Der tägliche Schmerz im Kopf

Anita Steiner
Anita SteinerDie Presse
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70 Prozent aller Österreicher leiden ein Mal pro Monat an Kopfweh. Die Suche nach der richtigen Therapie kann wie bei Anita Steiner lange dauern.

Das war kein Leben mehr: Die täglichen starken Kopfschmerzen trieben Anita Steiner fast in den Wahnsinn: „Jeder Luftzug hat wehgetan, und nichts hat geholfen, egal, was ich tat“, berichtet die 45-Jährige, die mit ihrem Mann gemeinsam eine Trafik in Wien führt. Das permanente Kopfweh vergällte der Frau fast alles. „Nichts mehr machte mir Freude, kein Theater, kein Kino, kein Urlaub.“ Steiner kennt Kopfschmerz und Migräne seit mehr als 30 Jahren. „Die täglichen Schmerzen begannen aber erst vor rund fünf Jahren.“

Tägliches Kopfweh ist in der Regel selten, gelegentliche oder regelmäßige Schmerzen sind weit verbreitet. „90 Prozent der Österreicher ab 15 hatten schon mindestens ein Mal Kopfweh in ihrem Leben, 70 Prozent leiden darunter zumindest ein Mal im Monat und drei bis fünf Prozent an chronischen Kopfschmerzen, das heißt, es gibt mehr Tage mit als ohne Kopfweh. „Das ist sehr belastend“, sagte der Neurologe Christian Wöber, Leiter der Kopfschmwerzambulanz am AKH Wien, auf einer Fortbildungswoche der österreichischen Apothekerkammer.

Kopfschmerz beim Orgasmus

Es gibt mehr als 200 verschiedene Kopfweharten. Bedrohliche Ursachen sind selten. „Wenn allerdings Schmerzen auftreten, die man nie zuvor im Leben hatte, sollte man sofort ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen, denn es könnte eine gefährliche Krankheit dahinterstecken“, so Wöber. In den meisten Fällen harmlos sei der Orgasmuskopfschmerz, der knapp vor oder während eines Orgasmus auftritt, schier explosionsartig. „Die genaue Ursache dafür ist nicht bekannt. Offensichtlich hat er aber mit Druckveränderungen und/oder muskulären Verspannungen im Hals zu tun.“ Wenn Orgasmuskopfschmerz das erste Mal auftritt, sollte man allerdings Vorsicht walten lassen, rät der Experte. „Es könnte sich auch um eine Hirnblutung handeln. Denn beim Sex steigt ja normalerweise der Blutdruck, und das könnte zu einer Hirnblutung führen. Das kann auch in jüngeren Jahren passieren.“

Weit häufiger als das sexbedingte Pochen und Rumoren im Kopf sind jedoch Migräne und Spannungskopfschmerz. Letzterer ist der häufigste Kopfschmerz, etwa 25 bis 40 Prozent aller Erwachsenen leiden unter der durch muskuläre Verspannung und psychische Anspannung ausgelösten Schmerzform. „Stress kann durchaus ein Auslöser oder Verstärker von Spannungskopfschmerz sein.“ Und weil der Schmerz eher leicht bis mäßig ist, kurieren ihn viele Betroffene selbst, nehmen mehr oder weniger regelmäßig Schmerzmittel, schlucken Pulver.

Hauptursache: Verspannung

Und dann geht es relativ rasch: Ehe man sichs versieht ist aus dem Spannungskopfschmerz ein medikamentenbedingter Kopfschmerz geworden. „Wir raten daher, bei nicht allzu starken Schmerzen nicht ständig Medikamente zu nehmen, jedenfalls nicht öfter als an zwei Tagen pro Woche.“ Günstiger sei es, Pfefferminzöl an den Schläfen einzureiben und vorbeugend schmerzmodulierende Mittel wie Antidepressiva zu schlucken oder es mit Entspannungsübungen, Biofeedback oder Akupunktur zu versuchen.

Akupunktur kann auch bei der zweithäufigsten Form des Kopfschmerzes, der Migräne, helfen. Facharzt Wöber sagt, Migräne sei noch immer unterdiagnostiziert und untertherapiert. „Etwa zehn bis 15 Prozent aller Erwachsenen leiden an Migräne.“ Bei dieser chronischen Erkrankung handelt es sich um eine über Nervenimpulse vermittelte Entzündungsreaktion in der Hirnhaut. „Die Migräne hört auch ohne Medikamente wieder auf, aber das würde dann oft Tage andauern.“ Frauen leiden etwa 2,5-mal so häufig an diesem Kopfschmerz, der oft mit Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Lärmempfindlichkeit einhergeht, als Männer. Am häufigsten sind Frauen zwischen dem 25. und 50. Lebensjahr davon betroffen.

Wenn bei der chronischen Migräne gängige Medikamente nicht mehr helfen, kann eine Botox-Therapie angezeigt sein oder eine Operation, bei der Impulsgeber in den Kopf implantiert werden, die Nerven stimulieren und so den Schmerz bekämpfen sollen. Bei Anita Steiner hat selbst diese Operation nichts geholfen. Und Wöber gibt zu: „Die Patientin zählt zu den Ausnahmen, bei denen wir an die Grenzen unserer Therapiemöglichkeiten stoßen.“


Wasser trinken! Viel leichter zu therapieren ist da Kopfschmerz, dem Flüssigkeitsmangel zugrunde liegt. Dass zu viel Bier oder Wein zu Kopfschmerzen führen kann, ist wohlbekannt. Überraschend ist hingegen, was Wöber und Kollegen in einer Studie herausgefunden haben: Einigen Migränepatienten half es, wenn sie sofort ein Bier tranken, sobald sich eine Migräneattacke ankündigte. „Das konnte den Anfall abschwächen oder sogar verhindern“, berichtet Wöber, „bei einigen Patienten jedenfalls.“ Fast alle Patienten profitieren von einem Ausdauertraining, also Joggen, Radfahren oder Schwimmen. „Wer das in kopfschmerzfreien Zeiten tut, betreibt damit Prophylaxe und kann sich so viele Schmerzstunden ersparen.“

Und der Experte betont: Keine Kopfschmerztherapie dürfe einem starren Schema folgen. Sie müsse auf den Einzelnen abgestimmt werden, nicht jedem helfe dasselbe. Anita Steiner hat letztlich eine Therapie mit ziemlich hoher Dosis eines bestimmten Medikamentes geholfen. „Sehr unüblich, aber das war das Einzige, worauf die Patientin angesprochen hat“, sagt Wöber. Komplett kopfschmerzfrei ist sie nicht, die zwei bis drei Kopfwehtage im Monat bedeuten für sie aber schon ein neues Lebensgefühl.

200 Arten von Kopfweh

Häufigste Kopfschmerzform ist der Spannungskopfschmerz.

Gefolgt
von Migräne (altgriechisch für „halber Schädel“), ein periodisch wiederkehrender, anfallartiger und oft halbseitiger Schmerz.

Kopfschmerz durch Essen und (Nicht-)Trinken: Zu wenig Flüssigkeit kann ebenso zu Kopfweh führen wie Koffeinentzug oder zu viel Alkohol. Der Kopfschmerz durch Histaminunverträglichkeit wird immer wieder diskutiert, ist aber wissenschaftlich nicht bewiesen.

Orgasmuskopfschmerz (siehe Text).

Und sonst? Auslöser für Kopfschmerz kann Husten, ein Kältereiz oder körperliche Anstrengung sein. Seltener kann Kopfschmerz auch ein Symptom gefährlicher Ursache wie Hirnhautentzündung, Gehirntumor oder Schlaganfall sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2014)

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