Neuro-Gastroenterologie: Sorgen legen den Verdauungstrakt lahm

(c) AP (Diether Endlicher)
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Neue medizinische Sub-Disziplin: Die Neuro-Gastroenterologie beschäftigt sich mit dem „Bauch-Hirn“ und mit psychischen und Nerven-bedingten Faktoren funktioneller Magen-Darm-Störungen.

Sie haben nichts“, konstatiert der Arzt und hinterlässt eine verunsicherte, verzweifelte Patientin. Auch bei der fünften Untersuchung wurde organisch nichts gefunden. Aber die ständigen Beschwerden – Blähungen, Durchfall, dann wieder Verstopfungen, Magendrücken, Bauchkrämpfe – sind keine Einbildung.

Bei derlei Symptomen handelt es sich oft um „funktionelle gastrointestinale Störungen“ (FGIS), zu denen unter anderem Reizmagen und Reizdarm-Syndrom gehören. FGIS sind absolut keine Seltenheit – bis zu 35 Prozent Prozent der Bevölkerung leiden darunter. „Manche so stark, dass sie Selbstmordgedanken haben“, berichtet die Internistin und Psychotherapeutin Univ.-Prof. Dr. Gabriele Moser, Leiterin der gastroenterologischen Psychosomatik-Ambulanz an der Wiener Universitätsklinik für Innere Medizin III. Auf der 41. wissenschaftlichen Apothekertagung in Saalfelden sprach Moser über „Psyche und Verdauung.“

Psyche und Verdauung

„Emotionen können eine Veränderung der Magenfunktion bewirken, sie haben Einfluss auf die Geschwindigkeit der Verdauung.“ Stress etwa führt zu Kontraktionen im Magen-Darm-Trakt, „dann muss man häufig plötzlich dringend auf die Toilette“. Zorn und Aggression steigern Bewegung und Sekretion, Sorge und Depression vermindern sie, „der Verdauungstrakt wird quasi lahm gelegt“.

Dauerstress schädigt Darmtrakt

Das allein aber erklärt noch nicht eine funktionelle Störung im Magen-Darm-Trakt. Dazu, so Moser, gebe es mehrere Entstehungs-Theorien: Nach einigen Infektionen – etwa mit Salmonellen – sind Magen-Darm-Trakt und Psyche derart sensibilisiert, dass das Muster beibehalten wird: Auch wenn Toxine bekämpft und Infektionen überstanden sind, reagiert der Betroffene weiterhin mit Krämpfen, Durchfällen, Druck im Oberbauch und anderen Beschwerden.

Eine weitere Theorie beruht ebenfalls auf einer Sensibilisierung, hervorgerufen durch eine sehr spät erkannte Nahrungsmittelunverträglichkeit. „Das wird im Schmerzgedächtnis des Gehirns eingeprägt, Dehnungen, Blähungen und Schmerzen, ja sogar Krämpfe und Durchfall werden dann oft bereits bei der ganz normalen Zufuhr von Nahrung gespürt“, erwähnt die Expertin.

Eine andere Entstehungsgeschichte: Wenn man als Kind wegen jedes kleinen Bauchzwickens von den Eltern gleich zum Arzt geschleppt wurde, kann das im Erwachsenenalter zur funktionellen Störung führen.

„Häufig aber führen massiver Dauerstress wie psychischer Druck oder Traumata infolge von Missbrauch, Gewalt oder einem ganz schweren Unfall zu diesem Krankheitsbild“, schildert Moser. „Es gibt sehr viele Wechselwirkungen zwischen dem enteralen Nervensystem und Stressfaktoren.“

Stress macht sich der Betroffene dann oft zusätzlich selbst: durch selektive, das heißt gesteigerte Aufmerksamkeit. Er konzentriert sich auf die Symptome, die Beschwerden schaukeln sich auf. All das macht Angst, bis hin zur Befürchtung, man habe Krebs.

All dieses Wissen hat inzwischen zur neuen Sub-Disziplin der „Neuro-Gastroenterologie.“ geführt, die sich mit dem „Bauch-Hirn“, aber auch mit psychischen und Nerven-bedingten Faktoren der funktionellen Magen-Darm-Störungen auseinandersetzt. „Die klassische Medizin kann derlei Störungen nur symptomatisch behandeln. Mitunter helfen Antidepressiva, aber der Effekt ist in Studien selten größer als eine Placebo-Wirkung. Als besonders wirksame Maßnahme hat sich Psychotherapie erwiesen.“ In den wenigen prospektiven und kontrollierten Studien dazu haben sich vor allem Verhaltenstherapie, Entspannungsmethoden und Hypnose bewährt.

Von 18 klinischen Studien zur Hypnose bei funktionellen gastrointestinalen Störungen zeigten alle positive Effekte und zehn signifikante Erfolge.

Teilnehmer für Hypnose-Studie

In Manchester wurde eine spezifisch auf den Bauch gerichtete Hypnose zur Behandlung von FGIS, vor allem des Reizdarm-Syndroms, entwickelt. In wissenschaftlichen Studien wurde bewiesen, dass sich gastrointestinale Funktionen durch diese Art der Hypnose positiv verändern. „Bereits nach zwölf Sitzungen einmal wöchentlich stellen sich bei bis zu 75 Prozent der Patienten Langzeiterfolge ein“, so Moser. „Nach acht Jahren waren die Besserungen noch immer so stark ausgeprägt wie nach drei Monaten.“

Die Ärztin will im April am AKH Wien die weltweit erste randomisierte und kontrollierte Studie mit Gruppen-Hypnose als Therapie des Reizdarm-Syndroms starten. Probanden werden noch gesucht, Voraussetzung: internistische Untersuchung mit klarer Diagnose Reizdarm-Syndrom. Nähere Informationen unter: ? 01/40400-4750.

Buchtipp

Die Internistin und Psychotherapeutin Gabriele Moser beschreibt in dem Buch „Psychosomatik in der Gastroenterologie und Hepatologie“ (Springer Verlag, 290 Seiten, 59,95 €) ausführlich die psychosomatischen Aspekte sämtlicher Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts. Geschrieben ist dieses Buch für Ärzte, Psychologen und etwas vorgebildete und interessierte Laien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2008)

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