Klarträumer: Die Zwischentöne des Bewusstseins

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Symbolbid(c) Reuters (Susana Vera)
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Wenn das schlafende Gehirn während des "luziden Träumens" über die eigene Wachheit reflektiert.

Klarträumer können steuern, was sie im Traum erleben. Das Phänomen galt lange als Hirngespinst. Doch inzwischen hat die Forschung lange ungeahnte Möglichkeiten des "luziden Träumens" entdeckt. Ein Beispiel.

Der kleine Lucas wird in seinem Kinderzimmer wach. Das Licht brennt und jemand ist in der Wohnung. Die Tür geht auf und Lucas Krieg wacht vor lauter Panik auf. Es ist ein Monster. Als er fünf Jahre alt war, hatte Krieg diesen Traum immer wieder. Doch eines Nachts passierte etwas Neues: Im Traum kam ihm die Idee, dem Monster die Freundschaft anzubieten. "Ich streckte ihm die Hand hin und wir haben unseren Frieden gemacht", erzählt Krieg. Danach kam der Traum nie wieder. Es war der erste sogenannte Klartraum, den der 30-Jährige hatte. Der Nürnberger war sich bewusst, dass er träumte und konnte gezielt Einfluss auf das Geschehen nehmen.

Zwischenzustände des Bewusstseins

Für Bewusstseinsforscher ist das "luzide Träumen" besonders spannend. "Klarträume bieten die Möglichkeit, Zwischenzustände des Bewusstseins zu ergründen", sagt Ursula Voss von der Uni Frankfurt. Das schlafende Gehirn reflektiere während des Klartraums über die eigene Wachheit: "Wir bewegen uns damit gewissermaßen in zwei Sphären gleichzeitig - wir schlafen und wachen." Doch lange galt das "luzide Träumen" als Hirngespinst oder esoterische Spinnerei, wie der Neurowissenschafter Martin Dresler sagt. Erst Anfang der 1980er-Jahre konnte es objektiv nachgewiesen werden.

Die Forscher baten damals Probanden, sobald sie den Klartraum bemerken, die Augen schnell abwechselnd nach links und rechts zu bewegen. Dies konnten die Wissenschaftler mit Hilfe von Messungen von den normalen Augenbewegungen im Traum unterscheiden. Andere Messungen ergaben, dass die Probanden tatsächlich schliefen.

Im Kopf des Klarträumers

Inzwischen gibt es eine ganz Reihe von Studien über Klarträumer. So konnten Forscher des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München und der Berliner Charite etwa beweisen, dass es die gleichen Areale im Gehirn sind, die in Wachzustand und Traum bestimmte motorische Bewegungen steuern. "Das war zwar keine Überraschung, konnte vorher aber nicht belegt werden", sagt Dresler.

Noch relativ neu ist die Erkenntnis, dass bei Klarträumern ein Bereich im Gehirn stärker ausgeprägt ist, der komplizierte Denkprozesse ermöglicht - etwa sich Gedanken über das eigene Denken zu machen. Bei Klarträumern wurde im vorderen Stirnhirn vermehrt graue Substanz gefunden. Dieses Areal ist im Klartraum besonders aktiv, im normalen Traumschlaf dagegen deaktiviert. "Das wird als Ursache dafür angenommen, dass wir in normalen Träumen kognitiv eingeschränkt sind und eben nicht merken, dass wir träumen."

Im Umkehrschluss bedeute das aber nicht, dass Menschen, die noch nie einen Klartraum hatten, nicht gut über ihr eigenes Denken nachdenken können, betonte Dresler. Auf statistischer Ebene gebe es diesen Zusammenhang zwar - der Effekt sei aber sehr klein.

Luzide Träume sind eine Rarität

Außerdem sind Klarträume sehr selten. Laut einer repräsentativen Studie hat ungefähr die Hälfte der Menschen mindestens einmal im Leben einen luziden Traum, wie Michael Schredl vom Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit sagt. Etwa ein Fünftel der Menschen habe einmal im Monat einen Klartraum und etwa fünf Prozent im Schnitt einmal pro Woche. Und rund die Hälfte der Klarträumer könne auch Einfluss auf ihr Traumgeschehen nehmen.

Dass das luzide Träumen so eine Rarität ist, "legt zumindest nahe, dass das Abschalten höherer kognitiver Fähigkeiten im Traum eine Funktion haben könnte", sagt Dresler. Womöglich hatte dies einen evolutionären Nutzen. Warum das aber so ist und welche Funktion Träume überhaupt haben, darüber rätseln die Forscher noch.

Eine Theorie ist, dass der Traum eine Art virtuelle Realität ist. Die Annahme: "Wir simulieren Situationen des realen Lebens im Traum, können Gefahrensituationen ausprobieren und Gegenstrategien entwickeln", sagt Dresler. Eine vollständige Einsicht im Traum würde das verhindern: "Wenn einem klar ist, dass etwas irreal ist, gäbe es keinen Grund, eine Strategie dagegen zu entwickeln."

Nutzen im Sport

Klarträume können jedoch auch gezielt genutzt werden. Der Sportwissenschafter Daniel Erlacher von der Universität Bern untersucht etwa, wie Bewegungsabläufe im Traum geübt werden können. Das hat ähnlich starke Effekte wie das tatsächliche Training. Eine ganze Reihe von Profisportlern nutz laut Dresler bereits Klarträume, um gefährliche Bewegungsabläufe gefahrlos auszuprobieren.

Auch in der Therapie von Albträumen können Klarträume hilfreich sein - die Betroffenen können sich der Gefahr stellen oder eine Gegenstrategie anwenden. Möglicherweise könnten luzide Träume auch für Menschen mit Schizophrenie nützlich sein. "Die Hirnstrukturen, die dem Klartraum unterliegen, sind die gleichen, die bei Patienten mit schlechter Krankheitseinsicht gestört sind", sagt Dresler. Eine Idee ist, dass die Patienten in guten Phasen die Einsicht in ihre Krankheit im Traum trainieren.

"Der Traum setzt mehr in Bilder um"

Auch Lucas Krieg nutzt seine Träume. Der mittlerweile erwachsene Designer und Künstler zapft sie als Quelle für seine Arbeit an. "Ich glaube, man ist im Traum viel kreativer. Es gibt nicht diesen Filter wie im Wachen, wo man vieles sofort wieder verwirft." Auch Michael Schredl sagt: "Der Traum setzt mehr in Bilder um. Ideen werden nicht so abstrakt abgehandelt, sondern da wird gleich ein Action-Film draus."

In Seminaren will Krieg sein Wissen weitergeben. Wie Michael Schredl geht der 30-Jährige davon aus, das grundsätzlich jeder lernen kann, luzid zu träumen. Doch das ist langwierig und erfordert viel Übung. Ein erster Schritt ist der "Realitäts-Check". "Ich hinterfrage dabei mehrmals am Tag kritisch, ob ich gerade wach bin oder träume", erklärt Krieg. Ein Weg sei, sich die Nase zuzuhalten und zu testen, ob man weiter atmen kann. "Irgendwann passiert das dann auch im Traum. Und wenn ich trotzdem weiter durch die Nase atmen kann, dann weiß ich, dass ich träume."

Schlafphasen

Der menschliche Schlaf ist nicht immer gleich, sondern lässt sich in verschiedene Stadien unterteilen: Tiefschlafphasen, in denen der Schlafende schwerer aufzuwecken ist, wechseln sich mit weniger tiefem Schlaf ab.

Wissenschaftler unterteilen den Schlaf grob in REM- und in NonREM- Phasen, wobei REM für "Rapid-Eye-Movement" steht und die für diese Phasen typischen schnellen Augenbewegung unter geschlossenen Lidern beschreibt. Die restliche Muskulatur ist fast vollständig abgeschaltet, damit der Schlafende seine im Traum erlebten Bewegungen nicht ausführt. In den REM-Phasen ist das Gehirn im Gegensatz zu Tiefschlafphasen besonders aktiv.

Alle Schlafstadien werden stufenweise mehrmals pro Nacht durchlaufen - ein Zirkel dauert etwa 90 bis 120 Minuten. In der ersten Nachthälfte überwiegt der Anteil der Tiefschlaf-Phasen, in der zweiten der REM-Schlafanteil.

Geträumt werde prinzipiell während des gesamten Schlafs. Die Forschung gehe aber davon aus, dass die Träume im REM-Schlaf aktiver und intensiver seien, weil auch das Gehirn in dieser Phase aktiver sei. Werde man aus einer Tiefschlafphase geweckt, dauere das Aufwachen zudem länger - und damit sei die Wahrscheinlichkeit höher, dass man den Traum vergisst.

(APA/dpa)

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