Kulturgeschichte: Die (gut) gefüllte Haut

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Homer besang sie, Goethe ließ sie sich aus Nürnberg schicken, Hebel zauberte sie einer Frau an die Nase: Die Wurst ist vielen Kulturen nicht egal. Über Image und Geheimnis eines derzeit umstrittenen Nahrungsmittels.

Alles hat ein Ende, gewiss, alle Scherze sind gemacht. Doch in Tagen, in denen die Wurst angeblich gefährlich, daher gefährdet ist, also zum Kulturgut erklärt wird, ist für sie das Feuilleton zuständig und darf fragen: Diese in meist zylindrische Form gezwängte Mischung nicht veganer Substanzen, vom Wiener als „g'füllte Haut“ definiert, soll ein Kulturgut sein?

Ist sie. Schon einmal wegen ungeklärter Herkunft. Auch des Wortes. Keiner weiß, wo es herkommt. Manche vermuten, dass die Wurst mit der Wirrnis verwandt ist, also ursprünglich so etwas wie Gemengsel bedeutet. Im Dunkel der Geschichte ist, welche Kultur zum ersten Mal Würste produziert hat. In der Odyssee kommt ein Urtyp vor, da sagt Antinoos zu den übrigen Freiern (zitiert nach dem Reclamheft): „Ziegenmägen liegen im Feuer, die wir zum Nachtmahl hingelegt, nachdem mit Fett und Blut wir sie füllten. Wer von den beiden nun siegen wird und der Stärkere sein wird, stehe auf und nehme sich einen, welchen er möchte.“

Hier geht's offenbar um Würste, Heinrich Voß verwendete das Wort in seiner Übersetzung: „Dieser wähle sich selbst die beste der bratenden Würste.“

Als dunkel gilt auch die Konsistenz der Würste, man will ihren Inhalt gar nicht so genau kennen, Bismarck soll gesagt haben: Je weniger die Leute wissen, wie Gesetze und Würste gemacht werden, desto besser schlafen sie.“ Und sexistische Buben reimten noch im vergangenen Jahrhundert: „Der Magen einer Sau, die Seele einer Frau, der Inhalt einer Leberwurscht bleibt ewig, ewig unerfurscht.“ Könnte sein, dass die gleichgültige Haltung gegenüber dem Innenleben der Wurst der Grund dafür ist, dass wir „wurst“ bzw. „wurscht“ für „egal“ sagen.

Thüringer Rostbratwurst, na und?

Dabei sind etlichen Populationen Europas ihre Würste überhaupt nicht egal. In Österreich, Polen, Tschechien und England etwa nimmt man sie wichtig. Und natürlich in Deutschland. In Erfurt, Jena und Weimar entkommt man der Thüringer Rostbratwurst nicht, deren Spezielles womöglich darin liegt, dass sie so gar nicht speziell ist. Dabei ließ sich Goethe einst die Bratwürste mit der Post aus Nürnberg schicken, dort würden sie „vorzüglich gut gefertiget“, schrieb er, „mit Majoran gewürzt und ein wenig geräuchert“. Die Thüringer finden ihre Wurst indessen schon in Grimmelshausens „Simplicius Simplicissimus“ (1699), wo sich ein Schreiber in eine Eiche, dieser in ein Schwein und dieses in eine Bratwurst verwandelt. Auch das Motiv der an einer Nase fixierten Wurst kannte schon Grimmelshausen, in Johann Peter Hebels Geschichte „Drei Wünsche“ (ca. 1810) dient es zur Bestrafung eines unbescheidenen Ehepaars: Erst wünscht sich die Frau eine Wurst, dann wünscht der Mann ihr im Zorn die Wurst an die Nase, dann muss sie sich das unliebsame Anhängsel wieder wegwünschen – und die Wünsche sind verbraucht.

Nicht nur Freudianer freuen sich an genitalen Assoziationen: So beschrieb H. C. Artmann, der ja auch Geschichten unter dem Titel „Im Schatten der Burenwurst“ veröffentlichte, in „How much, schatzi?“ den „burenwursthaften Blindgänger“ eines Mannes auf dem Pissoir, der will, aber nicht kann.

Zurück an den Tisch. Auffällig ist eine Korrelation: In Gegenden, wo mehr Wein getrunken wird, regiert der Käse (etwa in Frankreich, trotz Lyoner und Pariser), die Wurst gesellt sich tendenziell zum Bier. Entsprechend leidet sie unter einem gewissen hemdsärmeligen Image. Dagegen versuchen ein Hollabrunner Fleischhauer und ein adeliger Wiener Journalist durch die Erfindung des Fürstls anzukämpfen, das aussieht wie ein Würstel, aber keines sein soll und im Hotel Panhans bereits mit Hummer und Lachsmedaillons serviert wurde. Der Witz, dass die Kantwurst in Königsberg erstmals gestrickt wurde, ist etwas abgebraucht; aber über die (seltene) Kafkawurst darf man noch rätseln: Hat sie ihr Vorbild in der „ganz schwarzen Wurst“, die der Robinson in Franz Kafkas „Amerika“ mit dem Dolch zerschneidet? Der Augenschein spricht dagegen: Sie ist meist eine Bosna (die wohl so heißt, weil den Österreichern einst alles Scharfe bosnisch schien), also eine Wurst im Weißbrot, aber mit einer Käsekrainer statt einer Bratwurst.

Ob es beim Fleischer in Bad Mitterndorf noch eine Conchitawurst gibt? Und was ist mit der „Attersee Klassik 9% Fett“, der 1993 in Schwanenstadt entwickelten, von Christian Ludwig Attersee bemalten Frischwurst? Die forcierte Kulturalisierung der Wurst könnte jedenfalls ein probates Mittel gegen ihren drohenden Rückzug sein: Auf dass sie noch lang nicht an ihren Enden ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2015)

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