Ein Totschlagsurteil gegen eine Hebamme

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Ein Kind stirbt bei einer Hausgeburt. Das Urteil wegen Totschlags gegen die betreuende Hebamme und Ärztin ist außergewöhnlich hart und schlägt hohe Wellen.

Es war der 30. Juni 2008. Ein Paar freute sich auf die Geburt ihres ersten Kindes, endlich, einige Tage nach errechnetem Termin, setzte die Geburt ein.
Sie beiden waren einen langen Weg gegangen, um ihr Kind, das mit Steiß voran in der Gebärmutter lag, doch noch auf natürliche Weise gebären zu können. In Riga, wo das Paar lebt, war ihnen nur die Option Kaiserschnitt eröffnet worden. Auf der Suche nach Alternativen stieß das Paar in seiner Heimat Deutschland auf die erfahrene Hausgeburtshebamme und praktische Ärztin Anna R., die dafür bekannt war, auch Geburten, die als riskanter gelten, außerhalb einer Klinik zu betreuen (wie etwa Steißlagen oder Zwillinge).

Die 61-Jährige aus Nordrhein-Westfalen galt vielen Hausgeburtsbefürwortern als Vorbild. Mit deren Hilfe wollte die Schwangere aus Riga ihr Kind zur Welt bringen. Das Paar mietete sich in ein Hotel nahe der Praxis der Geburtshelferin ein. Als die Wehen immer stärker wurden, schaffte es die Frau nicht mehr, wie vereinbart, in die Praxis von Anna R. Diese kam zur Geburt ins Hotelzimmer. Dort wurde schließlich in den späten Abendstunden, um 22.14 Uhr, ein kleines Mädchen leblos geboren – die Wiederbelebungsversuche durch Hebamme und Notarzt blieben erfolglos.

Freiheitsstrafe und lebenslanges Berufsverbot

Über sechs Jahre später, Anfang Oktober, fiel im Landesgericht Dortmund das Urteil gegen die damals betreuende Hebamme und Ärztin. Nach einem über zweijährigen aufwendigen Prozess folgte die fünfköpfige Strafkammer weitgehend der Anklage und verurteilte Anna R. wegen Totschlags zu sechs Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe und verhängte ein lebenslanges Berufsverbot. Zudem muss sie unter anderen Schadensersatz in der Höhe von circa 50.000 Euro leisten. Die Verteidigung legte Revision ein, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Für das Gericht gelte es als erwiesen, dass das Kind aufgrund von Sauerstoffmangel während der Geburt verstorben sei, so der Sprecher des Gerichts. Anna R. habe trotz Warnzeichen die Mutter nicht in eine Klinik überstellt, wo laut Gutachten das Kind per Kaiserschnitt gesund auf die Welt hätte kommen können. Stattdessen habe sie aus ideologischen Gründen und aus Angst um ihren Ruf an der Hausgeburt festgehalten, obwohl sie wusste, dass die Lage kritisch sei. Dem zufolge kam das Gericht zum Schluss, dass sie den Tod des Kindes zwar nicht gewollt, aber „billigend in Kauf genommen“ habe, dass somit nicht Fahrlässigkeit, sondern ein bedingter Vorsatz vorliege. Weiters habe sie gegen Berufsregeln verstoßen, die gegen eine Steißlagengeburt außerhalb einer Klinik sprechen.

Hinweise auf vorgeburtliche Schädigung

Anna R. hatte ihre Unschuld betont. Es habe keine Notsituation gegeben, ansonsten hätte sie die Gebärende sehr wohl ins Krankenhaus überstellt. Es gibt laut Verteidigung Hinweise auf eine vorgeburtliche Schädigung des Kindes. Der Tötungsvorsatz sei nicht nachvollziehbar, so Hans Lilie, einer der Anwälte der Verteidigung. Der Professor für Straf- und Medizinrecht betont: „Die deutsche Arzthaftungsrechtsprechung hat auch bei groben Fehlern niemals einen Vorsatz angenommen, das wäre absolutes Neuland.“

Tatsächlich ist in Deutschland erstmalig ein Geburtshelfer – Arzt, Ärztin oder Hebamme – wegen Totschlags verurteilt worden. Totschlag wird als Tatbestand hinter Mord gereiht und bedarf eines Vorsatzes. Auch wenn das Gericht den besonderen Einzelfall betont, befürchten Beobachter die Beispielwirkung. Dieses Urteil sei nicht nur für die Hausgeburtshilfe, sondern für die gesamte Geburtshilfe „maximal beunruhigend“, betont Katja Baumgarten, die als Journalistin für die „Deutsche Hebammen Zeitschrift“ den gesamten Prozess beobachtet und darüber berichtet hat. Es werde den ohnehin starken forensischen Druck auf Geburtshelfer weiter verschärfen. Baumgarten zeigt sich verwundert, dass das Urteil gesprochen wurde, obwohl „entscheidende Fragen“ offen geblieben seien: So sei etwa die Frage nach der Todesursache von keinem Gutachter zweifelsfrei geklärt worden. Auch die Begründung der Strafkammer für den Totschlag sei „erstaunlich“.

Aufregung unter Hebammen

In Österreich werde „Totschlag“ anders definiert und käme daher bei medizinischen Schadensfällen nicht zur Anwendung, erklärt Silke Beetz, Anwältin für Straf- und Medizinrecht in Wien. Als Totschlag gilt eine vorsätzliche Tötung, die – anders als in Deutschland – in einer „allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung“ ausgeführt wird. Die übliche Anklage lautet daher fahrlässige Körperverletzung oder Tötung.

Das strenge Urteil sorgt für große Aufregung, vor allem unter Hebammen, die Geburten außerhalb einer Klinik betreuen und ohnehin einen schweren Stand haben (siehe Artikel zur Haftpflichtversicherung). „Es ist zu befürchten, dass die Emotionen, die dieser Fall auslöst, weiter öffentlich instrumentalisiert werden, um gegen die außerklinische Geburtshilfe zu hetzen“, schreibt die Journalistin Eva Schindele in der jüngsten „Deutschen Hebammen Zeitschrift“. Weitere dieser Hebammen könnten ihren Beruf aufgeben.

"Hexenprozess"

Manche Sympathisantinnen von Anna R. gingen soweit, das Verfahren als „Hexenprozess“ zu kritisieren, in dem die Hausgeburtshilfe per se vor Gericht gestanden sei. Andere wiederum wenden ein, die Hebamme und Ärztin hätte trotz Erfahrung Geburten mit bestimmten Risiken nicht außerhalb einer Klinik betreuen dürfen. So habe sie jenen Kolleginnen geschadet, die sich an Berufsregeln hielten.

Der „Deutsche Hebammenverband“, der das Urteil nicht kommentieren will, versucht in einer Stellungnahme zu beschwichtigen: Die außerklinische Geburtshilfe sei nicht vor Gericht gestanden, diese sei genauso sicher wie eine Geburt in der Klinik, wie Daten zeigten. Es sei ein komplizierter Einzelfall. Der größte Berufsverband für Hebammen in Deutschland betont aber, dass nach seiner „Empfehlung“ Geburten aus Steißlage in ein Krankenhaus gehörten und Hebammen sich an die jeweiligen Berufsordnungen halten müssten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2014)

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