Wie sehr geht es um die Wurst?

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Fleischverzehr erhöhe das Darmkrebsrisiko, warnt die Weltgesundheitsorganisation WHO, sie lässt allerdings viele Fragen offen.

Gibt's für 0,99 € Salat, der auch Papa schmeckt?“ So wirbt ein Hamburger Fleischhauer für – Fleischsalat. „Höhöhö“, giftete sich eine Mitarbeiterin des „Spiegel“ und rechnete hart mit dem für sie sexistischen Fleischhauer ab. Dabei ist dessen Werbung so unlustig nicht, einen Grund hat sie auch: Der deutsche Mann isst am Tag 156 Gramm Fleisch, die deutsche Frau 84, beim südlichen Nachbarn dürfte es ähnlich sein.

Erkranken deshalb Männer auch öfter an Darmkrebs? Die Welternährungsorganisation WHO bzw. ihre International Agency for Research on Cancer (IARC) malen düster: Die Auswertun g von „über 800 epidemiologischen Studien“ habe gezeigt, dass das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, „um 18 Prozent pro 50 Gramm verarbeitetem Fleisch pro Tag“ steige, und bei unverarbeitetem rotem Fleisch um 17 Prozent pro hundert Gramm und Tag (The Lancet, 26. 10.)

„Verarbeitetes Fleisch“ ist alles, was „geräuchert, gepökelt oder sonst wie behandelt ist, um den Geschmack zu verändern oder die Haltbarkeit zu verbessern“: Es geht also etwa um Schinken und Speck, es geht natürlich auch um die Wurst. Sie alle gehören nun in die gefährlichste Stufe: Group 1, bei ihr gibt es „ausreichende Evidenz“, dass Krebs erzeugt wird, dazu gehören etwa Asbest und radioaktive Strahlung, Tabakrauch auch.

Beim nicht verarbeiteten roten Fleisch – rot ist das von Säugetieren – sind die Experten nicht so sicher, es ist in Gruppe 2a („limitierte Evidenz“ für Krebs) gekommen. Die Entscheidungen fielen „mit Mehrheit“, sieben von 22 Mitgliedern waren anderer Meinung, das ist bei der IARC ungewöhnlich. Das war ein gefundenes Fressen für die Fleischindustrie bzw. ihr nahestehende Forscher: James Coughlin etwa, Umwelttoxikologe und Berater der National Cattlemen's Beef Association, erwähnte es gegenüber der „New York Times“, und: Die Beweislage der IARC sei schwach.

Wurst: 34.000 Opfer, Tabak: eine Million

Das ist schwer zu prüfen, die Studie selbst ist nicht greifbar, nur die zweiseitige Kurzfassung. Immerhin: Darin schrumpfen die 800 Studien der Pressemitteilung auf 18. Das können durchaus genug sein, aber wie ist das bloß mit den 50 bzw. 100 Gramm pro Tag gemeint? Über welchen Zeitraum muss man diese zu sich nehmen, es kann ja nicht jede Leberkäsesemmel das Darmkrebsrisiko um 18 Prozent steigern?

Mehr Orientierung bringt eine zweite Zahl: Die Zahl der Darmkrebsopfer von verarbeitetem Fleisch wird auf 34.000 weltweit pro Jahr geschätzt. Das ist nicht wenig, verblasst allerdings gegenüber anderen Risken – Alkohol fordert 600.000 Krebsopfer, Tabakrauch eine Million –, und es ist eben nur wegen der großen Gruppe der gesamten Weltbevölkerung eine hohe Zahl. „Für ein Individuum ist das Risiko gering“, erklärt Kurt Straif, Leiter der IARC-Gruppe: „Wegen der vielen Menschen, die verarbeitetes Fleisch essen, ist es ein Problem der öffentlichen Gesundheit.“ Und wie viel darf man nun als Individuum essen? WHO/IARC verweigern jede Empfehlung, es ist alles zu unsicher. Auch die Mechanismen, über die die Darmtumore entstehen, sind es weithin.

Und die deutschen Männer? Von 100.000 erkranken 58 im Jahr, bei den Frauen 38, es geht leicht zurück – Vorsorgeuntersuchungen –, der Abstand der Geschlechter bleibt. Wegen der Wurst? Hauptursachen sind Tabak, Übergewicht, Alkohol. Das muss natürlich niemanden an ausgewogener Ernährung hindern, vielleicht doch einmal Salat, grünen!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2015)

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