Testosteron ist keine Ausrede

(C) Robin Haring/ Screen Webseite
  • Drucken

Das Hormon muss als Ursache für alles Mögliche herhalten – für schlechtes Benehmen, aggressives Verhalten und sogar für die Wirtschaftskrise. Epidemiologe Robin Haring widerspricht.

Zum Beispiel werd ich hinterm Steuer/meines Wagens regelrecht zum Ungeheuer/und fahr mit quietschenden Reifen an der Ampel an/und mach mich Frauen gegenüber zum Hampelmann/je nachdem, in welcher Situation/aber stets gesteuert vom Testosteron.

Klavierkabarettist Bodo Wartke fasst in seinem Lied „Testosteron“ zusammen, wofür das Sexualhormon verantwortlich gemacht wird. Es soll Männer unter anderem risikofreundlicher, aggressiver, machtbezogener machen. Und auf diese Weise nebenbei für die Krise der Weltwirtschaft mitverantwortlich sein – weil Investmentbanker hormongesteuert immer größere Risken eingegangen sind, so der Vorwurf. Nicht zuletzt wird es aber auch dazu eingesetzt, augenzwinkernd ein männliches Fehlverhalten zu entschuldigen: Einer Frau auf den Hintern gegriffen? Muss das Testosteron gewesen sein.

Doch was ist dran am hormongesteuerten Menschen, der gar nicht anders kann? Nicht allzu viel, meint Robin Haring. Der Epidemiologe und Demograf hat sich mit den Mythen rund um Testosteron beschäftigt – und die Ergebnisse seiner Arbeit nun als Buch herausgebracht: „Die Männerlüge“. Schon der Titel deutet an, dass so manche Dinge, die mit dem Hormon in Zusammenhang gebracht werden, nicht stimmen.

Eines vorweg: Ohne Testosteron gäbe es keine Männer. „Von Natur aus“, sagt Haring, „sind alle Menschen zunächst weiblich.“ Erst im Mutterleib wird durch einen Testosteronschub die Entwicklung der männlichen Geschlechtsorgane angestoßen. (Die bei Männern an sich überflüssigen Brustwarzen bleiben als Erinnerung an den Beginn zurück.) Das Testosteron ist es auch, das in der Pubertät die Entwicklung der primären und sekundären Geschlechtsorgane des Mannes fördert. Zusätzlich sorgt es für Körperbehaarung, Barthaare und lässt die Stimme tiefer werden. Es baut Fett ab und Muskeln auf. So viel ist unbestritten.

Viele andere Funktionen und angebliche Wirkungen müsse man aber kritisch betrachten, meint Haring. Gerade wenn es Verhaltensweisen betrifft, die vom Testosteron ausgelöst werden sollen. „Viele Studien, die zur Wirkung von Testosteron gemacht wurden, waren nur sehr klein. Viele sind keine klinischen Studien, sondern nur Beobachtungen. Und viele Tests mit dem Sexualhormon wurden bei Frauen durchgeführt – weil ihr Testosteronspiegel nur etwa fünf Prozent von jenem des Mannes beträgt und damit Änderungen leichter messbar sind.“

Letzteres mag überraschend sein, doch das Testosteron kommt nicht nur im männlichen Körper vor – auch Frauen haben das Hormon in sich. Was es im weiblichen Körper macht, ist allerdings noch nicht erforscht, sagt Haring. Denn diese geringen Mengen könne man erst seit Kurzem mithilfe von Massenspektrometern messen. „Wir stehen da noch ganz am Anfang.“ Übrigens auch umgekehrt, nämlich in Sachen Östrogen im männlichen Körper.

Testosteron als Medikament.

Ein weiterer Effekt, den Haring bei der Beobachtung diverser Studien bemerkt hat: „Testosteron ist ein soziales Hormon.“ So hätten etwa Frauen bei Tests aggressivere und unsozialere Verhaltensweisen an den Tag gelegt, wenn sie glaubten, dass sie Testosteron bekommen hätten – stattdessen aber nur ein Placebo eingenommen hatten. Das Vorurteil über verhaltensbezogene Wirkungen wirke also stärker als das Hormon selbst. Dass also hinter Machtstreben, Porschefahren oder unnötig hohem Risikoverhalten nur das Hormon stecke, sei wissenschaftlich nicht haltbar.

„Da wird eine biologische Einbahnstraße unterstellt“, meint Haring. Er spricht daher in diesem Zusammenhang eher von einem Kreisverkehr, einem komplexen Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Dazu gehören neben den biologischen Faktoren eben auch soziale Elemente wie etwa Persönlichkeit oder Status. Der Glaube, dass man einfach durch die Gabe von Testosteron das Verhalten von Menschen ändern könne, lasse sich durch Studien jedenfalls nicht belegen.

Sehr wohl kann Testosteron allerdings als Medikament verwendet werden, um nach einer Operation – etwa einer Entfernung der Hoden – den regulären Hormonspiegel im Körper wiederherzustellen. Auch die Leistungsfähigkeit lässt sich durch Testosteron steigern – nicht umsonst steht das Hormon auch auf der Liste verbotener Dopingmittel. Hobbysportler können Präparate aber weitgehend problemlos beziehen und damit etwa den Muskelaufbau beim Bodybuilding beschleunigen.

Vor allem in den USA ist es in Mode gekommen, Testosteron gegen alles Mögliche einzusetzen – etwa auch gegen Altersbeschwerden von Männern. Gewichtszunahme, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Probleme mit Potenz und Erektion – all diese Probleme werden unter dem Etikett „Aging Male Syndrom“ zusammengefasst. Und auf einen zu niedrigen Testosteronspiegel zurückgeführt und dementsprechend behandelt.

Tatsächlich ist der Effekt bekannt, dass der Testosteronspiegel bei Männern ab dem 40.Geburtstag sinkt. Doch dahinter stecke oft ein ungesunder Lebenswandel, also etwa schlechte Ernährung, Rauchen und zu wenig Aktivität. Der niedrige Testosteronspiegel ist also nicht die Ursache des Problems, nur eines von vielen Symptomen. Das müsse man sich eingestehen. Dabei wäre ein Mangel an Testosteron doch eine so schöne Ausrede.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.