selbstständigenkasse zusammenzuschalten, schon einmal gescheitert ist – übrigens an der Ärztekammer, nämlich an der Honorarordnung.

Man könnte die Bauern- und die Selbstständigenkasse zum Beispiel den Gebietskrankenkassen eingliedern.

Das würde ich nicht machen, weil ich mir damit so viele Probleme einhandeln würde, dass ich mir am Ende denken würde: Was hat sich jetzt eigentlich verbessert?

Politische Probleme?

Nicht nur, auch technische. Ein Beispiel: Die bundesweiten Träger, also Beamte, Eisenbahn, Bergbau, Bauern und gewerbliche Wirtschaft, haben Selbstbehalte. Was geschieht, wenn wir die mit den Gebietskrankenkassen zusammenlegen? Hat dann keiner mehr einen Selbstbehalt? Oder alle? Diese Entscheidungen sind zu treffen, und da muss ich mir der Konsequenzen bewusst sein.

Wäre eine Reform zu kompliziert?

Es gibt Argumente für Kassenfusionen und dagegen. Dafür spricht, dass wir dann ein einheitliches System und einheitliche Honorierungen hätten. Andererseits gibt es jetzt trotz der Pflichtversicherung einen gewissen Wettbewerb. Die Kassen schauen sehr wohl, was die anderen machen und lernen voneinander. Es gibt übrigens auch 700 Kollektivverträge – und das durchaus berechtigt.

Sind Sie nun für oder gegen Fusionen?

Ich halte mich lieber aus der Diskussion raus.

Wieso?

Weil ich jetzt keine Baustellen aufmache, die zu unnützen Diskussionen führen. In Österreich funktioniert nun einmal nichts revolutionär, sondern alles evolutionär.

Und wie stehen Sie zur freien Kassenwahl? Als Vizepräsident der Wirtschaftskammer, die so gerne den freien Markt predigt, müssten Sie eigentlich dafür sein.

In Deutschland ist das Experiment „Versicherungspflicht statt Pflichtversicherung“ nicht besonders gut gegangen. Die Versicherung kann dem Kunden kündigen, ihm Auflagen machen wie bei der Auto-Haftpflichtversicherung. Wir können das nicht. Andererseits gibt es bei uns keine Wahlfreiheit. Daher war ich immer der Meinung, man könnte zumindest ein bisschen mehr Wettbewerb ermöglichen.

Nämlich wie?

Ich würde durchaus zulassen, dass Sie sich – wenn Sie in Wien beschäftigt sind – Ihre Gebietskrankenkasse selber aussuchen können. Zum Beispiel die burgenländische. Dazu brauche ich keine neuen Strukturen, das ginge in den bestehenden.

Und wäre das intern, also bei den Sozialversicherungsträgern, durchsetzbar?

Es sollte zumindest keine Denk- und Diskussionsverbote geben.

AUF EINEN BLICK

Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger ist die Dachorganisation aller Sozialversicherungen, also Pensions-, Unfall- und Krankenversicherungen. Über seine Konten fließen jährlich 42 Milliarden Euro.

Hans Jörg Schelling ist seit 2009 Vorsitzender des Hauptverbands. Davor war er u. a. Nationalratsabgeordneter der ÖVP. Seit 2004 ist der 60-Jährige auch Vizepräsident der Wirtschaftskammer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2014)

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