Vorsicht bei Naturarznei

Preiselbeeren
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Wirkungsvoll, aber nicht nur harmlos: Auch pflanzliche Mittel haben Nebenwirkungen. Nierenkranke sollten etwa bei Lakritze vorsichtig sein.

Selbstmedikation kann mitunter gefährlich werden. Auch dann, wenn jemand sein Wehwehchen „nur“ mit pflanzlichen Heilmitteln kurieren will. Diese sind zwar nachgewiesenermaßen wirkungsvoll, aber bei Weitem nicht so harmlos wie ihr Ruf und haben mitunter ungeahnte Nebenwirkungen – vor allem bei langer Anwendung und leichtsinnig hoher Dosierung. „Für den Konsumenten ist es oft sehr schwierig, ein Phytotherapeutikum von einem Nahrungsergänzungsmittel mit pflanzlichen Extrakten zu unterscheiden. Letztere müssen weder Indikationen noch Kontraindikationen angeben und nirgends aufgelistet sein, sie unterliegen dem Lebensmittelgesetz und brauchen weder Zulassung noch Registrierung“, meinte die Kinder- und Jugendärztin Ulrike Kastner bei ihrem Vortrag „Phytotherapie bei Nierenleiden – Freund oder Feind“ auf der diesjährigen Fortbildungswoche der österreichischen Apothekerkammer in Schladming.

Nur in der Apotheke

Phytopharmaka hingegen unterliegen dem Arzneimittelgesetz und der Apothekenpflicht, haben ein behördliches Zulassungsverfahren zu durchlaufen (und daher auch eine Zulassungsnummer!), müssen registriert werden und Indikationen angeben (alle in Österreich zugelassenen Phytotherapeutika findet man etwa auf der Homepage der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, kurz Ages). Phytotherapie ist demnach eine Therapie-Richtung, die zur Therapie und Prophylaxe Arzneimittel pflanzlicher Herkunft anwendet, dabei jedoch ausschließlich nach medizinisch-naturwissenschaftlichen Grundsätzen vorgeht.

Zwar ziehen pflanzliche Arzneimittel meist geringere und seltener Nebenwirkungen nach sich als synthetische, ein kritikloser Umgang damit ist aber in jedem Fall abzuraten. „Besonders Patienten mit akuten oder chronischen Nierenerkrankungen müssen dringend einige Grundregeln beachten, damit es zu keiner Gesundheitsschädigung kommt“, sagte Kastner. Und behandelte unter anderem die Frage, ob Preiselbeeren, Brennnessel und Co. bei Nieren- und Harnwegsproblemen helfen können? Ja und nein. „Preiselbeeren beispielsweise eignen sich im Prinzip gut zur Prävention von Harnwegsinfekten. Denn gewisse Inhaltsstoffe dieser Beeren, die sogenannten Anthocyane und Proanthocyanidine (PAC) blockieren die Anlagerung von Bakterien an den Zellwänden von Blase und Niere und können so einer Infektion vorbeugen.“ Die Krankheitserreger werden solchermaßen an ihrem gesundheitsschädigenden Treiben gehindert und – ehe sie Schaden anrichten können – wieder ausgeschwemmt.

Der Haken bei Preiselbeeren

Preiselbeeren wirken also tatsächlich. Der große Haken aber dabei: „Preiselbeerpräparate gibt es vorwiegend als Nahrungsergänzungsmittel. Und da stellt sich schon die Frage, ob wirklich drinnen ist, was auf der Packung draufsteht“, sagt Kastner und erwähnt in diesem Zusammenhang eine Studie am Institut für Pharmakognosie der Universität Wien.

Studienleiterin Liselotte Krenn: „Das große Problem sind die unterschiedlichen Bestimmungsmethoden, die unterschiedliche Mengen an den wirksamen Inhaltsstoffen ergeben. Üblicherweise fehlen Angaben zu Extraktionsmittel, Droge-Extrakt-Verhältnis und zur Menge an Anthocyanen und Proanthocyanidinen. Das macht es so schwer, abzuschätzen, was wirklich drinnen ist.“ Tatsache sei eine unterschiedliche Dosierung und ein schwankender Gehalt an Wirkstoffen. Aber, so Krenn und Kastner, bei Präparaten aus der Apotheke könne man davon ausgehen, dass das Produkt in Ordnung sei, bei Waren aus dem Internet sei das mitunter nicht der Fall.

Und Cranberrys? Wirkt die amerikanische Variante der Preiselbeere wirklich besser als die europäische? Mitunter lässt es die Werbung glauben, wissenschaftlich ist dies jedoch nicht nachvollziehbar.

Jekyll und Hyde

Eine Jekyll- und Hyde-Seite hat auch das Arbutin, das vor allem in Bärentrauben- und Preiselbeerblättern enthalten ist. Der Jekyll im Arbutin: „Es ist eine der wichtigsten antibiotischen und antimikrobiellen Substanzen in der Phytotherapie und wirkt gegen eine Vielzahl von Bakterien“, weiß Kastner. So wirken Arbutin, respektive Bärentraubenblätter-Präparate (Tabletten, Tropfen, Tee) sehr gut bei entzündlichen Erkrankungen der ableitenden Harnwege (Nierenbecken, Harnleiter). Zu große Dosen davon aber könnten unter Umständen mutagen wirken, also das Erbgut verändern. Drogen mit Arbutin sollten daher nicht länger als eine Woche und nicht öfter als fünfmal im Jahr genommen werden.

Ähnlich verhält es sich mit Kapuzinerkressenkraut und Krenwurzel: Vor allem deren bakterienbekämpfende Senfölglycoside machen diese Pflanzen zu einem beliebten Phytotherapeutikum, das der Prophylaxe und Behandlung von Harnwegsinfekten dient. Im Team sind die sekundären Pflanzenstoffe von Kapuzinerkresse und Kren noch stärker: In-vitro-Studien belegen, dass eine Kombination ein breites antibakterielles Wirkspektrum gegenüber 13 klinisch relevanten Bakterienstämmen aufweist – sogar bestimmte Grippeviren lassen sich damit in Schach halten. Jedoch: Senföle reizen die Schleimhaut, bei bestehenden Nierenerkrankungen kann es zu einer Albuminurie kommen (zu hoher Eiweiß-Anteil im Urin; eine erhöhte Ausscheidung stellt ein hohes Risiko für den Verlust an Nierenfunktion dar).

Nicht zu viel Lakritze

Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion sollten unter anderem auch beim Konsum von Lakritze zurückhaltend sein. Lakritze besteht aus Süßholzwurzel – und deren Hauptinhaltsstoff Glycyrrhizin kann vor allem bei hoher Überdosierung gesundheitliche Schäden nach sich ziehen. Es kann zu einer Veränderung der Elektrolyte im Körper kommen: Natrium steigt an, Wasser wird weniger ausgeschieden und vermehrt eingelagert, die Niere verliert mehr Kalium. Die möglichen Folgen: Ödeme, Kopfschmerzen, Bluthochdruck, Hypokaliämie, also zu großer Kaliumverlust. Das kann besonders bei Nierenkranken gefährlich werden.

„Man muss also auch bei Mitteln aus der Natur wirklich vorsichtig sein“, sagt Kastner. „Harmlose“ Wacholderbeeren etwa können die Nieren schädigen, wenn man sie jahrelang in hohen Dosen konsumiert. Es würde ja wohl auch kaum jemand freiwillig und bewusst einen Knollenblätterpilz verspeisen, nur weil er natürlich ist.

NIERE UND PFLANZE

Pflanzliche Arzneimittel, auch Phytopharmaka oder Phytotherapeutika genannt, unterliegen dem strengen Arzneimittelgesetz und bedürfen einer Zulassung.

Nahrungsergänzungsmittel unterliegen dem Lebensmittelgesetz und müssen weder zugelassen noch registriert sein.

Weltweite Verbreitung von Nierenleiden. Einer von zehn Erwachsenen leidet weltweit an einer Nierenerkrankung. Die häufigsten Ursachen sind Entzündungen und Infektionen der Nieren. In den Industrienationen sind auch Diabetes Typ 2 und Bluthochdruck infolge von Bewegungsmangel häufige Auslöser eines Nierenleidens.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.03.2015)

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