Hepatitis-C-Heilung ist möglich - aber kaum leistbar

Impfaktion f�r Jugendliche
Impfaktion f�r Jugendliche(c) APA/DPA (A3471 Boris Roessler)
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Durch einen revolutionären Durchbruch in der Forschung ist die Infektionskrankheit seit Kurzem heilbar. Die Kassen in Österreich zahlen die Therapie allerdings erst bei schweren Leberschäden. Die Kosten der Therapie sind mit 90.000 Euro horrend.

Zunächst zur guten Nachricht: Die jahrzehntelang als unheilbar geltende Infektionskrankheit Hepatitis C, die langfristig zu schweren Leberschäden, Leberzirrhose und Leberkrebs führt, ist seit Jahresbeginn durch einen revolutionären Durchbruch in der Medizin heilbar. Eine zwölfwöchige Kombinationstherapie mit zwei verschiedenen Tabletten spricht bei 99 Prozent der Patienten an und hat keine nennenswerten Nebenwirkungen. Dennoch kommen nur die wenigsten Hepatitis-C-Infizierten in den Genuss dieser Behandlung.

In Österreich beispielsweise waren es bisher lediglich 134 von rund 80.000 chronisch Kranken. Eine von ihnen ist die Wienerin Renate Kernstock. Sie musste sechs Monate warten und zahlreiche bürokratische Hürden überwinden, um die neue Therapie zu erhalten. Das ist auch schon die schlechte Nachricht. Denn die Therapie kostet etwa 90.000 Euro pro Person.

In lediglich fünf europäischen Ländern haben sich die Kassen bereiterklärt, die Kosten zu übernehmen. Darunter auch Österreich. Aber: Die Behandlung wird erst bezahlt, wenn bereits schwere Leberschäden aufgetreten sind und die alte, deutlich günstigere Interferon/Ribavirin-Therapie nicht vertragen wird bzw. wirkt. Diese Therapie dauert 24 bis 72 Wochen, schlägt nur bei der Hälfte der Patienten an und hat schwere Nebenwirkungen wie Fieber, Müdigkeit, Depressionen und Haarausfall. „Ich halte es persönlich für eine ethische Katastrophe, wenn ich gezwungen bin, einem Patienten mit neu diagnostizierter Hepatitis C zu erklären, dass er noch zehn Jahre warten muss, bis ich ihm die Therapie geben kann“, sagt der Peter Ferenci vom AKH Wien, einer der führenden Hepatologen Österreichs. „Gleichzeitig möchte ich aber betonen, dass in Österreich der Hauptverband zu belobigen ist, weil zumindest für einen Teil der Patienten die Kosten übernommen werden.“ Dennoch werde ein Großteil der Betroffenen diese Therapie in den nächsten Jahren nicht erhalten. „Ist das fair? Ist es ethisch vertretbar, einem Patienten ohne Leberzirrhose die Behandlung vorzuenthalten?“


Eine Tablette für 750 Euro. Für die hohen Kosten verantwortlich ist vor allem das Medikament Sovaldi (Wirkstoff: Sofosbuvir) vom Pharmahersteller Gilead, bei dem auch der Österreicher Norbert Bischofberger arbeitet, der das Influenza-Medikament Tamiflu entwickelte. Eine Tablette kostet 1000 Dollar (750 Euro). Die Herstellungskosten betragen nur einen Bruchteil davon. Gilead rechtfertigt den Preis mit den hohen Forschungskosten. Sovaldi wird mit den billigeren Wirkstoffen Simeprevir oder Daclatasvir kombiniert, täglich müssen zwei Pillen geschluckt werden.

Das ist der höchste Preis, der je für eine orale Medikation bezahlt wurde. Gilead nahm mit Sovaldi im ersten Halbjahr sechs Milliarden Dollar ein. Das Unternehmen hatte die Firma Pharmasset, die Sovaldi erfunden hat, 2011 für knapp zwölf Milliarden Dollar gekauft und weitere ein bis zwei Milliarden Dollar investiert, um das Medikament zur Marktreife zu bringen. Ferenci: „Somit könnten sich die Kosten innerhalb eines Jahres amortisieren. Sovaldi dürfte das umsatzstärkste Medikament aller Zeiten werden. Daher drängt sich schon die Frage auf, ob dieser Preis gerechtfertigt ist.“

Der Hauptverband befindet sich in Verhandlungen mit Gilead, um den Preis zumindest in Zukunft zu drücken. Mit ersten Ergebnissen ist im Spätherbst zu rechnen. „Man muss hier auch die Rolle der konkreten Pharmafirma kritisch beleuchten und weltweit Druck auf die Preisgestaltung aufbauen“, sagt Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ). „Wenn ich schon ein neues und wirksames Mittel auf den Markt bringe, dann ist es legitim, daran zu verdienen, aber nicht in einem Ausmaß, dass selbst in leistungsfähigen Gesundheitssystemen die Grenzen der Finanzierbarkeit erreicht werden.“


Weltweiter Widerstand. In den USA haben erst vor Kurzem zwei Senatoren das Unternehmen aufgefordert zu begründen, warum es für eine einzige Tablette 1000 Dollar verlangt. Laut der Vorsitzenden der Hepatitis-Hilfe Österreich, Angelika Widhalm, gibt es darüber hinaus eine Initiative der französischen Ministerin für soziale Angelegenheiten, Marisol Touraine, im Verbund mit 13 anderen europäischen Staaten, um dieses Problem anzugehen. „Der Titel für mich lautet: ,Was ist wichtiger, die Interessen der Aktionäre oder jene der Erkrankten‘?“, betont Ferenci. „Das aktuelle Beispiel könnte künftig für viele andere medizinische Fachgebiete Vorbildcharakter haben.“

Dass die Kosten in naher Zukunft durch neue Konkurrenz gesenkt werden, glaubt der Mediziner nicht. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die ein bis zwei Hersteller, die vergleichbare Produkte auf den Markt bringen könnten, ähnliche Preise verlangen werden. Er fordert eine EU-weite Lösung, damit die Kosten in jedem Land dieselben sind und Gilead von reicheren Staaten nicht mehr verlangen kann als von ärmeren – mit der offiziellen Begründung, die Therapie dadurch auch in der Dritten Welt leistbar zu machen.

Wenig Verständnis für die derzeitige Situation hat auch Kernstock. Die 62-Jährige dürfte sich 1977 bei einer Bluttransfusion während einer Operation infiziert haben. Sie hat eine fortgeschrittene Leberzirrhose und zwei Interferon-Therapien hinter sich, die keine Wirkung gezeigt haben. „Durch die neue Therapie werde ich hoffentlich geheilt und kann ein neues Leben beginnen“, sagt die Pensionistin. „Bis jetzt vertrage ich die Tabletten sehr gut, habe kein Fieber, darunter habe ich bei den vergangenen Therapien sehr gelitten.“ Sie hofft auf eine baldige Einigung zwischen Hersteller und Hauptverband. „Damit Betroffenen sofort geholfen wird und niemand denselben Leidensweg gehen muss wie ich.“

Weltweit leiden im Übrigen etwa 180 Millionen Menschen an einer chronischen Hepatitis-C-Erkrankung. Bei Neuinfektionen ist die rechtzeitige Therapie besonders wichtig, weil dadurch der Übergang in eine chronische Erkrankung verhindert werden kann. Die Übertragung erfolgt hauptsächlich über direkten Kontakt mit kontaminiertem Blut. Risikogruppen sind Drogenabhängige, die untereinander Spritzen teilen, oder Personen, die sich beim Stechen von Piercings und Tattoos bei unseriösen Anbietern im Ausland anstecken. Eine Übertragung im Alltag ist praktisch nicht möglich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2014)

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