Kranke Häuser: Ärzte warnen vor Kollaps

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Durch die neuen Arbeitszeiten für Ärzte kann der Spitalsbetrieb in der jetzigen Form nicht aufrechterhalten werden.

Die Botschaft war unmissverständlich. Rund 1500 Wiener Spitalsärzte versammelten sich am Montag dieser Woche im Museumsquartier, um gemeinsam zu protestieren: gegen unbefriedigende Arbeits- und Ausbildungsbedingungen. Gegen eine im internationalen Vergleich unterdotierte Entlohnung. Und gegen politisch Verantwortliche in Bund und Ländern, die es an Wertschätzung mangeln lassen.

Jüngster Anlass für den Unmut ist das neue Arbeitszeitgesetz für die Krankenanstalten, eine Vorgabe der EU, die in Österreich eigentlich schon seit zwölf Jahren umgesetzt sein sollte, aber erst mit Jahresbeginn 2015 in Kraft getreten ist. Seither dürfen Spitalsärzte im Schnitt nur noch 48 Stunden pro Woche arbeiten, davor waren es 60. Da damit Zuverdienstmöglichkeiten wie Überstunden und Nachtdienste beschnitten werden, verlangen sie jetzt höhere Grundgehälter.

Die Dienstgeber – im Bereich der öffentlichen Krankenhäuser sind das die Bundesländer – stehen damit nicht nur vor finanziellen Problemen. Wenn die Ärzte weniger Stunden machen, kann der Spitalsbetrieb in dieser Form auch nicht mehr aufrechterhalten werden. Sprich: Es kommt zu längeren Wartezeiten für die Patienten, in den Ambulanzen und bei Operationen.

In den meisten Bundesländern haben sich Landesregierung und Spitalsärzte mittlerweile auf (finanzielle) Übergangslösungen geeinigt, bis gemeinsam neue Dienstpläne entworfen werden. In Wien steht eine Lösung noch aus, in Tirol und Oberösterreich lagen die Nerven bis zuletzt blank (siehe nebenstehenden Bericht), in Kärnten geht gar nichts mehr. Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) hat die Verhandlungen vor Kurzem für gescheitert erklärt. Die Gehälter sollen demnächst ohne Sanktus der Ärztekammer angepasst werden – nach Kaisers Vorstellungen freilich.

Angst vor Konsequenzen. Wie angespannt die Situation mancherorts ist, zeigt auch ein Sprechverbot für die ärztliche Belegschaft am Landeskrankenhaus Innsbruck – an das sich nicht jeder Mediziner hält. In Wien schweigen viele Kollegen lieber freiwillig, aus Angst vor beruflichen Konsequenzen. Aber eben nicht alle.

„Die Presse am Sonntag“ hat sich in Österreichs Krankenhäusern umgehört und fünf Ärzte – aus den unterschiedlichsten Fächern – gefunden, die sich kein Blatt vor den Mund nehmen. Auf dieser Doppelseite erzählen sie, wie sich die neue Arbeitszeitregelung auf ihren Alltag auswirkt, und sagen, was sie verändern würden, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten.

Ein unmoralisches Angebot

Zwischen 50 und 60 Stunden pro Woche betrug bisher die durchschnittliche Arbeitszeit von Michael Dolezal, Oberarzt am Institut für Anästhesiologie und Intensivmedizin im Salzkammergut-Klinikum in Vöcklabruck. Die höchstmöglichen 72 Stunden wurden in seiner Station ganz selten ausgereizt. Seit Inkrafttreten des neuen Arbeitszeitgesetzes Anfang des Jahres pendeln sich die Wochenstunden auf 48 Stunden ein, was Dolezal als „große Erleichterung“ empfindet.

„Ich bin kürzer im Spital und habe mehr Privatsphäre. Das ist mir mehr Wert als der finanzielle Verlust, der durch die geänderten Bedingungen entsteht“, sagt Dolezal. So würden die meisten Kollegen in seiner Station denken. „Allerdings gibt es Grenzen, die nicht mehr annehmbar erscheinen. Das letzte Angebot von Landeshauptmann Josef Pühringer hätte für uns inakzeptable Auswirkungen.“


Schriftliche Zustimmung. Gemeint ist die Opt-out-Möglichkeit, die den Ärzten von Pühringer nahegelegt wurde. Nach dieser Regelung könnten Ärzte mit ihrer schriftlichen Zustimmung trotz des neuen Arbeitszeitgesetzes länger als durchschnittlich 48 Stunden pro Woche arbeiten. Diese Regelung zu unterschreiben und wieder mehr Überstunden zu machen komme für ihn unter keinen Umständen infrage. So ein Vorschlag könne nur von jemandem kommen, der keine Ahnung vom Spitalsbetrieb habe.

„Die Darstellung in der Öffentlichkeit, die Opt-out-Möglichkeit bedeute eine Lösung für unser Problem mit der Arbeitszeit, ärgert mich schon lang“, betont Dolezal. „Denn dadurch wird der Eindruck erweckt, dass wir die Überstunden unbedingt machen wollen, was nicht der Fall ist. Richtig ist vielmehr, dass wir endlich eine – im Vergleich zu anderen Branchen mit einem halben Jahrhundert Verspätung– Normalisierung unserer Arbeitszeit wollen.“


Unwort des Jahres. Die 48-Stunden-Woche, die nun gesetzlich verordnet ist, bedeute immer noch eine um fast 25Prozent höhere Arbeitszeit als bei der Mehrheit der Bevölkerung. Dolezal: „Meiner Meinung nach sollte Opt-out als Unwort des Jahres nominiert werden. Der Politik fällt derzeit nichts anderes ein, als in Verhandlungen zu tricksen, Druck auf die Ärzte über die Medien auszuüben und ziemlich kreativ interpretierte Gehaltsstatistiken zu verbreiten, die ein komplett falsches Bild von unseren Verdienstmöglichkeiten abgeben.“

Denn die Situation in Österreich sei im Vergleich zu anderen Ländern so unattraktiv geworden, dass mittlerweile der größere Anteil der jungen Ärzte ins Ausland gehe. „Diese werden uns aber spätestens in sechs bis acht Jahren bitter fehlen, wenn sowohl im niedergelassenen Bereich als auch in den Spitälern sehr viele Kollegen in Pension gehen werden“, sagt Dolezal und bemüht ein Zitat von Ex-US-Präsident Abraham Lincoln. „Sinngemäß soll er einmal gesagt haben: ,Man kann alle Leute eine Zeit lang, einige Leute immer, aber niemals alle Leute zu jeder Zeit an der Nase herumführen.‘ Darüber sollte sich die Politik Gedanken machen.“

Plädoyer für ein neues Sytem

Müsste Harald Stefanits, angehender Neurochirurg am Wiener AKH, einen Befund über die neue Arbeitszeitregelung schreiben, stünde in der Zusammenfassung ungefähr Folgendes: Vorher war es schon nicht optimal, aber jetzt ist es eindeutig schlechter.

Bislang haben Assistenzärzte an seiner Abteilung fünf, sechs Nachtdienste pro Monat gemacht und damit die erlaubten 64 Wochenstunden ausgereizt. Offiziell. Inoffiziell waren es meist mehr, da Ärzte an einer Uni-Klinik auch forschen müssen. Genau genommen wurde die Wissenschaft „fast vollständig in die Freizeit ausgelagert“.

Seit 1.Jänner sind eigentlich nur noch drei bis vier Nachtdienste erlaubt. Das würde zwar die Lebensqualität erhöhen, sagt Stefanits, ginge aber mit Gehaltseinbußen von bis zu 40 Prozent einher. Für einen Chirurgen in Ausbildung seien längere Ruhezeiten außerdem „ein zweischneidiges Schwert“: Man sei zwar erholter, es gehe aber auch viel Ausbildungszeit verloren. Daher haben sich fast alle jungen Kollegen seiner Abteilung entschieden, vorerst freiwillig mehr zu arbeiten. Und eine Verzichtserklärung unterschrieben.

Am liebsten wäre dem 31-Jährigen, der aus dem Burgenland stammt, ein völlig neues System. Mit weniger Nachtdiensten, aber der Möglichkeit, weiterhin länger zu arbeiten. „Ich würde tagsüber gern mehr Stunden machen“, sagt er. Und eines Tages das Pensum wieder reduzieren. „Damit Zeit für eine Familie bleibt.“ Diesen Wunsch teilt er mit vielen Ärzten. Höhere Gehälter allein machen nicht glücklich, sie wollen auch Tätigkeiten abgeben, etwa an Pfleger.

Keine Wertschätzung. Von der Politik sind die (jungen) Mediziner enttäuscht. Es fehle an Wertschätzung, so Stefanits. Unter Kollegen würden bereits Vergleiche angestellt: „Für die marode Hypo sind 17 Milliarden Euro aufgestellt worden, aber für eine faire Bezahlung der Ärzte ist nicht genug Geld da.“

 „Systemerhalter spiele ich nicht"

Es waren zwei Überlegungen, die Stefan Konrad (31), dazu bewogen haben, den sogenannten Opt-out-Vertrag nicht zu unterzeichnen und nun „nur“ noch die gesetzlich fixierten 48 Stunden zu arbeiten. Erstens: die Rücksicht auf die eigene körperliche und geistige Gesundheit. Und zweitens: um das System unter Druck zu setzen. Also eine Veränderung zu erzwingen, damit nicht „weitergewurschtelt“ wird wie bisher.

Der Fehler liegt für ihn im System. Es räche sich, dass Ärzte bislang ein geringes Grundgehalt, aber zugleich eine „überproportional gute Bezahlung“ für Nacht- und Wochenenddienste erhielten. Er selbst war als Assistenzarzt an der Klinik für Strahlentherapie im Wiener AKH durch die knappe personelle Besetzung gezwungen, sechs solcher Dienste pro Monat zu machen. So besserte er sich sein Grundgehalt merklich auf. „Nun schlafe ich zwar zwei bis drei Nächte mehr im eigenen Bett, verliere monatlich aber mehr als 1000 Euro brutto“, so Konrad. Fair sei das nicht.

Manchmal todmüde. Doch die bessere Work-Life-Balance sei wichtig. Bis zu 49 Stunden am Stück bzw. bis zu 72 Stunden pro Woche zu arbeiten sei schwer. „Nach Diensten, in denen ich wenig bis gar nicht schlafen konnte, war ich todmüde. Da kann man für nichts mehr garantieren.“ Insofern sei die Arbeitszeitbegrenzung auch für Patienten positiv. Fraglich sei nur, ob die Versorgung weiter sichergestellt werden könne. An Konrads Klinik haben sich nur fünf von über 20 Ärzten für freiwilliges längeres Arbeiten entschieden. Jetzt sei das noch kein Problem. Die meisten arbeiten nämlich noch immer mehr. Möglich macht das der lange Durchrechnungszeitraum. „Spannend wird es ab April.“

Bevor es zum Kollaps komme, würde aber auch er „als Überbrückung für die Patienten“ eventuell mehr arbeiten– strikt vorausgesetzt, es werden sofort Reformen in Gang gesetzt. Denn: „Systemerhalter spiele ich nicht.“

Die besten Ärzte könnten gehen

Sämtliche Befürchtungen, wonach sich das neue Arbeitszeitgesetz negativ auf die Patientenversorgung auswirken könnte, würden sich bewahrheiten, beklagt Renate Larndorfer. Sie ist geschäftsführende Oberärztin der Unfallchirurgie in der Universitätsklinik Innsbruck. „Operationen müssen verschoben und Ambulanzen reduziert oder ganz gestrichen werden. Für die Patienten bedeutet das lange Wartezeiten“, sagt die 58-Jährige. „Das ist ein Rückschritt, der nicht akzeptabel ist. Wir sind eine renommierte Klinik und können unter diesen Umständen unsere qualitativ hochwertigen Leistungen nicht mehr erbringen.“ Die Anforderungen würden ständig wachsen, während die Bezahlung weniger werde. Die Klinik laufe Gefahr, ihre besten Leute an andere Bundesländer oder an das Ausland zu verlieren, „denn bei den Verdienstausfällen sprechen wir von relevanten Beträgen, die in der Lebensplanung vieler Menschen einen vehementen Einschnitt darstellen.“


Frustlevel hoch. Sie selbst etwa habe bisher durchschnittlich 60 Stunden pro Woche gearbeitet, nun solle dasselbe Arbeitspensum in 48 Stunden erledigt werden, was im Alltag kaum zu bewältigen sei. „Eine solche Veränderung müsste von der Verwaltungsseite her viel besser vorbereitet werden, was nicht geschehen ist. Das Frustlevel ist sehr hoch“, sagt Larndorfer. „Die Verantwortlichen sind dringend gefragt, rasch eine Übergangs- und sobald wie möglich eine dauerhafte Lösung zu finden.“ Diese müsse selbstverständlich eine Erhöhung der Grundgehälter beinhalten, damit Mediziner nicht unter ihrer Qualifikation arbeiten müssen und die Klinik Innsbruck wettbewerbsfähig bleiben könne. „Die jetzige Situation ist unhaltbar“, so Larndorfer. „Die Patienten haben ein Recht auf ausgeruhte Ärzte. Ebenso wie die Ärzte das Recht haben, neben einer erfüllenden Arbeit ein privates Leben zu haben.“ 

„Zugewinn an Lebensqualität“

Besonders stark betroffen vom neuen Arbeitszeitgesetz sind Ärzte in Ausbildung. Katharina Wöran ist seit Oktober 2013 Turnusärztin im Krankenhaus Oberndorf in Salzburg, seit sieben Monaten in der Abteilung für Innere Medizin. Fünf bis sechs Nachtdienste pro Monat machte sie bis Ende 2014 und kam regelmäßig auf 70-Stunden-Wochen. Seit 1. Jänner arbeitet sie rund 55 Stunden in der Woche, bei drei bis vier Diensten pro Monat, die allerdings nur 25 Stunden dauern – und nicht 30 wie die früheren. Zudem gibt es für jeden Samstagsdienst einen Ersatzruhetag.

„Ich habe eine Betriebsvereinbarung unterschrieben, daher kann ich immer noch bis zu 60 Stunden in der Woche arbeiten“, sagt die 25-Jährige. „Die angestrebte 48-Stunden-Woche wäre von heute auf morgen nicht möglich, ohne den Spitalsbetrieb zu gefährden bzw. die Leistungen unseres Krankenhauses zu beschränken. Aber mittelfristig will ich meine Arbeitszeit natürlich reduzieren, weil ich den Zugewinn an Lebensqualität durch die Ruhezeiten jetzt schon spüre.“ Der bevorstehende Verdienstentgang von 20 bis 30 Prozent sei dabei eher nebensächlich.

Option Ausland. Die Entscheidung, nach dem Studium nicht ins Ausland zu gehen wie viele andere Jungärzte, führt sie auf die einzigartige Qualität der Ausbildung im Krankenhaus Oberndorf zurück, die erst kürzlich bei der Turnusärzteevaluierung der Ärztekammer hervorragend bewertet wurde. „Ich habe in diesem Krankenhaus schon famuliert und wollte unbedingt auch meine Turnusausbildung hier machen“, betont Wöran. „Hier werde ich von meinen Kollegen intensiv begleitet, kann aber auch viel selbstständig arbeiten.“ Das bedeute aber nicht, dass sie künftig einen Auslandsaufenthalt ausschließe: „Ich möchte mich später auf ein Gebiet spezialisieren und werde dann die Optionen innerhalb Europas natürlich ausloten.“ 

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2015)

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