Masern-Debatte: Eltern zum Impfen zwingen?

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Nach dem Tod an Masernfolgen eines Buben in Berlin wird die Impfpflicht wieder diskutiert. Die Politik ist gegen Zwang.

Wien. Soll man Eltern zwingen, ihre Kinder gegen Infektionskrankheiten impfen zu lassen? Ist es sinnvoll, die Durchimpfungsrate per Zwang erhöhen zu wollen? Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) sieht dafür keinen Grund: Eine Impfpflicht, wie sie derzeit in Deutschland debattiert wird, ist für sie kein Thema, wie sie am Dienstag vor dem Ministerrat sagte. Man setze darauf, dass Ärzte aufklären, dass es klug sei zu impfen, so Oberhauser.

Auslöser für die aktuelle Debatte ist der Fall des anderthalbjährigen Buben in Berlin, der, wie die Charité-Klinik am Dienstag bestätigte, vorige Woche an den Folgen einer Maserninfektion gestorben ist. In Berlin grassiert derzeit eine der stärksten Masernwellen der vergangenen Jahre. Da schon weit mehr als 500 Fälle registriert wurden, fordern Politiker eine Impfpflicht.

Tragische Fälle wie dieser sind in Österreich noch nicht aufgetreten, aber auch hierzulande gebe es Masernerkrankungen mit Komplikationen, wie Oberhauser bestätigt. Kinderkrankheiten, die man lange für fast ausgerottet hielt, sind wieder auf dem Vormarsch. Auch, weil die Impfskepsis steigt: Einer Studie der Karl-Landsteiner-Gesellschaft zufolge sieht gar eine Mehrheit der Eltern Impfungen kritisch: 57 Prozent der befragten Eltern mit Kindern unter 13 Jahren sehen die empfohlenen Impfungen kritisch. Vier Prozent lehnen sie ab.

So das Ergebnis der Umfrage von vor zwei Jahren, das nach wie vor aktuell sei, wie Karl Zwiauer von der Landsteiner-Gesellschaft meint. Nur 68 Prozent gaben dabei an, der österreichischen Impfempfehlung zu vertrauen. Zwiauer ortet „massiven Kommunikationsbedarf“. Information und Aufklärung statt Zwang, das ist auch die Denkrichtung der Gesundheitssprecher der Parlamentsparteien: „Wir werden das nicht per Gesetz machen. Mit Zwangsmaßnahmen erreichen wir nichts“, so ÖVP-Nationalrat Erwin Rasinger. Er ortet aber ein massives Informationsdefizit, stünden doch auch Ärzte Impfungen skeptisch gegenüber. „Sinkt die Impfrate, müssen wir auch in Österreich wieder mit Epidemien rechnen“, sagt er.

Aufklären statt Zwang

Eltern nehmen das Thema heute viel lockerer als früher. Auch, weil die heutige Elterngeneration – dank der erfolgreichen Impfprogramme in deren Kindheit – selbst selten mit den Folgen schwerer Infektionskrankheiten konfrontiert war. Rasinger spricht sich nun zum einen für Kampagnen und Aufklärung durch die Behörden aus, zum anderen durch die Kinderärzte.

Für Information und Aufklärung und gegen eine Pflicht ist auch die grüne Gesundheitssprecherin, Eva Mückstein: „Es gibt auch Bedarf an unabhängigen Studien über Nebenwirkungen, um Skeptiker von der Sinnhaftigkeit des Impfens zu überzeugen.“ Dagmar Belakowitsch-Jenewein (FPÖ) plädiert ebenso für die Freiheit der Einzelnen. Bei den Neos hält man die aktuelle Situation für ausreichend. Die Impfempfehlungen sollten aber keinesfalls gelockert werden.

Die in Deutschland diskutierte Impfpflicht wäre in Österreich ohnehin nicht möglich, weil sie verfassungsmäßigen Grundrechten widerspreche, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. Diskutieren könne man aber ein verpflichtendes Impfberatungsgespräch, so Pamela Rendi-Wagner, Leiterin der Sektion für öffentliche Gesundheit. Sie betont aber, dass Impfungen zu den sichersten und effektivsten Maßnahmen zur Krankheitsprävention gehörten. Es sei unverantwortlich, Kindern diesen Schutz nicht angedeihen zu lassen. Käme die Impfpflicht in Deutschland, würde sie hierzulande nicht wahrscheinlicher, sehr wohl aber die Diskussion darüber.

Die Österreichische Ärztekammer sprach sich gestern, Dienstag, gegen eine Impfpflicht, allerdings für mehr Aufklärung aus. Eine Veränderung der Gesetzeslage vorstellen kann sich hingegen Jan Oliver Huber, Generalsekretär der Pharmig, des Verbandes der Pharmaindustrie Österreichs. Angesichts des Todesfalles in Berlin müsse man auf die Gefahren einer sinkenden Durchimpfungsrate hinweisen. „Als liberaler Mensch bin ich gegen Zwang. Dennoch könnte eine Veränderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen mit dem Ziel, die Durchimpfungsrate hochzuhalten, ein möglicher Ausweg aus der zunehmenden Bedrohung sein.“

Impffrage „wichtiger denn je“

Auch die Ethikkommission im Bundeskanzleramt befasst sich seit knapp einem Jahr mit der Frage einer Impfpflicht. Die Frage der Ethik des Impfens sei hierzulande lange überhaupt nicht gestellt worden, sagt Christiane Druml, die Vorsitzende der Bioethikkommission. Angesichts der wachsenden Skepsis von Impfgegnern sei diese Frage „heute wichtiger denn je“, sagt Druml: Allerdings laufe diese Debatte in einem schwierigen Spannungsfeld: Kindeswohl versus das Recht der Eltern auf selbstbestimmte Erziehung. Freiheitsrechte versus gesellschaftliche Verantwortung. Die Kommission will ihre Empfehlung in Sachen Impfpflicht in wenigen Wochen vorlegen.

Auf einen Blick

Der Tod eines Kleinkindes nach einer Maserninfektion in Berlin hat die Debatte um eine Impfpflicht neu belebt: Sollen Eltern gezwungen werden, ihre Kinder impfen zu lassen? Ist es fahrlässig, Kinder nicht zu impfen? In Österreich setzt die Politik, von Ministerin Oberhauser bis zu den Gesundheitssprechern der Parlamentsparteien, auf Aufklärung statt Zwang: Per Gesetz und Strafen lasse sich die Impfrate nicht erhöhen. Die Bioethikkommission will demnächst eine Empfehlung in Sachen Impfen abgeben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2015)

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