Als wären tausend Ameisen in den Augen

ird das Blinzeln unterdrückt, kann das ein „trockenes Auge“ zur Folge haben.
ird das Blinzeln unterdrückt, kann das ein „trockenes Auge“ zur Folge haben.(c) Clemens Fabry
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Das "trockene Auge" ist zu einer Volkskrankheit geworden. Mitschuld: Feinstaubbelastung, Autoabgase, Klimaanlagen, der häufige Gebrauch von Computer und Co. In den USA spricht man bereits vom "Office-Eye-Syndrom".

Norbert H. (Name der Redaktion bekannt) ist 27 und Informatiker und erinnert sich an das Gefühl, das ihn oft plagte. Es habe sich angefühlt „wie Schleifpapier in den Augen“, erzählt er. „Ganz schlimm war es an Tagen, an denen ich zehn Stunden und mehr vor dem Computer hockte. Die Augen waren müde, gerötet, gereizt, tränten. Doch erst als auch meine Sehkraft nachließ, ging ich zu einem Augenarzt.“ Der stellte die Diagnose: Sicca-Syndrom, auch Keratokonjunctivitis sicca genannt. Das „trockene Auge“ entsteht durch zu geringe Produktion von Tränenflüssigkeit, durch zu schnelle Verdunstung derselben oder deren falsche Zusammensetzung.

Wie Sandkörner im Auge

Etwa jeder zweite bis dritte Patient, der einen Augenarzt aufsucht, leidet (auch) am trockenen Auge, Frauen häufiger als Männer, der Altersgipfel liegt zwischen dem 40. und 70. Lebensjahr. Die Symptome entsprechen der Beschreibung von Norbert H: Brennen, Jucken, Fremdkörpergefühl, Tränen. „Ich habe das Gefühl als würden Sandkörner in den Augen reiben“, berichtet Kevin M., 29. Und Maria K., 30, sagt: „Ich habe ständig tränende Augen. Außerdem jucken die Augen meist sehr.“ „Es war als wären tausend Ameisen in meinen Augen“, erzählt Christine W., 43. Diese und andere Fallbeispiele sind in dem Buch „Trockenes Auge. Alles zum Sicca-Syndrom“ beschrieben. „Die Krankheit hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen“, sagt einer der Buchautoren, Dieter Rabensteiner, Arzt an der Universitäts-Augenklinik an der Medizinischen Universität Graz.

Das liege zum einen an der Zunahme von Feinstaubbelastung und Autoabgasen – dadurch schnellten auch die Sicca-Syndrom-Fälle in die Höhe. Aber auch die Verringerung der Ozonschicht sowie Klimaanlagen und Kontaktlinsen tragen zur Entstehung des trockenen Auges bei und freilich auch in hohem Maße die zunehmende Bildschirmarbeit. Diese und das oft zu trockene Raumklima sind wahrlich Gift für die Augen. „In den USA spricht man bereits vom Office-Eye-Syndrom, das trockene Auge ist zu einer echten Volkskrankheit geworden“, meint Siegfried Priglinger, Leiter des Laserzentrums Smileeyes in Linz.

Beim Starren auf den Computer wird der Blinzel-Reflex unterdrückt. Während man normalerweise zwölf- bis fünfzehnmal pro Minute blinzelt, sinkt diese Zahl bei Menschen vor dem Bildschirm auf bis zu nur viermal pro Minute. Mit jedem Lidschlag aber wird Tränenflüssigkeit verteilt, die sich als hauchdünner Tränenfilm über das Auge legt und es so mit Feuchtigkeit versorgt. Wird das Blinzeln unterbunden, trocknet die Augenoberfläche aus (mehr über die Aufgabe der Tränen siehe unten).

Neben Umwelt und Computer kommen als Ursache für das trockene Auge auch eine altersbedingte Rückbildung des Tränendrüsen-Gewebes sowie andere Erkrankungen (z. B. Rheuma, Diabetes, Psoriasis) in Frage. Auch eine Reihe von Medikamenten kann das Sicca-Syndrom verursachen. „Dazu gehören unter anderem Betablocker, Diuretika, aber auch Antidepressiva und die Antibaby-Pille“, erwähnt Nikolaus Luft, Arzt an der Augenabteilung des AKH Linz.

Die Behandlung richtet sich nach der Schwere der Erkrankung, die leicht bis nahezu unerträglich sein kann. Der Therapie-Klassiker sind Tränenersatzmittel in Form von Augentropfen. „Wer Tränenersatzmittel häufig eintropfen muss, sollte zu Präparaten ohne Konservierungsmittel greifen“, rät Luft. „Das ist schon eine gewisse Belastung, ich muss bis zu fünfzehnmal am Tag eintropfen“, erzählt Patient Norbert H. Doch bei ihm ist selbst das noch zu wenig. „Ich habe mir auch die Tränenpünktchen verschließen lassen.“ Das wird bei ausgeprägtem Tränenmangel gemacht, die Tränenpünktchen werden mit kleinen Stöpseln verschlossen, um so ein Abrinnen der geringen Tränenflüssigkeit zu verhindern. „Das ist wirklich nur eine kleine Behandlung, keine Angelegenheit“, beruhigt Norbert H. Freilich gibt es auch noch etwas massivere Eingriffe.

Fisch für die Augen

In bestimmten Fällen ist eine Therapie mit Serum-Augentropfen angebracht. Patient H. erzählt: „Da wird einem, wie bei einer Blutspende, Blut abgenommen und aus dem Serum werden Augentropfen gewonnen. Das muss man halt alle paar Monate machen.“ Diese entzündungshemmende Therapie, so Priglinger, sei schwereren Fällen vorbehalten. Patienten mit leichterem Sicca-Syndrom können sich zum Teil auch selbst helfen. Unter anderem mit gesundheitsbewusstem Lebenswandel und einer ausgewogenen, vitaminreichen Ernährung: „Omega3-Fettsäuren sind hier besonders günstig, also etwa Fisch oder Leinöl“, rät Luft.

Heiße Umschläge und Butterschmalz

Arzt Rabensteiner empfiehlt zudem spezielle Nahrungsergänzungsmittel sowie Lidrandmassagen: Man tauche ein kleines Handtuch oder einen Waschlappen in abgekochtes, etwas abgekühltes Wasser und mache heiße Umschläge auf den geschlossenen Augen. „Nach fünf Minuten mit dem Tuch die Lider sanft massieren“, sagt Rabensteiner. Wer keinen Waschlappen auf den Augen mag: Es gibt bereits Spezialbrillen, die sich erwärmen (z. B. die Blephasteam-Wärmebrille). Aber auch ayurvedische Behandlungen mit dem Butterschmalz Ghee helfen etlichen, die unter trockenen Augen leiden.

Was Norbert H. sehr gut hilft: weg vom Computer, raus aus klimatisierten Räumen. „Wenn ich viel in der Natur bin, muss ich statt fünfzehnmal am Tag oft nur zwei- bis dreimal eintropfen.“ Aber auch an Bürotagen sollte man immer wieder weg vom Computer, die Augen in den Pausen kurz geschlossen halten oder bewusst blinzeln.

LESENSWERT

„Trockenes Auge.Alles zum Sicca-Syndrom“, Univ-.Prof. Dr. Andreas Wedrich, Univ.-Prof. Dr. Otto Schmut, Dr. Dieter Rabensteiner, Verlagshaus der Ärzte, 184 Seiten, 14,90 €.

„Gesunde Augen trotz Computer. Wie man Sehproblemen vorbeugt und die Augen trainiert. Das Minuten-Übungsprogramm“, Leo Angart, Verlag Nymphenburger, 64 Seiten, 10,30 €.

Wiener Augentag. Der 6. Wiener Augentag findet am 8. Oktober im Wiener Rathaus statt, 10 bis 18 Uhr, Eintritt frei. Es gibt Gelegenheit zu kostenloser Augenuntersuchung, Vorträge (auch speziell über das trockene Auge), Beratungen, Schnupperseminar, Gesprächsrunden, Fragestunden. www.augentag.info

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2015)

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