Wer schützt die Kinder?

Schwangere Frau
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Österreich hat seit Jahresbeginn ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz. Wichtige Fragen wurden in der kurzen Debatte nicht gestellt.

Es hat sich ein „common sense“ beim Thema Fortpflanzungsmedizin ausgebildet, so heißt es in einem Handbuch zum neuen Gesetz, das seit Jahresbeginn die Eizellenspende, die Präimplantationsdiagnostik (PID) und die Samenspende ohne medizinische Indikation erlaubt. Aber was ist mit „common sense“ gemeint? Dass alles erlaubt sein soll, was technisch machbar ist? Dass sich ethische Normen an die Realitäten anpassen und nicht umgekehrt? Dass wir den Kinderrechten nicht die große Bedeutung zugestehen wie dem Recht auf Familiengründung, das zunehmend als Anspruchsrecht auf künstliche Hilfen auch ohne medizinische Indikation gesehen wird?

Das Recht auf ein Kind wird eingefordert, der Kinderwunsch sei absolut zu respektieren. Die Art der Umsetzung darf nicht mehr hinterfragt werden. Das zeigt eine Unkenntnis der Menschenrechte, denn nur wenige Rechte sind absolut, etwa das Folterverbot. Bei vielen Rechten gilt jedoch das Prinzip, dass die Freiheit des einen dort endet, wo die Freiheit des anderen gefährdet ist. Wo Grenzen zu ziehen sind, ist eine mühsame Abwägung, die man sich erspart, wenn man absolute Anspruchshaltungen vor sich herträgt.


Kinderrechte im Hintergrund. Ethische Normen werden aus dem Weg geräumt, weil sie dem Fortschritt und Kapitalismus zur Profitmaximierung hinderlich sind. Deshalb rücken Kinderrechte in den Hintergrund, und den Rechten der Erwachsenen, den Kunden der Medizin, wird der Vorzug gegeben. Das Kindeswohl muss bei jedem Gesetz vorrangig geprüft werden. Doch wir haben keine Studien über psychische und medizinische Langzeitfolgen für Kinder, mahnt das Institut für Technikfolgenabschätzung. Der Schweizer Kardiologe Urs Scherrer hat bei zwölfjährigen IVF-Kindern erhöhten Blutdruck und eine verdickte Herzschlagader festgestellt. Bis jetzt erhält er kein Geld für umfassende Forschung dazu. Die IVF bewirkt hohe Frühgeburten- und Mehrlingsraten, auf Kosten der Gesundheit von Kindern. Das Recht auf Wissen bezüglich der eigenen Entstehung ist zwar gesetzlich garantiert, doch kein Amt kümmert sich darum, dass es in der Praxis gilt: Jugendliche sind auf das Wohlwollen von Kliniken angewiesen, um Einsicht in die Daten zu erhalten. Ein zentrales Spenderregister existiert nicht. Anonyme Keimzellenspenden, die auch im Internet zu bestellen sind, sind kinderrechtswidrig, ebenso die kommerzielle Leihmutterschaft: Im Artikel 35 der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) heißt es, dass Kinder ein Recht haben, nicht gegen Geld gehandelt zu werden. Es widerspricht der Norm, wenn Leihmütter erst dann bezahlt werden, wenn sie ein Kind liefern. Die Konvention haben fast alle Staaten anerkannt. Kein Mensch soll eine Ware sein, jeder Mensch hat eine Würde und keinen Preis.


Optimierungswahn. Die Reproduktionsmedizin ist eine wichtige Hilfe für unfruchtbare Paare, aber auch Symptom der Kommerzialisierung aller Lebensbereiche und des Optimierungswahns. Der Siegeszug der Technologie wird begleitet von liberalen Gesetzen, beschönigenden, medialen Darstellungen und Studien, die zur eigenen Auffassung passen. Gekleidet wird dieses Schauspiel in hehre Begriffe wie Freiheit und Gleichheit. Doch wie glaubwürdig leben wir diese Werte, wie sehr beanspruchen wir unsere Freiheit und Gleichheit auf Kosten von anderen? Dass die Näherin in Bangladesch für ihre Arbeit einen Pappenstiel bekommt, blenden wir lieber aus. Genauso wenig interessiert uns die Lebenssituation der Leihmütter und Spenderinnen in ärmeren Ländern. Wir reden uns ein, diese Frauen würden das vor allem aus Altruismus tun. Das passt wunderbar in unser Bild von einer Frau, die sich gerne für andere aufopfert. Sie würden autonom und selbstbestimmt eine Arbeit verrichten, es sei hier fair trade möglich. Wie kann man nur so naiv der Kommerzialisierung des Frauenkörpers das Wort reden und bei einer Schwangerschaft und Geburt von Arbeit sprechen? Ist das Kind das Produkt dieser Arbeit, das man bei Unzufriedenheit zurücklassen oder umtauschen kann? Selbst wenn es fair gehandelte Babys geben soll, sind es gehandelte Babys. Kinderhandel ist aber verboten.


Wo bleibt die Autonomie? Gerne wird darauf verwiesen, dass auch Prostituierte oder Models ihren Körper verkaufen. Das Kind wird bei diesem Vergleich aber ausgeblendet. Und wie soll eine Leihmutter wie eine Prostituierte – wenn sie Glück hat – autonom agieren können? Sie braucht die Ärzte dafür, und eine Schwangerschaft an sich schließt ein hohes Maß an Fremdbestimmung ein – etwa bei Verträgen voller Kontroll- und Eingriffsmöglichkeiten der Ärzte und Paare. Wie kann man von Autonomie reden, wenn sich vor allem ärmere Frauen zur Verfügung stellen? Wieso wählen die Redeführerinnen nicht selbst diese so gute Arbeit? Die Frauen, oft Alleinerzieherinnen oder Studentinnen, brauchen Geld, für ihre Ausbildung, ihre Kinder. Hätten sie andere, menschenwürdigere Optionen, würden sie diese wohl eher wählen. Leihmütter und Eizellenspenderinnen sind aber nicht immer Opfer, viele machen ihre Fruchtbarkeit und Gebärfähigkeit zu Geld. Dennoch sind nicht sie die großen Profiteurinnen, sondern die Kliniken und Vermittler.

Es geht nicht darum, grundsätzlich gegen medizinische Methoden zu sein, doch hier wird eine Wunschmedizin forciert. Die Gesellschaft entledigt sich sämtlicher Verbote, es regiert das „entgrenzte Können“, schreibt der Philosoph Byung-Chul Han. Die Freiheit des Könnens habe aber einen Preis: Es erzeugt neue Zwänge. Dass Freiheit erst in einem Rahmen entsteht, der veränderbar sein kann, aber auch Grenzen haben muss, gerät aus dem Blickwinkel.


Ethik, lästiges Beiwerk. Der „common sense“ ist offenbar, dass weiterhin liberalisiert werden soll, im Namen eines fragwürdigen Freiheitsbegriffs. Das zeigen aktuelle Beratungen des Europarats und der Haager Konferenz für Privatrecht zur Leihmutterschaft. Die Öffentlichkeit wird ausgespart, es soll alles international geregelt werden. Wir müssten viele Verbote abschaffen, wenn so argumentiert wird. Gehört werden nicht Leihmütter, Spenderinnen, Kinderärzte oder Psychologen, sondern Juristen und Reproduktionsmediziner wie Petra De Sutter, eine deklarierte Befürworterin – und Profiteurin. Die Ethik ist lästiges Beiwerk, nüchterner Pragmatismus ist schließlich das neue Ideal. Die hehren Werte der Liberalen werden missbraucht für eine große Entgrenzung, für Konsum und Profit. Diese „Werte“ vermitteln wir auch.

Autorin

Eva Maria Bachinger, geb. 1973, nach Aufenthalten in Israel und Italien lebt und arbeitet die Journalistin und Autorin in Wien. Kürzlich ist ihr neues Buch: „Kind auf Bestellung, Plädoyer für klare Grenzen“ im Deuticke-Verlag erschienen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2015)

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