Traumkarriere in Boston

Boston Children’s Hospital
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Die Kinderärztin Mariella Gruber-Filbin fand einen Weg, einen bisher unheilbaren Hirntumor zu therapieren. Aus der Steiermark kam sie über Wien nach Harvard.

Die Forscherkarriere klingt zu schön, um wahr zu sein. Doch Mariella Gruber-Filbin darf den Traum leben: Schon während des Medizinstudiums in Graz, das sie mit Ehrung durch den Bundespräsidenten sub auspiciis abschloss, wollte sie in die Forschung. „Wir Ärzte verstehen so vieles nicht, was wir täglich in der Klinik erleben. Darum wollte ich das medizinische Wissen erweitern.“ Dies gelang ihr bereits an der Kinderklinik des Wiener AKHs, wo sie bei Irene Slavc auf der Neuroonkologie „innovative Hirntumorforschung“ betrieb. „Während der Facharztausbildung wurde mir ein Praktikum an der University of Harvard ermöglicht, um die dortige Hirntumor-Arbeitsgruppe kennenzulernen“, sagt Gruber-Filbin.

Nach diesem Mai im Jahr 2007 änderte sich alles: Harvard, die Stadt Boston und das wissenschaftliche Umfeld hatten es Gruber-Filbin angetan. Sie bewarb sich um eine Postdocstelle an der University of Harvard und bekam eine Zusage für drei Jahre. Danach verlängerte sie ihren Aufenthalt in Boston immer weiter. Auch privat passte alles: Sie lernte einen Emergency-Mediziner kennen, mit dem sie heute verheiratet ist.

Zu Hause wird auf Englisch und Deutsch gesprochen. Nicht nur über Forschung, sondern auch darüber, was Österreich von den USA unterscheidet: „In Österreich wächst erst langsam Verständnis dafür, dass medizinische Forschung am besten in Kombination mit der Arbeit in der Klinik funktioniert. Und das man für gute Forschung ,geschützte‘ Zeit braucht“, sagt Gruber-Filbin. „Erst durch den regelmäßigen Kontakt mit den Patienten erinnert man sich daran, wozu wir viele Stunden im Labor stehen: Wenn man als Arzt scheitert und Patienten verliert, will man umso schneller herausfinden, wie man die Krankheit besiegen kann.“

Deshalb steht sie 80 Prozent ihrer Arbeitszeit im Labor, die restliche Zeit arbeitet sie als Onkologin im weltberühmten Boston Children's Hospital, der Uni-Klinik von Harvard. Auf die Frage, ob sie hier bessere Bedingungen vorfindet als in Österreich, sagt Gruber-Filbin: „Für die Forschung in diesem Feld gibt es in Österreich zurzeit nicht die gleichen Möglichkeiten. Auch der Zugang zu neu entwickelten Substanzen der chemischen Forschung und neuen Technologien ist hier leichter.“ Zudem seien die USA ein ideales Pflaster für Menschen mit Ideen: „Man geht durch eine Tür, schlägt etwas vor und bekommt als Antwort: ,Gute Idee, machen Sie es.‘ Egal, wie alt man ist, egal, ob Inländer oder Ausländer mit Akzent, egal, ob Mann oder Frau.“


Sensationelles Ergebnis. Gruber-Filbin sprüht beim Erzählen vor Begeisterung. Doch in ihrer Arbeit geht es um eine schwere Erkrankung, die derzeit nicht heilbar ist: Patienten mit der Diagnose Glioblastom haben noch etwa eineinhalb Jahre zu leben. Erwachsene und Kinder sind von dem Hirntumor betroffen. „Operation, Bestrahlung und Chemotherapie können die Patienten derzeit nicht retten. Daher hoffen wir auf neue Designermedikamente, die den Krebs an der Achillesferse packen und die Glioblastomzellen töten können“, so Gruber-Filbin. Die Basis ihrer Studien legte eine riesige Genanalyse, bei der das National Institute of Health hunderte Glioblastome sequenzierte: „Endlich waren alle genetischen Mutationen, die zu dem Tumor führen, entschlüsselt. Wir ließen dann menschliche Hirntumorzellen dreidimensional im Labor wachsen und probierten ein genetisches Designermedikament nach dem anderen aus. Doch keines konnte die Tumorzellen töten.“

Nach Monaten der Frustration kam die Erleuchtung: „Vielleicht nutzt das Glioblastom verschiedene Wachstumswege gleichzeitig – ähnlich wie Stammzellen.“ In den genetischen Daten fanden sich tatsächlich Stammzellaktivatoren. „Wir blockierten diese Gene zugleich mit denen, die für das Krebswachstum wichtig sind: So konnten wir erstmals Glioblastomzellen im Labor töten.“ Dass erstmals eine „Achillesferse“ der Glioblastome entdeckt wurde, blieb nicht ohne Folgen. Gemeinsam mit anderen Gruppen in Harvard wurde die exzellente Infrastruktur vor Ort genutzt, um gleich neue Medikamente zu entwickeln: Die Versuche im Mausmodell klappten.

Auf der anderen Seite des Flusses in Boston liegt Cambridge, dort sitzt die Pharmafirma Novartis, die auf das neue Mittel gegen den Hirntumor aufmerksam wurde. Viel schneller als sonst konnte bei Novartis mit ersten klinischen Studien gestartet werden. „Voriges Jahr begannen die Tests an Erwachsenen, heuer an Kindern. Die Chemotherapie erfolgt in Tablettenform, wodurch die Patienten nicht dauernd ins Krankenhaus kommen müssen“, freut sich Gruber-Filbin.

Die Steirerin radelt jetzt fast täglich zu ihrem neuen Forschungsort, eine neue Herausforderung nach der University of Harvard: Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) ist Vorreiter in der medizinischen Krebsforschung. Hier lotet Gruber-Filbin „die Grenze des Möglichen in der Krebsforschung“ aus: „Wir erforschen die Epigenetik der Glioblastome, um alle Tricks des Tumors zu finden, die Ansatzpunkt für weitere Therapien sein können.“ Einmal in der Woche sieht sie weiterhin ihre Krebspatienten in der Kinderklinik in Boston: Sie sind die größte Motivation, ihren Kampf gegen den Krebs nicht aufzugeben.

Denkt Mariella Gruber-Filbin überhaupt noch daran, nach Österreich zurückzukommen? „Ja, das würde ich mir wünschen! Aber die Voraussetzung ist, dass es eine Forschungsstelle in Verbindung mit einer klinischen Stelle gibt. Und dass mein Mann auch einen Job in der gleichen Stadt bekommt. Doch die Funktion eines ,Notaufnahmemediziners‘ als unabhängiges Fach gibt es bei uns derzeit noch nicht.“

Ascina-Netzwerk

Ascina (Austrian Scientists in North America) wurde als Netzwerk für österreichische Forscher in Nordamerika gegründet. Der Verein verbindet rund 1500 österreichische Wissenschaftler in den USA, Kanada und Mexiko.
Der Ascina-Award wird jährlich an herausragende junge Forscher in Nordamerika verliehen (finanziert vom Wissenschaftsministerium). 2014 Jahr wurden Mariella Gruber-Filbin, Sonja Schmid und Simon Gröblacher geehrt.

Steckbrief

1978 wurde Mariella Gruber-Filbin in St.Anna am Aigen in der Steiermark geboren.

2004 schloss sie in Graz das Medizinstudium sub auspiciis ab.

Seit 2008 lebt sie in Boston, wo sie an der Harvard-Universität forschte, nun zum Massachusetts Institute of Technology (MIT) wechselte und weiterhin als Kinderärztin am Kinderspital von Harvard arbeitet. Ascina

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2014)

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