Fieber und Halsweh: Wohin mit dem kranken Kind?

(c) Bilderbox
  • Drucken

Das Kind wird plötzlich krank, die Arbeit wartet: Die Pflege akut erkrankter Kinder wird für berufstätige Eltern oft zur Herausforderung. Wer nicht zu Hause bleiben kann, ist oft auf fremde Hilfe angewiesen.

„Polizai“ hat Nils auf einen Zettel geschrieben und auf die Tür seines Zimmers gehängt. Drinnen spielt er allerdings nicht Polizei, sondern baut an seinem Playmobil-Flugzeug weiter. Nils ist seit ein paar Tagen krank, eine Verkühlung mit Husten, und die Frau, die da mit ihm auf dem bunten Teppich an dem Flugzeug baut, ist nicht seine Mutter, sondern die mobile Betreuerin Ivana Pickl, die sich tagsüber um den Fünfjährigen kümmert, solange seine Mutter in der Arbeit ist.

Pickl ist eine von elf Betreuerinnen, die beim sozialen Dienstleistungsunternehmen Sozial Global in Wien beschäftigt ist und kurzfristig einspringt, wenn ein krankes Kind versorgt werden muss und die Eltern nicht bei ihm daheim bleiben können. Nils' Mutter, Cornelia Nalepka, greift schon seit drei Jahren auf das Kinderbetreuung-daheim-Angebot von Sozial Global zurück, „denn Kinder werden meist unangekündigt krank“, sagt sie.

Zwar hat die Alleinerzieherin, die als Direktionsassistentin an einem Forschungsinstitut arbeitet, wie alle Angestellten Anspruch auf Pflegeurlaub. Allerdings, sagt sie, „gibt es Tage, da kann man einfach nicht in der Arbeit fernbleiben.“ Ihre Eltern leben nicht in Wien, weswegen sie, wenn ihr Sohn krank wird, oft auf fremde Hilfe – die nach drei Jahren so fremd nicht mehr ist – angewiesen ist.
In Nalepkas Lage sind Eltern, egal, ob alleinerziehend oder nicht, immer wieder: Das Kind geht abends scheinbar gesund schlafen und wacht morgens krank auf, man selbst müsste dringend in die Arbeit, auf die Uni, sein Geschäft aufsperren, aber das Kind hat Fieber und kann unmöglich in die Schule oder den Kindergarten gehen.

Es ist morgens, man hat wenig Zeit sich zu entscheiden und zu organisieren: Wer bleibt beim Kind daheim? Wer kann am ehesten Termine verschieben? Kann die Oma, sofern sie – was vielfach nicht der Fall ist – in der Nähe wohnt, kurzfristig kommen? Oder hat die Babysitterin Zeit und wenn ja, wie lang? Häufig wird die Organisation, die immer spontan und unter Zeitdruck läuft, ein Spießrutenlauf für Eltern. In der Firma Bescheid sagen, Aufgaben delegieren, Telefonate, E-Mails, dazwischen Tee für das Kind kochen, das eine Geschichte vorgelesen haben will. Denn natürlich möchte man auch für sein Kind da sein, gerade jetzt, da es nicht gesund ist.

Das schlechte Gewissen. Egal, wie man sich entscheidet, das schlechte Gewissen lässt sich oft nicht ganz abschütteln. Geht man in die Arbeit, begleitet einen die Frage, ob es dem Kind daheim wohl gut geht, durch den Arbeitstag. Bleibt man zu Hause, um seine Tochter oder seinen Sohn zu pflegen, macht man sich oft ebenso Vorwürfe: Bin ich eine schlechte, weil unverlässliche Mitarbeiterin, die ihre Arbeit im Stich lässt, Termine absagt, Präsentationen ausfallen lässt?

Bedenken wie diese mögen viele Eltern teilen, rein rechtlich allerdings ist die Lage klar: Jeder und jede Angestellte hat Anspruch auf Pflegefreistellung, die zwar im Volksmund Pflegeurlaub heißt, tatsächlich aber mit dem Urlaubsanspruch nichts zu tun hat, also auch nicht von den Urlaubstagen abgezogen wird. (Selbstständige oder Studierende mit Kindern haben es noch einmal schwieriger, weil sie nicht auf die – für Angestellte – bezahlte Pflegefreistellung zurückgreifen können.)

Eine Woche Pflegeurlaub steht Angestellten zu, um sich um kranke nahe Angehörige – dazu zählen auch Eltern oder das Kind des Partners aus einer früheren Beziehung – zu kümmern. Sofern, das ist entscheidend, man mit dem kranken Angehörigen in einem Haushalt lebt. Eine berufstätige Großmutter kann also keinen Pflegeurlaub in Anspruch nehmen, wenn ihr Enkel krank ist, außer sie leben im selben Haushalt, was eher selten der Fall ist.

Hat man ein Kind (oder mehrere) unter zwölf Jahren, hat man zusätzlich Anspruch auf eine weitere Woche Pflegeurlaub: Zwei Wochen maximum also, unabhängig davon, wie viele Kinder man hat. Diese beiden Wochen dürfen aber, sagt Irene Holzbauer, Arbeitsrechtsexpertin der Arbeiterkammer Wien, nicht hintereinander konsumiert werden, auch wenn es nicht selten passiert, dass zuerst ein Kind krank wird und sich dann das Geschwisterkind ansteckt, man also durchaus länger zu Hause sein müsste. Die gesetzliche Regelung sei trotzdem fair. „Hintergrund des Gesetzes ist, dass der Arbeitnehmer auf überraschende Situationen reagieren kann, es aber in einer Woche schaffen muss, für eine andere Betreuung des Kindes zu sorgen.“

Frauensache. Seit 2013 haben auch Elternteile, die nach einer Trennung oder Scheidung nicht mehr mit dem Kind im selben Haushalt leben, ebenfalls Anspruch auf Pflegefreistellung. Eine Gesetzesänderung, für die sich die Arbeiterkammer starkgemacht hat und mit der sie nach wie vor zufrieden ist, da sie Männer und Frauen auch nach Trennungen gleichstellt – oder in Sachen Pflegeurlaub-Aufteilung gleichermaßen in die Pflicht nimmt.

Zumindest in der Theorie. In der Praxis ist es, sagt Arbeitsrechtsexpertin Holzbauer, nach wie vor so, „dass die Betreuung kranker Kinder immer noch Frauensache ist, während Männer das eher selten in Anspruch nehmen.“ Und tun sie es doch, werden Männer manchmal mit schiefen Blicken oder Kommentaren à la „Kann das nicht deine Frau machen?“ konfrontiert. (Was wiederum, sagt Holzbauer, ein klarer Fall von Diskriminierung aufgrund des Familienstandes ist.)

Wichtig ist es, den Antritt der Pflegefreistellung dem Arbeitgeber sofort zu melden. Ob die mündliche Auskunft, dass das Kind krank ist, ausreicht oder man eine ärztliche Bestätigung vorlegen muss, ist rechtlich nicht geregelt, sondern jedem Unternehmer überlassen. Verlangt der Arzt für die Bestätigung eine Gebühr, muss die der Arbeitgeber übernehmen.

Auch wenn man die – bei beiden Elternteilen maximal vier Wochen – Pflegeurlaub ausnützt, kann es doch passieren, dass sie nicht ausreichen. In diesem Fall hat man das Recht, sofort Urlaub zu nehmen (sofern man noch Urlaubstage offen hat.). Oder man versucht – und Respekt jedem, dem das neben kranken Kindern gelingt – von zu Hause zu arbeiten (wenn die Firma das zulässt). Oder greift auf eine mobile Betreuerin wie etwa von Sozial Global (hier sind nur Frauen in der Kinderbetreuung beschäftigt) zurück.

Aber kann man das seinem kranken Kind überhaupt zumuten, eine fremde Frau, die plötzlich dasteht und sich mit ihm beschäftigt? Diese Bedenken, sagt Katrin Riedl, die die Kinderbetreuung daheim leitet, „hat es von Anfang an, seit 1985, gegeben. In der Praxis haben sich diese Sorgen aber nie bestätigt.“ Zum einen, weil die Mitarbeiterinnen – die Lehrerinnen oder Kindergartenassistenten sind oder ähnliche Ausbildungen haben – speziell geschult und erfahren sind. „Eine Kollegin etwa hat eine Handpuppe mit dabei, das klappt besonders bei jüngeren Kindern gut.“ Zum anderen, weil, wie Doris Semotan, Vorstand bei Sozial Global vermutet, „die Eltern, deren Kinder eine fremde Betreuungsperson nicht annehmen würden, vermutlich gar nicht bei uns anrufen. Eltern können ihre Kinder da gut einschätzen.“ Natürlich sei es, sagt Semotan, „immer eine sensible Geschichte, ein krankes Kind einer fremden Person anzuvertrauen. Aber die Familien, die uns kennen, buchen uns immer wieder.“ Und: Ist ein Kind schwer krank, „werden wir nicht gebucht. Uns rufen die Eltern an, wenn die Kinder auf dem Weg der Besserung sind, aber noch nicht in den Kindergarten können.“

Sozial gestaffelt. Beim ersten Telefonat sei eine gewisse Sorge der Eltern oft spürbar, in der Praxis gibt es keine Probleme. „Es hat noch jede Kollegin einen guten Zugang zu den Kindern gefunden.“ Die Betreuerin kommt, sofern man frühmorgens anruft, bei Bedarf noch am selben Tag. Die Tarife von Kinderbetreuung daheim – das vom Fonds Soziales Wien gefördert wird – sind nach Haushaltseinkommen gestaffelt: Beträgt dieses mehr als 3000 Euro netto, zahlt man 21,50 Euro pro Stunde. Die meisten Familien zahlen aber nur 2,50 bis 5,50 Euro pro Stunde, viele davon Alleinerzieherinnen.

Die Betreuerinnen kommen für mindestens fünf und maximal neun Stunden pro Tag. Je nach Krankheitsgrad wird gespielt, gebastelt, vorgelesen, aber auch für das Kind gekocht. Bucht man regelmäßig, wird eine bereits vertraute Betreuerin geschickt. Zu Nils kommen etwa immer dieselben drei Frauen. „Wir haben nur gute Erfahrungen gemacht“, sagt seine Mutter. „Sie gehen sehr auf ihn ein.“

Auf einen Blick

Betreuung daheim

Sozial Global bietet in Wien Kinderbetreuung daheim – und das auch sehr kurzfristig. Wer zwischen 6.30 und 8 Uhr anruft, kann eine Betreuerin noch für denselben Tag buchen. Mindestdauer: fünf Stunden. Buchung erfolgt nur telefonisch unter 01/58 9 58/2210. www.sozial-global.at

Der Verein Kib vermittelt u. a. „Notfallmamas“ in mehreren Bundesländern, die zum kranken Kind nach Hause kommen. Infos: www.kib.or.at

Moki (Mobile Kinderpflege) wiederum unterstützt in mehreren Bundesländern Eltern bei der Pflege chronisch oder schwer kranker Kinder im eigenen Zuhause, aber auch bei Neugeborenen oder zu früh geborenen Babys. www.moki.at

Zahlen

388 Familien hat Sozial Global im Vorjahr bei der Betreuung kranker Kinder in ihrem Zuhause unterstützt.

18 Monate müssen die Kinder mindestens alt sein, und maximal 12 Jahre. Kranke Kinder werden nur betreut, wenn beide Eltern nicht zu Hause sind – und maximal neun Stunden pro Tag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Gesundheit

Wann ist das Kind wieder gesund?

Die Grauzone zwischen Noch-krank- und Wieder-gesund-Sein macht Eltern zu schaffen. Manchmal verlangen Kindergärten ein Attest des Arztes.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.