Gemeinsam gegen Mobbing

Kind in einer Schulklasse
Kind in einer SchulklassePresse Print
  • Drucken

Die britische "No Blame"-Methode will Mobbingfälle in Schulklassen unkonventionell und rasch auflösen. Pädagogin Petra Torker-Baumgartner hilft Lehrern und Schülern.

Leonie ist eine davon, genauso wie Paul und Aldin: Sie sind Mobbingopfer, wie es sie in vielen österreichischen Schulklassen gibt. Unter den Folgen von Mobbing leidet meist der gesamte Klassenverband. Die Gemeinschaft gerät aus dem Gleichgewicht, was zu Angstzuständen, Leistungsabfall und der Verweigerung des Schulbesuchs bei einzelnen Schülern führen kann. Ein Schulwechsel ist keine Lösung, sondern eine Lose-lose-Situation.

Eine spezielle Methode will Mobbingfällen schnell und effizient auf den Grund gehen. Der „No Blame Approach“ (wörtlich: Ansatz ohne Schuldzuweisung) wurde in den 1980er-Jahren von George Robinson und Barbara Maines in England entwickelt und kommt derzeit nach Österreich. Die negativ besetzten Worte „Opfer“ und „Täter“ kennt diese Methode nicht – stattdessen wird von „Akteuren“ und „Betroffenen“ gesprochen.

Die Pädagogin und Erziehungsberaterin Petra Torker-Baumgartner hat sich intensiv mit der „No Blame Approach“-Methode auseinandergesetzt, weil ihr der positive Zugang daran gefallen hat. Sie warnt davor, Mobbing mit einer „normalen“ Konfliktsituation zu verwechseln. Während Konflikte durch Mediation oder Schlichtung lösbar sind, könne sich eine Mobbingsituation dadurch sogar noch verschlimmern. Torker-Baumgartner möchte Lehrpersonen ein Werkzeug geben, um mit Mobbing umzugehen. Von herkömmlichen Maßnahmen ist sie nicht überzeugt: „Gewaltprävention arbeitet stark mit negativen Stimmungsbildern. Das schüchtert sensible Kinder ein, andere durchschauen das Programm und nehmen es nicht ernst.“


Risiko erste und fünfte Klasse.
Besonders kritisch bei der Gruppenbildung sind die erste und die fünfte Klasse, wenn neue Schüler aufeinandertreffen. Die Konfliktspirale beginnt oft in den ersten Monaten bis Weihnachten, wenn Machtkämpfe zur Cliquenbildung ausgetragen werden. In dieser heiklen Phase müssen Vertrauen und Solidarität in der Gruppe geschaffen werden. „Man sollte darauf achten, dass sich bei Teamarbeiten nicht immer dieselben Grüppchen bilden, damit alle Schüler einander kennenlernen.“

Im Schulgeschehen erweist es sich oft als schwierig, Akteure bei ihren ausgrenzenden Handlungen zu überführen. Mehr als 50 Prozent der Mobbinghandlungen finden in den Pausen, im Sportunterricht oder auf den Toiletten statt. Besonders in höheren Schulen ist es schwierig, die einzelnen Handlungen zu einem System zusammenfügen zu können, weil viele unterschiedliche Lehrer in einer Klasse unterrichten.


Unterstützungsteam in der Klasse. Eine Musiklehrerin, die sich mit der angespannten Situation einer Klasse nicht mehr zu helfen wusste (und anonym bleiben will), suchte Rat bei Petra Torker-Baumgartner. Mit einem Fragenkatalog ausgerüstet, machte sich diese an die Lösung des Problems. Sie traf sich mit dem betroffenen Schüler Paul und war erstaunt, wie gut der Elfjährige die Situation durchschaute: „Ich weiß, warum der Alex mich mobbt. Weil er allein ist und Aufmerksamkeit braucht.“ Nach und nach fand die Pädagogin die feinen Machtstrukturen innerhalb des Klassenverbands heraus und bildete ein Unterstützungsteam aus dem Akteur und seinen Mitläufern und aus Freunden, die Paul zur Seite stehen.

In einem weiteren Schritt eröffnete sie der Klasse: „Für mich ist wichtig, dass sich in der Klasse alle wohlfühlen.“ Anstatt der üblichen Vorwürfe und Aufforderungen, ruhig zu sein und aufzupassen, sagte sie: „Ich brauche eure Qualitäten!“ Der „No Blame“-Ansatz vertraut auf die Ressourcen und Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen. Sie sind in den Verbesserungsprozess eingebunden. Als Basis dafür wird eine Gesprächssituation geschaffen, in der sich nicht nur die Betroffenen sicher, sondern auch die Akteure wohlfühlen können.

In der Musikstunde ein paar Wochen später überbrachte die Schulsekretärin den acht Auserwählten ganz offiziell einen Einladungsbrief für die Unterstützungsgruppe. Bei dem folgenden Treffen fühlen sich die Kinder wie Experten bei einem Meeting. Sogar die Frau Lehrerin nascht an den Chips, stellen sie überrascht fest. Die Kinder sind dankbar, dass sich eine Professorin der Problematik des Klassenfriedens annimmt. Natürlich wissen alle, dass es speziell um Paul geht. Die Lehrerin spricht jedem Teilnehmer eine positive Eigenschaft zu und fragt nach konkreten Ideen, wie man Paul helfen könnte. „Ich werde Paul jeden Morgen mit Handschlag grüßen“, formuliert Bastian einen Vorschlag. „Ich werde ihn vom Streiten abhalten“, sagt Markus. „Ich werde ihm weiterhelfen, wenn er im Unterricht etwas versäumt“, schlägt Claudia vor. Die Basis des Konzepts ist die Eigenverantwortung der Kinder. Sie vereinbaren das nächste Treffen in zwei Wochen.

„Es läuft alles urgut!“, flüstert Paul einige Zeit später erleichtert der Professorin zu. Die Klasse hat ihr Gesamtbefinden verändert. Die Kinder sind offener und reden darüber, wie es ihnen geht. Dieses neutrale Klassenklima ist der gesunde Boden, auf dem Erziehung und Bildung überhaupt erst aufbauen kann. In Deutschland konnten bereits 87,3 Prozent der mit „No Blame Approach“ bearbeiteten Fälle nachhaltig aufgelöst werden. Dem Akteur ist das Ziel genommen worden. Die Entgiftung der Klassengemeinschaft wurde zu einem Gemeinschaftsanliegen. Das Erfolgserlebnis wird von allen getragen.

Workshop

„No Blame Approach“-Österreich ist eine Initiative von www.elternsein.at.www.noblameapproach.at

Termin: Ein Workshop mit dem „No Blame“-Gründer George Robinson für Pädagogen, Schulpsychologen und alle, die Interesse haben, findet am 23./24. Mai in Wien (Kosten: 275 Euro) statt. Ort: Lerchenfelder Gürtel 43 EG, Wien 16, Anmeldung unter: petra.torker@noblamepproach.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.