Eine Geburt allein im Wald

(c) privat
  • Drucken

Jede Frau könne auch ohne Arzt oder Hebamme ihr Kind zur Welt bringen, behauptet die Autorin eines neuen Buches. Doch setzen diese Frauen, die tatsächlich geplant alleine gebären, nicht das eigene Leben und das des Kindes aufs Spiel?

E s war eine milde Nacht im Juli. Sarah Schmid stand vor der Geburt ihres zweiten Kindes. Als die Wehen stärker wurden, wusste sie, dass es Zeit war, aufzubrechen. Aber nicht ins Krankenhaus – sie ging in den Wald, fünf Minuten von ihrem Haus entfernt. Schon vor Längerem hatte sie einen mit Moos bewachsenen und von umgefallenen Fichten umkreisten Ort ausgewählt, um hier ihr Kind zu gebären. Sie breitete eine Picknickdecke aus, konzentrierte sich auf die Wehen. Nach etwa zweieinhalb Stunden wurde ihr Sohn gesund geboren. Schmid rief ihren Mann per Handy, zu dritt gingen sie zurück ins Haus und legten sich schlafen. So hatte sie es sich immer gewünscht, zu gebären: ungestört, in der Natur.

Die gebürtige Deutsche und Ärztin hat zwei weitere Kinder ohne professionelle Hilfe geboren – problemlos. Die 32-Jährige nahm auch bei diesen Schwangerschaften keine Vorsorge durch Ärztinnen oder Hebammen in Anspruch. Nun ist sie mit dem fünften Kind schwanger und strebt erneut eine Alleingeburt an.

Dass sie eigentlich viel besser alleine gebären könne, wurde Schmid nach ihrer ersten Geburt klar. Damals war sie noch einen konventionelleren Weg gegangen: Untersuchungen während der Schwangerschaft hatten sie jedoch verunsichert. Die Geburt fand zwar zu Hause mit Hebamme statt, aber verlief nicht reibungslos. Sie merkte, dass sie ohnehin intuitiv wisse, was zu tun sei, und jede fremde Person nur störe. Sie kam zur Überzeugung, dass die Geburtsmedizin den Frauen Angst mache und sie ihrer Kompetenz beraube, selbst darauf zu achten, ob es ihnen und dem Kind gut gehe. Alle gesunden Frauen könnten von Natur aus alleine gebären. Ihr Körper würde ihnen weisen, was zu tun sei.

Ihre Überzeugung hat sie nun in einem Buch mit dem Titel „Alleingeburt“ festgehalten. Darin gibt sie Tipps, wie eine Frau selbstverantwortlich Schwangerschaft und Geburt meistern kann, etwa durch Ernährung nach dem Speiseplan der „Urvölker“. Zusätzlich berichten 31 weitere Frauen (eine aus Österreich) von ihren geplanten oder auch ungeplanten aber im Grunde erwünschten Alleingeburten (in diesen Fällen schaffte es die Hebamme nicht rechtzeitig zur Geburt). Es sind durchwegs harmonische Geschichten. Drei Frauen brauchten letztlich dann doch professionelle Hilfe.

Wie viele Frauen diesen extremen Weg gehen, ist nicht bekannt. Es dürften hierzulande nur einzelne sein. Das Österreichische Hebammengremium ortet jedenfalls keinen Trend. Die Autorin sehr wohl. Im angloamerikanischen Raum gibt es Vorreiterinnen, dazu Foren und Internetvideos.

Zusätzlich zur Ideologie könnte auch eine gewisse Not Frauen dazu bringen, ihr Kind alleine zur Welt zu bringen: Alleingeburten könnten dort zunehmen, wo Frauen keine Alternativen zum Klinik-Kreißsaal haben, etwa eine Hausgeburt, fürchten Beobachter. Grund hierfür kann sein, dass Hausgeburtshebammen rar sind oder ihre Arbeit untersagt ist. Oder weil Frauen Risiken aufweisen, etwa einen vorangegangenen Kaiserschnitt oder eine vorliegende Beckenendlage. Im Buch finden sich zwei solcher Beispiele, die Geburten verliefen angeblich problemlos.


Hebamme ist Pflicht. Glück gehabt, würden viele Fachleute sagen. Führende Geburtshelfer sowie Renate Fally-Kausek, Fachfrau aus dem Gesundheitsministerium für den Bereich Mutter und Kind, lehnen diesen extremen Weg ab: Alleine, ohne geschulte Person zu gebären, sei zu gefährlich. Frauen seien seit Menschengedenken durch Hebammen begleitet worden. „Bei einer Geburt kann es unerwartet zu Komplikationen kommen, auch wenn alle Anzeichen für einen problemlosen, gesunden Geburtsverlauf sprechen“, sagt Petra Welskop, Präsidentin des Österreichischen Hebammengremiums. Das sei auch der Hintergrund der „eindeutigen Gesetzeslage“ hierzulande. „Das Hebammengesetz spricht ausdrücklich davon, dass jede Gebärende verpflichtet ist, zur Geburt ihres Kindes eine Hebamme beizuziehen.“

Konkret komme es bei einer von 200 Frauen, die während der Schwangerschaft überhaupt keine Risiken aufwiesen, zu unerwarteten, schweren Komplikationen während und nach der Geburt, sagt Uwe Lang, Leiter der Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Graz sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Dies zeigte eine groß angelegte Auswertung von Geburten (auf Basis der Hessischen Perinatalerhebung) aus dem Jahr 2001. Es könnten etwa schwere Blutungen nach der Geburt auftreten.

Dass in Klinik-Kreißsälen zu viele Eingriffe in den natürlichen Geburtsprozess gemacht und damit erst Probleme geschaffen würden, wie die Autorin meint, weist Lang zurück: Bei diesen gesunden Schwangeren sei eben nicht in die Geburt eingegriffen worden, und dennoch sei es zu Komplikationen gekommen. „Ich habe den Eindruck, dass die moderne Geburtshilfe Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden ist“, sagt Lang: Vielen Frauen sei es nicht mehr bewusst, dass die derzeitige sehr niedrige Mütter- und Säuglingssterblichkeit nur durch konstante Vorsorgemaßnahmen erreicht worden sei.

Schmid behauptet wiederum, dass bei auftretenden Komplikationen immer genug Zeit sei, dass die Frau die Rettung rufe. Bei Beschwerden würden diese Frauen natürlich einen Arzt oder eine Hebamme konsultieren. Studien, die die Sicherheit von Alleingeburten untersuchen und Schmids Ansatz belegen könnten, gibt es nicht.

Für Regina Zsivkovits ist es eine zu große Verantwortung für eine Frau, zu unterscheiden, ob dieser oder jener körperliche Vorgang während einer Geburt noch im grünen Bereich sei. Für die Hausgeburtshebamme und Geschäftsführerin des Wiener Hebammenzentrums, die freilich den Wunsch dieser Frauen nach Selbstbestimmung und Ungestörtheit unterstützt, sind Alleingeburten dennoch gefährlich: „Weil suggeriert wird, dass jede Frau das erreichen kann.“ Manchmal gehe eine Geburt nicht gut voran, auch wenn die Frau ungestört sei. Sie bezieht sich auch auf Tipps der Autorin, die sie gibt, falls bei der Geburt Probleme auftreten, etwa eine Schulter des Kindes stecken bleibt oder das Neugeborene nicht sofort atmet. Es ist laut Hebamme fraglich, ob eine Frau in solch einer Notsituation Anleitungen zu Handgriffen befolgen könne.


Selbstvertrauen gewinnen. Trotz massiver Einwände sehen Geburtshelferinnen auch Positives an Schmids Ansatz, etwa dass Frauen wieder Selbstvertrauen darin gewinnen, dass sie gebären können. Für Sylvia Sedlak, Obfrau des Vereins „Geburtsallianz Österreich“ zur Verbesserung der Geburtshilfe im Sinne von Mutter und Kind, ist das Buch deshalb für alle Frauen wertvoll, egal, ob sie eine Alleingeburt anstreben oder nicht. „Mir gefallen die Eigenverantwortung und der Mut, den diese Frauen uns vorleben. Es sollten mehr positive Geburtsgeschichten erzählt werden, damit unsere Töchter zuversichtlich und furchtlos wieder mehr Lust aufs Gebären haben.“

Um das zu erreichen, müsse eine Frau aber nicht alleine gebären, meinen andere Geburtshelferinnen. Es gebe sichere Alternativen. Eine Frau könne mit ihrer Hebamme vereinbaren, was ihr bei der Geburt wichtig ist. Regina Zsivkovits erzählt, dass sie einmal eine Frau betreute, die ursprünglich eine Alleingeburt andachte. Hier fanden die Frauen aber eine andere Lösung: Die Hebamme wartete zeitweise im Nebenraum. Als das Baby geboren wurde, brauchte die Frau dann doch Hilfe.

Alleingeburt

Wie viele Frauen hierzulande geplant alleine gebären, ist nicht bekannt. Laut Beobachtern dürften es nur einzelne sein. Sie verstoßen gegen das Hebammengesetz: „Jede Schwangere hat zur Geburt und zur Versorgung des Kindes eine Hebamme beizuziehen.“ Es besteht aber keine Anzeigepflicht, falls eine Hebamme auf eine Mutter trifft, die alleine geboren hat, ebenso sind keine Strafbestimmungen vorgesehen. Bei der Beurkundung der Geburt könnte jedoch eine solche Mutter eine Bestätigung bei Arzt oder Hebamme einholen müssen, dass sie tatsächlich geboren hat.

Buchtipp

„Alleingeburt“
von Sarah Schmid, Verlag Edition Riedenburg,
244 Seiten,
25,60 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.