Durch Vorsorgeuntersuchungen könnte Darmkrebs de facto ausgerottet werden. Aber immer weniger Ärzte bieten sie an- weil die Kassentarife zu niedrig seien, sagen sie. Leidtragende sind die Patienten.
Wien. Knapp 5000 Menschen erkranken in Österreich jedes Jahr an Darmkrebs. Jeder Zweite stirbt daran. Dabei müsste so gut wie keiner sterben. Oder erkranken. Denn durch die Koloskopie (Darmspiegelung) kann Darmkrebs nicht nur in einem frühen Stadium, sondern bei mehr als 90 Prozent der Fälle bereits in der Entstehung (als Polyp) erkannt und vermieden werden. Damit ist sie die einzige unumstrittene Krebsvorsorgeuntersuchung – zumal auch Fehldiagnosen (wie etwa bei der Mammografie) mit anschließend unnötigen Untersuchungen bzw. Behandlungen fast nie vorkommen.
Dennoch nutzen die – seit 15 Jahren schmerzfreie – Koloskopie nur elf Prozent der Risikogruppe, also Personen ab 50 Jahren. Künftig könnten es noch weniger werden, weil sie von immer weniger niedergelassenen Ärzten angeboten wird. Der Grund: Die Tarife der Krankenkassen sind derart niedrig, dass es sich für Internisten und Chirurgen (in deren Kompetenzbereich Koloskopien fallen) nicht mehr auszahlt. In Wien etwa gaben allein in diesem Jahr vier von 15 Internisten mit Kassenvertrag die Darmspiegelung aus wirtschaftlichen Gründen auf. In der Stadt Salzburg warfen zwei das Handtuch, dort führen sie nur noch drei Internisten durch. Die Folge: Wegen der langen Wartezeiten (bis zu sechs Monate) bzw. in ländlichen Gebieten der langen Anfahrtswege verzichten viele auf eine Vorsorgekoloskopie.
Fünf Euro bleiben übrig
Einer der Internisten in Salzburg, die noch Koloskopien anbieten, ist Wolfgang Schur. Pro Untersuchung erhält er von der Krankenkasse 180 Euro. Sollte er dabei Polypen finden und abtragen, bekommt er für den ersten Polypen 50, für jeden weiteren zehn Euro. „Ich habe mir ausgerechnet, wie viel ich in den vergangenen Jahren pro Darmspiegelung verdient habe. Es waren nicht mehr als fünf Euro“, sagt Schur. Damit sich diese Untersuchung für seine Ordination rechnet, müsste er mindestens 300 Euro pro Koloskopie bekommen – was in anderen europäischen Ländern üblich ist. „Die Hygienevorschriften sind sehr streng, das Equipment kostet 200.000 Euro“, so Schur. „Dennoch werde ich die Darmspiegelung weiter anbieten, weil ich von ihrem Nutzen überzeugt bin.“
Seiner Meinung nach liegt die Verantwortung nicht nur bei den Krankenkassen, sondern auch bei der Politik. „Offensichtlich ist es momentan politisch nicht opportun, die Kassenbeiträge zu erhöhen. Lieber finanziert man Gratiszahnspangen für Kinder“, meint Schur. „Würde man es erreichen, dass die meisten über 50-Jährigen die Vorsorgekoloskopie nutzen, würden sich die Erfolge erst in zehn bis 15 Jahren zeigen. Scheinbar will niemand so lange warten, bis er die Früchte seiner Arbeit ernten kann.“
„Angebot zähneknirschend akzeptiert“
Für Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) kommt eine Erhöhung der Beiträge nicht infrage. Er gehe davon aus, dass die Ärztekammer und Kassen „die richtige Höhe der Beiträge festgelegt haben“. Auch die Kassen betonen, dass die Tarife mit der Ärztekammer ausverhandelt wurden und sich die Frage nach deren Angemessenheit nicht stelle.
Ein Argument, das bei Friedrich Anton Weiser, Fachgruppenobmann der Chirurgen in der Ärztekammer Wien, und Susanne Biowski-Frotz, stellvertretende Fachgruppenobfrau der Internisten, nur verständnisloses Kopfschütteln auslöst. „In Wien haben wir die jetzigen Tarife, die seit neun Jahren nicht mehr erhöht wurden, zähneknirschend akzeptiert“, sagt Weiser. Denn die Alternative sei ein vertragsloser Zustand gewesen. Ähnliches ist auch in den anderen Bundesländern zu hören. Die Tarife für Vorsorgekoloskopien sind je nach Bundesland unterschiedlich und reichen von 180 bis 250 Euro. In Wien sind es zum Beispiel 181 Euro.
Darmkarzinome, die zusammen mit Lungen-, Prostata- und Brustkrebs zu den häufigsten Krebserkrankungen zählen, entwickeln sich über einen Zeitraum von vielen Jahren aus zunächst gutartigen Polypen. Diese können per Koloskopie entdeckt und mit einer Schlinge abgetragen werden. Damit ist die Gefahr gebannt. Die Empfehlung der Krebshilfe lautet daher auf eine Darmspiegelung mit dem 50.Lebensjahr und dann eine Wiederholung alle zehn Jahre – was auch von den Kassen bezahlt wird. In den USA ist einer Studie zufolge die Zahl der Erkrankungen an Darmkrebs in der Altersgruppe der über 50-Jährigen innerhalb eines Jahrzehnts um 30 Prozent gesunken. Nachdem sich der Anteil der 50- bis 75-Jährigen, die zur Vorsorge eine Darmspiegelung durchführen ließen, von 19 Prozent im Jahr 2000 auf 55 Prozent im Jahr 2010 verdreifacht hat.
Dass ein Zusammenhang zwischen den Erkrankungen und den Vorsorgeuntersuchungen besteht, zeigt laut der Studie die Tatsache, dass der Krebs bei Patienten unter 50, die sich keiner Koloskopie unterzogen haben, im selben Zeitraum um 1,1 Prozent pro Jahr angestiegen ist, sagt Christian Datz. Er ist Facharzt für Gastroenterologie und Vorstand der Abteilung für Innere Medizin des Krankenhauses Oberndorf in Salzburg. Datz leitet das einzigartige Darmkrebsvorsorge-Programm Sakkopi (Salzburger Kolon-Karzinom-Prävention und -Intervention), in dem für Patienten individualisierte Risikoprofile erstellt werden, die nicht nur das Alter, sondern auch Parameter wie Geschlecht, familiäre Vorbelastung und Erkrankungen wie etwa Diabetes berücksichtigen. Denn immerhin sind rund zehn Prozent der Erkrankten unter 50. Auch in Österreich. Dennoch werden die Kosten für eine Vorsorgekoloskopie bei ihnen von den Kassen nicht übernommen. Datz fordert auch in diesem Punkt ein generelles Umdenken, damit auch Personen unter 50 die Chance bekommen, Darmkrebs vorzubeugen.
AUF EINEN BLICK
Mehr zum Thema: Leitartikel von D. Neuwirth Seite 2, Korrektur bei Mammografie wirkt Seite 2Koloskopie. Rund 5000 Menschen erkranken in Österreich jedes Jahr an Darmkrebs. Jeder Zweite stirbt daran. Dabei könnte die Krankheit durch eine flächendeckende Vorsorge so gut wie ausgerottet werden. Dennoch bieten immer weniger Ärzte die Darmkrebsvorsorge
an – weil sie sich für ihre Ordinationen nicht rechnet.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2014)