Jähzorn: Oft Symptom einer Krankheit

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Wenn Menschen häufig ausrasten, steckt oft eine psychische Erkrankung dahinter. Doch nur selten finden Betroffene den Weg zu einem Psychologen.

Ein Vater, der in einem plötzlichen Anfall von Jähzorn auf sein Kind einschlägt; Menschen, die im Stau zu toben beginnen oder Chefs, die mit Gegenständen nach ihren Mitarbeitern werfen: Über das nicht zu bändigende und ohne jede Vorwarnung auftretende Zorngefühl, schreibt der Schweizer Psychologe und Psychotherapeut Theodor Itten in seinem Buch „Jähzorn“.

Jähzorn engt den Lebensraum ein und hat eine einschränkende Wirkung auf die Lebendigkeit des Familienlebens, heißt es dort. In einer von Itten in der Schweiz durchgeführten Studie bezeichnet sich immerhin ein Viertel der befragten Personen selbst als jähzornig; 22 Prozent erleben oder erlebten sich selbst als Opfer von Jähzorn – und wenn der Jähzorn ausbricht, dann geschieht dies meist im familiären Umkreis.

Mehr als Reizbarkeit

„Wenn ein Familienvater alljährlich auf der Fahrt in den Urlaub einen Tobsuchtsanfall hat oder einer Mutter wöchentlich die Hand ausrutscht, dann liegt der Verdacht nahe, dass es sich nicht bloß um eine Störung der Impulskontrolle handelt“, sagt dazu Prim. Dr. Rainer Gross, Vorstand der Sozialpsychiatrischen Abteilung am Landesklinikum Weinviertel Hollabrunn sowie analytischer Psychotherapeut.

In den von Psychiatern verwendeten Richtlinien für die Diagnostik psychischer Erkrankungen wird zwar eine „Störung mit intermittierend auftretender Reizbarkeit“ beschrieben, die sich in Zorn- und Aggressionsdurchbrüchen äußert, ohne dass eine andere psychische Erkrankung vorliegt; „allerdings ist eine solche isolierte Impulskontroll-Störung extrem selten“, erklärt Gross. Häufiger dagegen sind Zornausbrüche als Symptome psychischer Erkrankungen wie Persönlichkeitsstörungen oder Alkoholabhängigkeit.

Mit Scheidung drohen

Menschen mit Jähzorn-Attacken finden jedoch nur selten den Weg zum Psychiater oder Psychologen: „Viel eher sind es ihre Opfer, meist Frauen oder Kinder, die unsere Hilfe suchen“, weiß Gross. Auch Itten berichtet in seinem Buch, dass nur acht Prozent der Männer und elf Prozent der Frauen, die sich selbst als jähzornig erleben, eine Therapie zur Linderung ihres Jähzorns gemacht haben.

„Mitunter wird schon ein Mann von seiner Frau zur Therapie geschickt, weil sie seine Zornausbrüche nicht mehr erträgt und mit Scheidung droht – in der Praxis ist es für viele Angehörige von Jähzornigen allerdings sehr schwierig, die Betroffenen von der Notwendigkeit einer Behandlung zu überzeugen“, räumt Gross ein. Die Gründe dafür liegen zum einen in der fehlenden Krankheitseinsicht bzw. im fehlenden Leidensdruck, „zum anderen wird die Jähzorn-Attacke als spannungslösend erlebt“, sagt Gross. „Oft entschuldigt sich der Jähzornige nach dem Ausbruch reumütig, dies garantiert jedoch nicht, dass er beim nächsten Mal sein Zorngefühl kontrollieren kann.“

In den USA werden sogar schon Kurse angeboten, bei denen Jähzornige lernen können, ihre Aggressionen zu kontrollieren. „Alleine solche isolierten Maßnahmen helfen nur wenig, wenn eine psychische Erkrankung dahintersteckt“, meint Gross. In ähnlicher Weise betont Psychologe Itten am Ende seines Buches, dass es psychotherapeutische Antworten auf ein unberechenbares Gefühl gebe: Eine Psychotherapie sei die Möglichkeit, eine Verwandlung zu beginnen, Einsichten umzusetzen und einzuüben.

Auf jeden Fall ein Alarmzeichen

Der Maßstab dessen, wie viel an Gefühlskontrolle nötig ist, ist jedoch kein starrer und nicht zuletzt auch historisch und kulturell geprägt. Kulturvergleiche zwischen Asien und Europa zeigen, dass gerade in der westeuropäischen Gesellschaft emotionale Äußerungen mehr und mehr gebilligt werden. „Was heute im Hinblick auf das Ausleben von Emotionen in der Öffentlichkeit akzeptiert wird, wäre noch vor 30 Jahren undenkbar gewesen. Wenn jedoch ein Zornausbruch in keiner Relation zum Auslöser steht und Menschen im Zorn Gewalt gegen sich und andere anwenden, dann ist dies auf jeden Fall ein Alarmzeichen“, warnt Gross.

Wie weit Jähzorn Geschichte, Kultur und Religion prägt, beschreibt Itten auch ausführlich in seinem Buch – schade ist nur, dass die Auseinandersetzung mit diesem gesellschaftlich wie psychologisch-psychiatrisch so wichtigen Thema den Charakter einer wissenschaftlichen Arbeit hat und daher schwer zu lesen ist.

Tipps für Jähzorn-Opfer

Einer der wichtigsten Tipps für Opfer von Jähzorn-Ausbrüchen ist aber sicher jener, nicht der Versuchung zu erliegen „Feuer mit Feuer zu bekämpfen“: Opfer von Jähzorn sollten nach Möglichkeit versuchen, die Situation zu beruhigen. „Diskussionen kann man später führen, wenn die Atmosphäre sich beruhigt hat“, meint Itten. Dem ist wohl hinzuzufügen: Im schlimmsten Fall nicht zögern, Hilfe zu holen. „Hilfe von Experten kann Leidtragenden auch das oft quälende Gefühl nehmen, selbst schuld am Aggressionsausbruch zu sein“, ergänzt Gross.

„Jähzorn – Psychotherapeutische Antworten auf ein unberechenbares Gefühl“, Springer Verlag, 193 Seiten, 24,95 €.

AUF EINEN BLICK

Jähzorn ist nicht immer nur eine vorübergehende Störung der Impuls-Kontrolle. Hinter
häufigen Zornausbrüchen kann auch eine psychische
Erkrankung stecken (zum Beispiel Persönlichkeitsstörung, Alkohol-Abhängigkeit).

„Opfer“ von Menschen mit häufigen Jähzorn-Attacken sollten sich nicht scheuen, Hilfe von Experten zu holen.

■Im Springer Verlag ist das erste deutschsprachige Buch erschienen, das Jähzorn öffentlich thematisiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2008)

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