Drogenkonsum light

Jörg Böckem und sein Ko-Autor, Henrik Jungaberle, erklären in ihrem Buch, wie man risikoarm und kontrolliert Drogen konsumiert.
Jörg Böckem und sein Ko-Autor, Henrik Jungaberle, erklären in ihrem Buch, wie man risikoarm und kontrolliert Drogen konsumiert.Die Presse
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Jörg Böckem hat als Ex-Junkie einen anderen Blick auf Sucht. Er glaubt, es gibt einen vernünftigen Umgang mit Drogen, und erklärt, wie er aussehen kann.

Ein Buch wie Ihres konterkariert jede „Say no to drugs“-Kampagne.

Jörg Böckem: Es ist ein anderer Standpunkt. Kampagnen, die auf Abstinenz zielen, haben in den letzten Jahrzehnten nur mäßig Erfolg gehabt. Dass psychoaktive Substanzen konsumiert werden, ist gesellschaftliche Realität, die sich durch das, was in den letzten Jahren versucht wurde, nicht merklich veränderte. Da es anscheinend viele Menschen gibt, die Rauscherfahrungen machen wollen, möchten mein Ko-Autor, Henrik Jungaberle, und ich diesen Menschen möglichst viel Wissen darüber vermitteln, was sie tun und wie sie die Erfahrung risikoarm machen können.


In einem Lexikonteil im Buch stehen aber auch Koffein und Heroin quasi gleichberechtigt nebeneinander.

In gewisser Weise ja. Wir wollen dadurch die Blickrichtung ändern. Die Festlegung auf legal und illegal ist rein willkürlich. Tabak, Alkohol und auch Kaffee haben eine psychoaktive Wirkung. Dafür wollen wir das Bewusstsein schärfen. Aber man sieht ja an aufgelisteten Risken und Nebenwirkungen, dass es Unterschiede gibt.

Sie meinen, an Kaffee stirbt man nicht.

In der Regel nicht. Und es gibt keine Kaffeejunkies, die Omas die Handtaschen rauben. Da die Substanz ein kleines Wirkungs- und Nebenwirkungsspektrum hat. Es gibt Leute, die koffeinabhängig sind, die Kopfschmerzen bekommen oder an Konzentrationsstörungen leiden. Aber sogar Kaffee kann man überdosieren und Vergiftungssymptome wie Herzrhythmusstörungen bekommen. Die Dämonisierung der illegalen Drogen ist ein Problem, aber auch die legalen werden zum Teil zu unkritisch gesehen.

Nur hat sich der Gesetzgeber bei vielen Verboten etwas gedacht und deswegen manche Drogen verboten.

Ich bezweifle, dass sich der Gesetzgeber dabei viel gedacht hat. Und wenn, muss man sich fragen, was. Alkohol ist in fast allen Ländern die Droge, die die größten Schäden verursacht, wirtschaftlich, gesellschaftlich und individuell. Es gibt eigentlich keinen Grund, Alkohol zu erlauben und Ecstasy, das ein relativ geringes Risiko und Schadenspotenzial hat, zu verbieten.

Alkohol kann man in Maßen genießen, man geht auf ein Bier. Bei Ecstasy geht das nicht.

Natürlich sind die Konsumformen unterschiedlich. Und natürlich ist die Wirkung bei einer Pille größer als bei einem Bier. Aber auch mit Ecstasy kann man einen sozial verträglichen Umgang haben. Es spricht nichts dagegen, ein paar Mal im Jahr eine Ecstasy-Pille zu nehmen. Und ja, man kann ein Bier trinken, aber es gibt auch viele Leute, die einen sehr ungesunden Umgang damit haben.

Aber warum sollten Nutzer von Ecstasy vernünftiger sein? Die Folgen wären außerdem viel dramatischer.

Nicht zwingend – Alkoholentzug kann tödlich sein. Wir möchten unseren Lesern vermitteln, wie sie größere Risken und Schäden vermeiden können. Bei meinen Recherchen habe ich festgestellt, dass viele junge Benutzer mit solchen Substanzen schon jetzt sehr reflektiert und bewusst umgehen. Natürlich gibt es auch immer Menschen, die Dinge unvernünftig einsetzen. Man kann niemanden zwingen, verantwortlich zu handeln. Je informierter man ist, desto besser kann man sich entscheiden, welchen Weg man einschlägt.

Sie sind für einen vernünftigen Umgang mit Drogen. Ist das nicht Verharmlosung?

Keine Substanz, die wir kennen, macht sofort süchtig. Was süchtig macht, ist ein bestimmter Umgang mit der Substanz. Kontrollierter Substanzkonsum ist nicht nur mit Kaffee möglich, auch wenn das für viele merkwürdig klingt. Mit manchen Substanzen ist das extrem schwierig, und ich würde nicht raten, es zu versuchen, etwa mit Heroin oder Crystal Meth. Umgekehrt ist natürlich jeder Substanzkonsum mit Risken verbunden. Wenn es gelingt, möglichst vielen Menschen diese Risken klar zu machen und ihnen zu helfen, diese so weit wie möglich zu reduzieren, ist schon viel erreicht. Im Buch wird ja auch geschildert, was alles schiefgehen kann.

Es ist trotz allem eine Ermunterung.

Nein, im Gegenteil, wir sagen deutlich, dass es eine vernünftige und verantwortliche Entscheidung ist, keine Substanzen zu nehmen. Aber manche Menschen treffen andere Entscheidungen, und diese nehmen wir auch ernst. Wir sagen, wer diese Erfahrung machen will, sollte sich vorher informieren, die für ihn passende Droge, den besten Zeitpunkt, das passende Umfeld und risikoarme Konsummuster kennen, um Schäden möglichst zu vermeiden. Wichtig ist auch, den Dialog herzustellen – in der Familie, in der Schule.

Das erfordert eine sehr aktive Rolle der Erziehungsberechtigten.

Drogenkonsum bei jungen Menschen ist auch für viele Erziehungsberechtigten ein Problem. Da kommen Ängste auf, die schwer zu handhaben sind. Es ist gut, miteinander in Kontakt zu treten. Es ist doch besser als Vater, zu wissen, was der Sohn macht. Wenn ich nur diffus ahne, dass er irgendwelche Drogen nimmt, schürt das Ängste und Misstrauen. Man muss eine Beziehung schaffen, in der Reden möglich ist.

Wenn Ihr Sohn sagt, er nimmt eine Substanz, werden Sie wohl nicht erfreut sein.

Erfreut vielleicht nicht. Aber wenn ich den Eindruck habe, er hat eine bewusste Entscheidung getroffen und ist in der Lage, das so zu machen, dass er nicht an die Wand fährt, ist das okay.

Sie haben eine Drogenvergangenheit. Wäre es nicht logischer zu sagen, ich will nicht, dass es meinem Sohn genauso geht?

Genau. Ich will, dass es niemandem so geht. Darum dieses Buch. Ich bin ja ein Kind der Prohibition, Aufklärung hieß Abschreckung. Es hieß, du nimmst Drogen, dann bist du tot. Mit diesem undifferenzierten Bild konnte ich nie etwas anfangen. Man kann keinem 14-Jährigen, der gerade die erste Erfahrung mit Kiffen gemacht hat und es total spannend findet, sagen, das bringt dich um. Er nimmt einen nicht ernst.

Und wie nimmt er einen ernst?

Man muss die Leute dort abholen, wo sie sind: Wenn du willst, dass das Tolle überwiegt, musst du einige Dinge beachten. Die Illegalität hat ja auch viel Leid entstehen lassen. Wir waren darauf beschränkt, mit Leuten zu reden, die wie wir waren – da bleibt man in ungesunden Handelsweisen gefangen. Wenn einige Menschen durch unser Buch einige der schrecklichen Erfahrungen, die ich gemacht habe, vermeiden können, bin ich froh.

Zur Person

Jörg Böckem, (* 1966), deutscher Journalist und Autor, war jahrelang von Heroin abhängig und litt auch an Hepatitis C. Seit 2001 ist er clean.
Das Buch: „High sein. Ein Aufklärungsbuch“, Jörg Böckem, Henrik Jungaberle, Rogner & Bernhard, 22,95 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.11.2015)

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