Gesundheit: Warnung zum WM-Finale

Freundinnen beim Fernsehen
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Ständiges Sitzen vor dem TV-Gerät ist der Gesundheit nicht förderlich. Mehr noch: Die dadurch bedingte Bewegungsarmut erhöht das Mortalitätsrisiko.

250 Stunden vor dem Bildschirm. Das trifft auf jene Sportfanatiker zu, die in den vergangenen Wochen alle TV-Übertragungen der Fußball-WM konsumiert haben. Zu viel Fernsehen und die damit verbundene stundenlange körperliche Inaktivität ist allerdings mit einem nicht unerheblichen Gesundheitsrisiko verbunden, wie Thomas Dorner von der Medizin-Uni Wien auf vorliegende Studien verweist. Jede Stunde Fernsehen pro Tag steigert im Vergleich zu TV-abstinenten Personen das Mortalitätsrisiko um vier Prozent.

Die Möglichkeit für Sterblichkeit durch kardiovaskuläre Risikofaktoren erhöht sich durch eine derartige körperliche Inaktivität sogar um sieben Prozent. Das ist die Wahrscheinlichkeit, an Leiden wie Herzinfarkt, Schlaganfall, arteriellem Hypertonus (erhöhtem Druck in Blutgefäßen) oder Diabetes mellitus (erhöhtem Blutzuckerspiegel) sowie an Nikotinabusus zu erkranken. „Selbst wenn man sich an das empfohlene Ausmaß an körperlicher Aktivität hält, wirkt sich langes Sitzen negativ auf metabolische Parameter und auf die Gesundheit aus“, sagt Dorner. Und betont noch einmal: „Langes Sitzen, egal, ob am Arbeitsplatz, vor dem Fernseher oder in Autos, erhöht das Risiko vorzeitiger Mortalität.“

Es geht dabei nicht um einen Abend vor dem TV-Schirm. Aber gerade die dichte Folge der Fußballspiele anlässlich der Weltmeisterschaft in Brasilien sowie die stets neu aufgebaute Spannung vor der nächsten Übertragung erzeugen den Druck, möglichst alle Spiele anzuschauen. Und gerade darauf gehen die vorliegenden beiden britischen Studien („Television viewing time independently predicts all-cause and cardiovascular mortality: the EPIC Norfolk Study“, 2010, und „Watching sport on television, physical activity, and risk of obesity in older adults“, 2014) ein. Körperliche Aktivität, so Thomas Dorner, übt multiplen Einfluss auf den Körper und viele physiologische Parameter aus.

Der Blutdruck steigt. Ausreichende Bewegung führt zu einer Steigerung des Grundumsatzes im Stoffwechsel, einer Veränderung und Verbesserung metabolischer Parameter wie Adipositas, Glukosetoleranz, Bluthochdruck oder Cholesterin sowie zur Reduktion der Körperfettmasse. Körperliche Inaktivität erhöht hingegen die Triglyzeridspiegel, vermindert das gute HDL-Cholesterin im Blut (erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen) und führt zu Veränderungen im kardiovaskulären System. Dabei wird die Durchblutung der Beine verringert, der Blutdruck steigt, und es kommt zur Verengung arterieller Gefäße. Damit erhöht sich wiederum das Mortalitätsrisiko.

Dass das ständige Verfolgen von TV-Sportberichten auch zu einer höheren sportlichen Aktivität führt, ist nach einer aktuellen britischen Studie eine oft bemühte Mär. Vielmehr zeigt die Untersuchung das Gegenteil. „Jene, die täglich Sport im Fernsehen konsumieren, haben im Vergleich zu jenen, die maximal ein Mal pro Woche den TV-Sport einschalen, ein um 40 Prozent erhöhtes Risiko, fettleibig zu sein“, sagt Thomas Dorner.

Der Wiener Mediziner hat bereits 2009 ein vom Gesundheitsministerium gefördertes wissenschaftliches Projekt mit dem Schwerpunkt „Psychosoziale Gesundheit“ geleitet (mit Johanna Muckenhuber, Rainer Rosegger und Wolfgang Freidl). Bei psychosozialen Beeinträchtigungen besteht eine hohe wechselseitige Beeinflussung zwischen psychosozialem Gesundheitsstatus, psychischen Erkrankungen und körperlichen Leiden.

Dorner geht es in erster Linie nicht um eine Verminderung der Inaktivität des Einzelnen, sondern um eine Vermehrung der Aktivität. Die Österreichische Gesellschaft für Public Health, deren Präsident Thomas Dorner ist, verweist auf die internationalen Bewegungsempfehlungen, nach denen sich Erwachsene wöchentlich mindestens 150 Minuten mit zumindest mittlerer Intensität körperlich betätigen sollen. Dieses Pensum soll auf mehrere Tage in der Woche verteilt werden und auf einen Umfang von 300 Minuten pro Woche gesteigert werden.

Auch soziale Barrieren. Natürlich wird die Basis für ein gesundes Bewegungsverhalten im Kindesalter gelegt. In der Projektstudie „Körperliche Aktivität bei Wiener Volksschulkindern“ (2011 im Auftrag der Stadt Wien, Gesundheitsdienst) geht Thomas Dorner gar nicht auf die viel zitierte tägliche Turnstunde ein. Ihm geht es vielmehr um günstige Faktoren für mehr Bewegung und die Beseitigung möglicher Barrieren. Wobei hier auch soziale Barrieren mitspielen können (Personen mit Migrationshintergrund sind seltener körperlich aktiv). In dieser Studie wird auch die Verantwortung der Eltern und der Lehrer einbezogen.

Die Fußball-WM und damit die oft konstatierte Sucht des Zuschauens (und anschließenden Fachsimpelns) ist beendet. „Aber da nun Sommer ist, haben wir die perfekte Zeit für körperliche Aktivitäten.“ Das wünscht sich Dorner jedenfalls.

Public Health

Multidisziplinär. Das Zentrum für Public Health an der Med-Uni Wien erforscht und lehrt den physischen und psychischen Gesundheitszustand der Bevölkerung.

Thomas Dorner
(*1975, St. Martin, Bgld.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialmedizin, Zentrum für Public Health, der Med-Uni Wien und Präsident der Österr. Gesellschaft für Public Health.

Zu viel TV-Konsum
bedeutet Inaktivität und erhöht das Mortalitätsrisiko.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2014)

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