Leben retten, wenn das Herz stillsteht

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Mit 31 Jahren erlitt Petra Bauer einen Herzstillstand. Sie überlebte. Damit gehört sie zu einer Minderheit, denn die meisten Betroffenen sterben daran. Der Großteil aber könnte überleben, wenn Anwesende Erste Hilfe leisten würden.

Petra Bauer war 31 Jahre alt, als es passierte. „Ich habe gleich gespürt, da ist etwas Schlimmeres im Busch“, erinnert sich die Gesundheitstrainerin an diesen Sonntag im Mai 2002. Wie durch einen dichten Nebel hörte sie die verzweifelten Rufe ihrer damals erst siebenjährigen Tochter Lisa-Marie. „Mama, Mama, bitte, bitte, was soll ich tun?“ Dann verlor die junge Frau ihre Sinne. Herzstillstand.

Die Wienerin wachte im AKH Wien wieder auf. Dass sie heute noch lebt, hat sie nur einer lückenlosen Kette von Rettungsmaßnahmen zu verdanken: Die Tochter rief ihre Großeltern an, diese wiederum verständigten sofort einen Notarzt. Er war schnell da, begann mit der Herzmassage, setzte den Defibrillator ein. „Ich wurde neunmal defibrilliert, das ist ungewöhnlich oft. Aber weil ich noch so jung und ein kleines Kind da war, hat der Arzt Gottlob nicht aufgegeben“, erzählt Petra Bauer. Und haucht ein kaum hörbares „Danke“ hintennach.

Die meisten der rund 15.000 Österreicher, die jedes Jahr einen Herzstillstand erleiden, haben nicht dieses Glück wie Bauer: Nur etwa einer von zehn Betroffenen kann das Krankenhaus lebend verlassen. Es könnten sechs bis sieben sein, oder vielleicht sogar mehr. Wenn Anwesende den Betroffenen helfen, sie wieder ins Leben zurückholen würden. Das ist so einfach, um nicht zu sagen kinderleicht (siehe Bericht unten). Man muss sich nur trauen. Aber 70 bis 80 Prozent haben Angst, etwas falsch zu machen. Diese Sorge ist allerdings unbegründet.

„Mann man dabei absolut nichts falsch machen – falsch ist nur, nichts zu tun“, sagt Mario Krammel, Anästhesist an der medizinischen Universität Wien und geschäftsführender Präsident von Puls, dem Verein zur Bekämpfung des plötzlichen Herztodes. Tatsache ist: Der Rettungsdienst braucht in Wien bis zum Eintreffen durchschnittlich elf Minuten. Das ist zwar im Europa-Durchschnitt eine sehr gute Zeit, aber im Fall eines Herzstillstandes kann es zu spät sein. Bei einem leblosen Menschen nimmt die Überlebenswahrscheinlichkeit pro Minute um zehn Prozent ab. „Der Betroffene hat dann keine Chance mehr“, so Krammel.

Würden aber Laien bis zum Eintreffen der Rettung mit der Herzmassage beginnen, damit die Funktion des Herzens übernehmen und wieder Blut und Sauerstoff durch den Körper des Leblosen pumpen, könnten statt zehn 60 bis 70 Prozent der Opfer überleben – oder vielleicht sogar mehr. „Eine rasche Herzdruckmassage ist für den Betroffenen meist die einzige Chance. Ein Zuviel an Massage ist dabei nicht möglich, man kann dabei wirklich nichts falsch machen“, betont Krammel erneut.

Um die Angst vor lebensrettenden Maßnahmen zu nehmen, geht der Verein Puls mit Vertretern aller Rettungsorganisationen und Studenten der medizinischen Universität Wien auch in Schulen. „Mit dem Projekt ,Ich kann Leben retten‘ haben wir inzwischen mehr als 20.000 Mädchen und Buben in den Wiener Volksschulen erreicht“, erzählt Krammel. „Die Kinder sind mit Eifer dabei“, weiß Ronny Tekal, Arzt und Mitgründer des Vereins Puls. „Wie gesagt, reanimieren, also Leben retten, ist wirklich kinderleicht.“ Zusätzlich wurde auch Wiens Polizei kürzlich mit Defibrillatoren ausgestattet. Bei einem Kreislaufstillstand werden sie nun auch alarmiert und sind oft innerhalb von drei bis vier Minuten vor Ort.

Herz und Hirn nicht mehr durchblutet

Ein Herzstillstand ist immer ein plötzliches, unerwartetes Ereignis. Die Herzmuskelzellen beginnen, wie wild zu flimmern. „Das ist, wie wenn in einem Ruderboot drei nach vorn rudern wollen und drei nach hinten, da geht nichts weiter“, sagt Krammel. Das bedeutet Stillstand, weder Herz noch Hirn werden durchblutet. In 80 Prozent der Fälle von Kammerflimmern liegt ein kardialer Schaden vor, der Altersgipfel liegt beim plötzlichen Herztod bei 65 Jahren. Bei Jüngeren können genetische Probleme die Ursache sein, die man davor unter Umständen weder bemerkt noch in etwaigen Untersuchungen erkannt hat. Tekal: „Wenn in einer Familie jemand in jüngeren Jahren einen Herzstillstand erlitten hat, sollte man als Blutsverwandter daran denken und sich vorsorglich untersuchen lassen.“ Ein möglicher Auslöser für einen Kreislaufstillstand ist auch eine übergangene Herzmuskelentzündung. Immer wieder betreiben Betroffene mit leichtem Fieber oder zu früh nach einer überstandenen Grippe Sport, holen sich so eine Herzmuskelentzündung.

Petra Bauer sagt, dass bei ihr die Neigung zu Thrombosen sowie die Tatsache, dass sie geraucht und die Pille genommen hatte, auch Schuld am Herzstillstand gewesen sein könnten. Als Folge ihres Erlebnisses hat sie mit dem Rauchen aufgehört. Weitere Möglichkeiten der Prävention: Risikofaktoren behandeln bzw. beseitigen, dazu gehören Bluthochdruck, Diabetes, hohes Cholesterin. Sport sollte in vernünftigen Maßen betrieben werden. „Leistungs- oder Hobbysportler, die einen Marathon laufen wollen, sollten sich einem ausführlichen Gesundheitscheck unterziehen“, raten Ärzte. Riskante Sportarten sind neben Marathonlauf auch Kampfsportarten oder Fußball. Mitunter sendet der Körper auch Signale, die da sind: Schwindel, Herzstolpern, Herzrasen, Schmerzen in der Brust, die in den Arm ausstrahlen können.

Wahrnehmung im Koma

Auch Petra Bauer verspürte an jenem verhängnisvollen Sonntag ein Brennen in der Brust und ein Ziehen im linken Arm, ehe sie das Bewusstsein verlor. Sie wurde mit dem Hubschrauber ins AKH geflogen, dort in künstlichen Tiefschlaf versetzt und nach vier Tagen wieder geweckt. „Ich konnte mich an Etliches erinnern, was meine Tochter, meine Eltern und meine Schwestern zu mir gesagt hatten, als ich im Tiefschlaf lag.“ Auch an einige Lieder, die ihr ihr Neffe über Kopfhörer vorgespielt hatte, erinnerte sich die heute 44-Jährige. „Man bekommt im künstlichen Tiefschlaf oder Koma mehr mit, als manche glauben wollen. Ich denke, dass es in solchen Fällen unheimlich wichtig ist, dass Menschen da sind, dass man spürt, dass man geliebt wird, dass man wieder ins Leben zurückgeholt wird.“ Das „zweite Leben“ genießt die schlanke Wienerin. Sie versucht seither, jeden Augenblick bewusst wahrzunehmen, „denn man weiß wirklich nie, wann es so weit ist.“

Der Verein

Puls,der Verein zur Bekämpfung des plötzlichen Herztodes, will aufzeigen, dass Hilfeleistung bei Herzstillstand kinderleicht ist und man dabei nichts falsch machen kann. Der einzige Fehler ist, nichts zu tun.
www.puls.or.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2015)

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