Gewürze gegen Mangelernährung

Tuerkei, Istanbul, Gewuerzbasar
Tuerkei, Istanbul, Gewuerzbasarwww.BilderBox.com
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Bald auch in Wien? Medizinisch untermauerte Kochworkshops für Patienten nach Operationen und Chemotherapie.

Wer das Öl beim Kochen auf über 220 Grad erhitzt, der zerstört alles und dem gehört rechts und links eine Pistole angesetzt“, droht Star- und Sternekoch Alfons Schuhbeck. Launig bringt er sein Fachwissen und -können unter das Publikum – bei ganz speziellen, medizinisch untermauerten Kochworkshops, die sich in erster Linie an Menschen richten, die sechs- bis neunmal am Tag essen sollten. Ja richtig, sechs- bis neunmal.

Es geht um Menschen, die den Appetit und zu viel Gewicht verloren haben. Es geht um Patienten nach schweren (Bauch-)Operationen, um Patienten mit Krebs, Chemotherapie, Verbrennungen, schweren Infektionen, schweren Traumen mit starken Schmerzen. All das kann zu Mangelernährung führen und diese wiederum zur Verzögerung des Genesungsprozesses, zu schweren Komplikationen, ja sogar zum Tod. Mangelernährung kann bis zu 80 Prozent am Sterben beteiligt sein. „Ernährung spielt eine viel größere Rolle beim Gesundwerden und Gesundbleiben als vielen, auch so manchen Ärzten, bewusst ist“, betont Heinz Steltzer, Vorstand der Anästhesie und Intensivmedizin im Unfallkrankenhaus Meidling. Nach einer Operation, einer schweren Erkrankung oder Verletzung dauert es oft bis zu 18 Monate, ehe Betroffene wieder ihr Ausgangsgewicht haben. Eine frühere Gewichtsstabilisierung jedoch kann Leben verlängern. Aber darum kümmert sich die Medizin so gut wie nicht. „Daher will ich den Praxisworkshop ,Kochkunst gegen Katabolie‘ nach Österreich bringen und bestimmten Patientengruppen Lust auf Essen machen.“ Katabolie bedeutet, dass die Abbauprozesse im Körper gegenüber den aufbauenden Prozessen überwiegen.

Fade Spitalskost. „Appetit kann man nur machen, wenn es schmeckt, und das geht sehr stark über Gewürze“, weiß Schuhbeck, der derlei Workshops seit drei Jahren einmal monatlich in München leitet – gemeinsam mit den Initiatoren Marc Martignoni, Chirurg am Klinikum rechts der Isar, und Michael Adolph, Anästhesist an der Universitätsklinik Tübingen und Ernährungsexperte. Bei diesen Kursen werden medizinische Fragestellungen und Ernährungsaspekte besprochen, Patientenfragen beantwortet, Starkoch Schuhbeck gibt praktische Tipps und demonstriert, wie leicht gesunde und geschmackvolle Kost zuzubereiten ist. Es darf und soll gekostet werden. Und es schmeckt offenbar gut, wie bei einem Pilot-Workshop letzte Woche in Wien zu sehen war. Zurück nach München: „Unsere Teilnehmer haben wieder mehr Spaß am Essen und nehmen in einem halben Jahr zwischen drei und neun Kilogramm zu“, berichtet Martignoni. Das sei – nicht nur, aber auch – auf die richtigen Gewürze zurückzuführen.

Gewürze sind Medizin, das ist inzwischen nahezu Allgemeinwissen. Das jedoch mitunter gerade in der Medizin sträflich vernachlässigt wird. Steltzer: „Die Krankenhauskost ist meist viel zu wenig gewürzt, weil man teilweise noch immer der Meinung ist, das würde schaden. Aber das Gegenteil ist der Fall, es gibt eine Reihe therapeutischer Gewürze.“

Ingwer nicht schälen. Schuhbeck: „Gewürze aber bitte erst in den letzten 15 bis 20 Minuten des Kochvorgangs dazugeben, sonst verlieren sie viel von ihrer gesundheitsfördernden Wirkung.“ Magenberuhigend und gegen Übelkeit wirken zum Beispiel Zimt, Kardamom, Anis und Ingwer. „Ingwer bitte nicht schälen, denn in und knapp unter der Schale befinden sich die meisten wertvollen Inhaltsstoffe“, empfiehlt Schuhbeck. „Und wenn schälen, dann mit einem Löffel“, sagt er und demonstriert, wie leicht das zu bewerkstelligen ist. Apropos Ingwer: Seine antioxidative Wirkung wird um 50 Prozent stärker, mischt man ihn mit Knoblauch. Ein weiterer Tipp vom Starkoch: Pfeffer. „Der kann die Aufnahme von Nährstoffen im Körper fördern.“ Beispiel Kurkuma. Das Gewürz besitzt 50 Heilwirkungen – von der Schmerzlinderung über Entzündungshemmung bis zur Krebsprävention. Mischt man Pfeffer dazu, erhöht das die Bioverfügbarkeit der für uns wertvollen Kurkuma-Inhaltsstoffe um sage und schreibe 2000 Prozent.

Pfeffer für Magenoperierte? „Ja, warum nicht, es gibt da viel zu viele allgemeine Verbote. Der eine verträgt das, der andere nicht, das ist individuell unterschiedlich. Und darauf kommt es an, danach sollte gekocht werden und nicht nach stereotypen Regeln“, betont Martignoni. Vielleicht sollte jemand, der an Durchfall leidet, nicht unbedingt Chili essen, denn das kann das Problem verstärken. „Aber sonst ist im Prinzip nichts verboten, keine einzige Operation macht ein Lebensmittel giftig.“

Bei den angesprochenen Workshops geht es aber nicht nur um gesundes Essen, sondern auch um leicht nachkochbare Rezepte und einfache Zubereitung. „Unsere modulare Küche macht es außerdem möglich, dass ein und dasselbe Gericht mehrfach einsetzbar ist“, sagt Schuhbeck. Beispielsweise kann man aus dem Frischkäse-Aufstrich auch eine Suppe zaubern oder eine Sauce für Nudeln oder Reis. Man kann freilich auch Bratkartoffeln damit verfeinern. „Daher immer gleich eine größere Menge zubereiten. Vieles hält sich bis zu einer Woche im Kühlschrank, vieles lässt sich auch wunderbar einfrieren“, rät Schuhbeck. Das Auftauen in der Mikrowelle schadet laut Ärzten und Koch weder Gesundheit noch Geschmack.

In der Gemeinschaft schmeckt es besser? Auch darauf nehmen Medizin und Kochkunst Rücksicht. „Für den Patienten, der hochkalorische Ernährung braucht, gibt man einfach zum Schluss noch ein bisschen hochwertiges Öl oder Obers dazu, damit kann man die Energiedichte leicht und geschmackig hochschrauben.“

Und wie steht es mit dem Trinken? „Der eine braucht drei Liter Flüssigkeit am Tag, der andere zwei Liter, ein dritter weniger“, sagt Adolph. Auch das sei von Mensch zu Mensch verschieden. Wenn der Urin dunkel und konzentriert sei, sei das ein Hinweis auf Flüssigkeitsmangel. Wer klaren Urin hat, trinkt genug. Und man könne – entgegen so mancher Binsenweisheit unter den Ernährungstipps – sehr wohl auch zum Essen trinken. Darf es auch Wein für Bauchoperierte oder Krebspatienten sein? „Ja, ein Glas Wein, ein Seidel Bier sind durchaus in Ordnung“, sind sich die Mediziner einig. Denn gerade geschwächte Patienten sollen und dürfen auf Genuss nicht verzichten.

Workshop

Sternekoch Alfons Schuhbeck veranstaltet in München seit drei Jahren gemeinsam mit zwei Ärzten Kochworkshops für Patienten nach schweren Operationen oder Chemotherapie.

Eine Evaluierung durch die Patienten brachte diesen Workshops die Note 9,8 (von max. zehn) ein. Clemens Fabry

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Heilende Gewürze.Die molekularen und biochemischen Wirkungen hinter der Heilkraft von Gewürzen werden am M.D.-Anderson-Krebszentrum der Universität von Texas erforscht. Über einige Ergebnisse sowie über Studien anderer Gewürzforscher berichtet Wissenschaftler Bharat B. Aggarwal in „Heilende Gewürze. Wie 50 heimische und exotische Gewürze Gesundheit erhalten und Krankheit heilen können“ (Narayana Verlag, 512 Seiten, 29,90 €).

Mediterran. Dass gesunde Kost gut schmecken kann, beweist die Ernährungsexpertin Conner Middelmann-Whitney in „Appetit auf Leben. Meine mediterrane Anti-Krebs-Küche“
(Verlag Herbig, 240 Seiten, 20,60 €).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2014)

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