Gesundheitsökonomie: Wird in Österreich zu viel operiert?

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In keinem Land gibt es laut Statistik so viele Operationen für den Ersatz des Kniegelenks wie in Österreich. Dies zeigt, dass im Gesundheitssystem einiges schiefläuft.

Wien. Die Industriestaatenorganisation OECD veröffentlicht jeden Tag eine Statistik – meist handelt es sich um Daten über die Wirtschaft, Gesundheit, Bildung und Arbeit. In der Vorwoche wurde eine Statistik, die viel über die Fehler im österreichischen Gesundheitssystem aussagt, publiziert. Doch abgesehen von wenigen Kommentaren auf der Facebook-Seite der OECD hielt sich die Aufregung in Grenzen.

Laut OECD gibt es in keinem Land so viele Kniegelenksersatzoperationen wie in Österreich. Pro 100.000Einwohner werden jährlich 217,1Operationen durchgeführt. Zum Vergleich: Der EU-Durchschnitt liegt bei 113,1 Operationen. Selbst in Ländern mit einem gut ausgebauten Gesundheitssystem wie in Schweden kommt man mit 139,7 Operationen aus. Die OECD kritisiert, dass selbst der nationale Durchschnitt täuschen kann. So werden in Süddeutschland Knie öfter als in Norddeutschland ersetzt.

„Diese Statistik ist ein Klassiker“, sagt Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer im „Presse“-Gespräch. Die OECD-Daten zeigen wieder einmal, dass es im österreichischen Gesundheitssystem Fehlplanungen gibt. Bereits 1969 habe die Weltgesundheitsorganisation WHO auf diese Fehlplanungen aufmerksam gemacht.

„Seitdem gibt es immer wieder Versuche, daran etwas zu ändern“, sagt Pichlbauer. Doch die Erfolge halten sich in Grenzen. Schuld daran sei die Zersplitterung des Gesundheitssystems. Es gebe laut Pichlbauer zu viele Akteure mit unterschiedlichen Interessen, wie der Bund, die Länder, die Ärztekammer, die Krankenkassen und die Bürgermeister, die sich für den Ausbau der Spitäler einsetzen.

Pharmaindustrie wehrt sich

Tatsächlich ist die Gesundheitsbranche ein Milliardenmarkt. Laut Statistik Austria lagen die Gesundheitsausgaben 2013 bei 34,8 Milliarden Euro – die Zahlen für 2014 liegen noch nicht vor. Pro Jahr klettern die Ausgaben um hunderte Millionen Euro. Allein im Jahr 2013 gab es einen Anstieg von 582 Millionen Euro.

(c) Die Presse

Für den Großteil der Kosten kommen der Staat und die Sozialversicherungsträger auf. Doch die Krankenkassen geraten heuer an die Grenzen der Finanzierbarkeit. Für 2015 erwartet der Hauptverband der Sozialversicherungsträger ein Defizit von 129,3 Millionen Euro. Das größte Minus dürfte die Wiener Gebietskrankenkasse mit 64,6 Millionen verbuchen. Seit Monaten wird darüber gestritten, wer dafür aufkommen soll.

Die Krankenkassen fordern weitere Rabatte von der Pharmaindustrie. Diese sind darüber verärgert. Sylvia Hofinger, Geschäftsführerin des Fachverbands der chemischen Industrie in der Wirtschaftskammer, wirft dem Hauptverband vor, die Pharmawirtschaft für seine zahlreichen eigenen Versäumnisse zur Kasse zu bitten. Die Umsetzung der Gesundheitsreform sei ins Stocken geraten, dringend notwendige Reformen werden nicht angegangen. Die Pharmaunternehmen seien grundsätzlich bereit, einen finanziellen Rabatt zur Dämpfung der Ausgaben zu leisten. „Es kann jedoch nicht ernsthaft verlangt werden, dass im internationalen Wettbewerb stehende Unternehmen sämtliche defizitäre Bereiche der Krankenversicherungen querfinanzieren sollen“, so Hofinger.

Nach Ansicht der Pharmawirtschaft gibt es andere Bereiche, in denen man leichter Einsparungen erzielen kann, etwa bei den Krankenhäusern. Im Vergleich zu anderen Ländern ist in Österreich das Gesundheitssystem sehr krankenhauslastig. Laut OECD-Statistik kommen in Österreich auf 1000 Einwohner 7,65Krankenhausbetten. In Schweden sind es 2,59 und in der Schweiz 4,68 Krankenhausbetten.

Warum bei den Krankenhäusern kein allzu großer Sparzwang herrscht, hat einen simplen Grund: Dafür sind die Bundesländer zuständig. So hat etwa im heurigen Frühjahr kurz vor den Landtagswahlen Burgenlands Landeshauptmann, Hans Niessl (SPÖ), einen Ausbau des Krankenhauses in Kittsee angekündigt, obwohl sich nur zwölf Kilometer entfernt im niederösterreichischen Hainburg auch ein Spital befindet. Der Rechnungshof hat die Situation Kittsee/Hainburg mehrmals kritisiert, doch passiert ist nichts.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2015)

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