Streit um den Abbruch auf Krankenschein

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Die Schweizhat trotz finanzieller Unterstützung des Staates die niedrigste Abtreibungsrate Europas.

In der Schweiz wurde am 9. Februar eine Volksinitiative „Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache“ mit der deutlichen Mehrheit von 69,8 Prozent der Stimmberechtigten abgelehnt. Die Initiative verlangte die Abschaffung der gesetzlichen Regelung, wonach die Krankenkassen die Kosten für Schwangerschaftsabbrüche übernehmen müssen. Denn Schwangerschaft sei ja „keine Krankheit“. Nach dieser Logik dürften Kassen dann „auch nicht die Kosten für die Geburt eines Kindes übernehmen“, antworteten die Gegner.

Sie verwiesen auf das Statut der Weltgesundheitsorganisation (WHO), das für alle Mitgliedstaaten völkerrechtlich verbindlich ist. Nach diesem Statut ist „Gesundheit nicht nur die Abwesenheit von Krankheit, sondern ein Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens“. Laut der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe ist eine ungewollte Schwangerschaft ein „krankmachender Zustand“.

Die Verpflichtung der Kassen zur Kostenübernahme wurde 1981 in das Schweizer Krankenversicherungsgesetz (KVG) aufgenommen. Bis dahin herrschte in der Schweiz ein völlig ungeregelter Zustand. Einige Kassen bezahlten den Eingriff, andere nicht. Oftmals mussten die Frauen Wucherpreise bezahlen.


1,2 Franken pro Person.
Das Initiativkomitee versuchte, die Bevölkerung von seinem Anliegen zu überzeugen, indem es behauptete, die neue Regelung würde zur Kostensenkung im Gesundheitswesen führen. Das wurde widerlegt: Santésuisse, der Verband aller Schweizer Krankenversicherer, beziffert die Gesamtsumme, die die Kassen jährlich für Schwangerschaftsabbrüche übernehmen müssen, auf unter zehn Mio. Franken. Das sind 0,03 Prozent der gesamten von den Kassen zu finanzierenden Krankheitskosten in Höhe 22,6 Milliarden Franken. Oder 1,20 Franken jährlich pro versicherte erwachsene Person.

Würde der Schwangerschaftsabbruch nicht mehr durch die Versicherung bezahlt, würden etliche mittellose Frauen wie zu früheren Zeiten zu illegalen Selbsthilfemethoden mit entsprechendem gesundheitlichen Risiko greifen. Die Behandlung der daraus folgenden Komplikationen würde deutlich höhere Kosten verursachen als ein frühzeitiger Schwangerschaftsabbruch. Santésuisse ist überzeugt, dass die Streichung des Schwangerschaftsabbruchs aus dem Grundleistungskatalog der Krankenkassen Mehrkosten verursachen würde.

Eindeutig falsch war schließlich auch die Behauptung der Intitiative „Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache“, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche sei nach der Einführung der Kostenübernahme durch die Krankenkassen im Jahr 1981 und erneut nach der Einführung der Fristenregelung 1992 deutlich angestiegen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Zahl der Abbrüche geht in der Schweiz bereits seit Ende der 1960er-Jahre kontinuierlich zurück. Die wichtigsten Ursachen dafür sind die Pille und andere Verhütungsmittel sowie eine breitere sexuelle Aufklärung.

In der Schweiz finden heute jährlich nur noch rund 10.000 Schwangerschaftsabbrüche statt. Mit 6,7 Abbrüchen pro 1000 in der Schweiz wohnhafte Frauen im gebärfähigen Alter ist das die niedrigste Abbruchrate in ganz Europa.

Fakten

Rund 10.000 Schwangerschaftsabbrüche finden heute noch jährlich in der Schweiz statt.

Im Jahr 1981 wurde die Einführung der Kostenübernahme durch die Krankenkassen beschlossen.

Im Februar stimmte das Volk noch einmal über diese Regelung ab: Rund 70 Prozent stimmten gegen die Abschaffung dieser finanziellen Unterstützung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2014)

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