Demenz: Hilfe für die Leiden der Partner

Gerhard und Augustine Blaschke im Garten ihres Hauses in Ebenfurth in Niederösterreich.
Gerhard und Augustine Blaschke im Garten ihres Hauses in Ebenfurth in Niederösterreich.Köksal Baltaci
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Rund 130.000 Menschen sind in Österreich von Demenzerkrankungen betroffen. Bis 2050 werden es doppelt so viele sein. Mit einem Pilotprojekt will die Caritas künftig Angehörige entlasten.

Die Nachricht vom Tod eines geliebten Menschen kann einem den sprichwörtlichen Boden unter den Füßen wegziehen. Das ist nichts, was man so schnell vergisst. Es folgt die Phase der Trauer, die bei manchen länger, bei manchen kürzer dauert. Die meisten kommen irgendwann drüber hinweg.

Auch Gerhard Blaschke erlitt vor 30 Jahren einen schmerzlichen Verlust. Seine Eltern starben. Sie wohnten in derselben Straße wie er und seine Frau Augustine, nur ein paar Meter weiter. Doch wenn die beiden heute an seinem Elternhaus in Ebenfurth vorbeigehen, will er sie jedes Mal kurz besuchen. Er hat vergessen, dass sie gestorben sind. Der 78-Jährige ist dement, er hat Alzheimer.

„Immer, wenn er seine Eltern sehen will, muss ich ihm sagen, dass sie nicht mehr am Leben sind. Das trifft ihn jedes Mal aufs Neue“, sagt Augustine. Die 73-Jährige pflegt ihn seit der Diagnose vor sieben Jahren rund um die Uhr. Der ehemalige ÖBB-Fahrdienstleiter befindet sich in einem relativ fortgeschrittenen Stadium. Längeren Gesprächen kann er nicht mehr folgen. Er braucht Hilfe beim Anziehen und darf nicht fernsehen, weil er nicht mehr imstande ist zu unterscheiden, was Realität ist und was Fiktion. Seine 13-jährigen Enkelsöhne hält er für seine eigenen Kinder, lädt auf der Straße fremde Menschen zu sich nach Hause ein.

„An den Vormittagen geht es noch einigermaßen. Er ist ansprechbar und ich kann ein bisschen was mit ihm unternehmen. Aber ab dem Nachmittag wird es immer schwieriger“, erzählt Augustine. „Vor ein paar Tagen wollte er sich ein Handtuch anziehen. Ich kann ihn keine Minute allein lassen.“

Wie Gerhard Blaschke sind in Österreich derzeit rund 130.000 Menschen von Demenzerkrankungen betroffen. Bis zum Jahr 2050 werden es wegen der ständig älter werdenden Bevölkerung doppelt so viele sein. Bereits heute ist Demenz der häufigste Grund für Pflegebedürftigkeit.


Wut und Angst. Für Augustine Blaschke ist seit der Erkrankung nichts, wie es einmal war. „Mein Leben hat sich um 180 Grad gedreht“, sagt die Pensionistin und frühere Pharmazeutisch-Kaufmännische Assistentin. Insbesondere die ersten Monate seien „schrecklich“ gewesen. „Ich war zornig auf meinen Mann. Habe ihm vorgeworfen, fortzugehen und mich zurückzulassen“, blickt sie zurück. „Ich hatte Angst, niemanden mehr zum Reden zu haben. Das hat mir sehr zugesetzt.“

So sehr, dass sie sich in Therapie begab, die aber in einem Fiasko endete. „Nach jeder Therapiestunde saß ich im Auto und weinte. Die Gespräche mit der Psychologin machten alles nur noch schlimmer“, sagt die 73-Jährige. „Sie sagte andauernd, ich solle loslassen und mich von meinem Mann verabschieden. Das machte mich fertig. Warum soll ich mich verabschieden, obwohl er noch da ist?“ Seit dem Abbruch der Therapie nimmt sie Medikamente. „Die Beruhigungsmittel helfen mir, meine Situation besser zu verkraften. Zudem nehme ich regelmäßig an Schulungen teil und lasse mich immer wieder professionell beraten.“


„Allein schaffe ich es nicht“. Trotz aller mittlerweile eingekehrten Routine stößt sie aber immer mehr an ihre Grenzen. „Ich bin es gewöhnt, dass es in meinem Haus sauber ist und alles seine Ordnung hat, aber allein schaffe ich es nicht mehr“, beklagt sie. „Zudem hätte ich gern wieder ein bisschen mehr Lebensqualität. Ich will an den Abenden ins Theater gehen oder einmal den ganzen Tag in einem Töpferkurs verbringen wie früher. Daher wäre es großartig, wenn sich in dieser Zeit jemand um meinen Mann kümmern und mich entlasten würde.“


Neue Anlaufstelle. Angehörige von Demenzkranken zu entlasten, ist das Ziel eines Pilotprojekts der Caritas Wien. Ab September wird in Hernals sowie in Wiener Neustadt jeweils eine Servicestelle errichtet, in der speziell geschulte Freiwillige Angehörige bei der Betreuung unterstützen werden. Auch Hausbesuche sollen stattfinden, „um ihnen ein paar freie Stunden und wieder mehr Kontakt zur Außenwelt zu ermöglichen“, sagt Projektleiterin Christina Mittendorfer. „Die Bedürfnisse der Angehörigen stehen im Mittelpunkt des Projekts. Denn obwohl der Pflegeaufwand bei Demenzkranken zunächst nicht sehr hoch ist, leiden Familie und Freunde enorm unter der psychischen Belastung.“

Zudem würden sie sich erst sehr spät beraten lassen und in einem bereits ziemlich ausgebrannten Zustand Hilfe suchen. „Mit den neuen Servicestellen wollen wir sie früher erreichen“, so Mittendorfer. Geplant sind unter anderem auch Cafés, in denen sich Angehörige austauschen können, während die Betroffenen in einem Nebenzimmer betreut werden.

„Die wohl größte Herausforderung für Angehörige ist meiner Erfahrung nach, die Welt des Erkrankten anzuerkennen“, sagt Mittendorfer. Viele würden versuchen, die Betroffenen in ihre eigene, sozusagen reale Welt zu ziehen, weil sie den Verfall nicht wahrhaben wollten. „Aber das ist nicht der richtige Ansatz. Zwar ist ,loslassen‘ tatsächlich ein etwas unglücklich gewählter Begriff, aber es geht schon darum, etwas zuzulassen. Zu akzeptieren, dass sich die Art der Kommunikation und auch die Fähigkeiten der Betroffenen verändern.“ Die Tochter einer Alzheimerpatientin habe ihr einmal erzählt, dass ihre Mutter sie früher nie liebevoll umarmen konnte, nach Ausbruch der Krankheit aber schon, was sie sehr genossen habe. „Diese Dinge gilt es zu erkennen und zuzulassen. Wer das nicht macht, sondern Gespräche führen will wie früher, wird nur enttäuscht.“

Wiederum eine andere Tochter habe extrem darunter gelitten, dass ihre demenzkranke Mutter sie bei jedem Besuch im Pflegeheim bat, sie mit nach Hause zu nehmen. „Bis sie ihre Mutter fragte, was genau ihr denn abgehe. Denn oft vermissen die Betroffenen nicht das letzte Zuhause, sondern beispielsweise das ihrer Kindheit. Und das könnte ihr ihre Tochter ohnehin nicht geben“, so Mittendorfer. „Daraufhin fiel es ihr leichter, mit ihrer Mutter über ihre Vergangenheit zu reden und sie hatte kein schlechtes Gewissen mehr.“


Innerer Rückzug. Mit ihrem schlechten Gewissen hatte auch Brigitte Zehetner zu kämpfen, als sie vor eineinhalb Jahren ihre 87-jährige Mutter in einem Pensionistenheim unterbrachte. „Einige Leute aus meiner Umgebung warfen mir vor, sie im Stich zu lassen“, erzählt die Burgenländerin. „Leute, die von Demenz keine Ahnung haben und nicht begreifen können, dass sie glücklich ist mit ihrem neuen Leben und dass man ihren im Inneren angetretenen Rückzug akzeptieren muss.“

Natürlich falle ihr der langsame Abschied von ihrer Mutter schwer. „Zu beobachten, wie sie mir langsam entgleitet, ist nicht leicht zu ertragen“, bekennt Zehetner. Aber es gebe auch hoffnungsvolle Momente. „Manchmal bringt sie meine Schwester und mich sogar zum Lachen. Wenn ihr etwa bei einem unserer Besuche auffällt, dass wir etwas vergessen haben und uns deswegen ärgern, kann sie sich ein Schmunzeln nicht verkneifen und meint, dass sie offensichtlich nicht die einzige Vergessliche auf der Welt ist. In solchen Momenten tröstet sie nicht nur sich, sondern auch uns.“

Servicestelle für Angehörige

Hilfe bei der Pflege von Betroffenen.
Im kommenden September wird von der Caritas in Wien Hernals und Wiener Neustadt als Pilotprojekt jeweils eine Servicestelle errichtet, um Angehörige von Demenzkranken zu entlasten. Beispielsweise können sich dort in „Angehörigencafés“ Bekannte und Verwandte austauschen und beraten lassen, während die Betroffenen in einem Nebenzimmer von speziell geschulten Freiwilligen betreut werden.

Suche nach freiwilligen Helfern.
Insbesondere für die Servicestelle in Wiener Neustadt werden nach wie vor Freiwillige gesucht, die sich ausbilden lassen und später mit Angehörigen, beispielsweise von Alzheimerpatienten, Zeit verbringen wollen. Auch Hausbesuche sind geplant. Interessierte können sich ab sofort bei der Projektleiterin Christina Mittendorfer melden: Tel.: 01/4023321, E-Mail:
christina.mittendorfer@caritas-wien.at .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2014)

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