Medikamente, die uns zu Fall bringen können

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Eine Reihe von Arzneien, auch Antibiotika, kann die Gefahr eines Sturzes erhöhen. Das Wissen um die sogenannten Fall Risk Inducing Drugs (Frids) ist bei Laien kaum vorhanden. Aber auch Ärzte denken zu selten daran.

Das Wort Sturzmedikament ist wohl den wenigsten Menschen geläufig. Noch weniger der Fachbegriff Fall Risk Inducing Drugs, kurz Frids. Dennoch gibt es eine Reihe von Arzneien, die die Gefahr eines Sturzes erhöht, auch gewisse Antibiotika fallen darunter. Die Pharmazeutin Elisabeth Kretschmer sagt: „Ein gesteigertes Risiko durch Frids haben prinzipiell alle Menschen, ältere aber sind besonders gefährdet.“

Aber woher kommt die Sturzgefahr? Diverse zentral wirksame Substanzen, insbesondere solche mit sedierender und anticholinerger Wirkung, können Schwindel und Gangstörungen verursachen und damit die Sturzgefahr erhöhen. Dazu zählen unter anderem Antidepressiva, Neuroleptika und Antipsychotika. Empfehlungen der Gerontopsychiatrie zufolge sollten älteren Patienten niemals gleichzeitig zwei Antipsychotika gegeben werden, in der Praxis sieht das leider anders aus.

Gefahren gehen auch von den häufig eingenommenen Medikamenten gegen Schlafstörungen aus. Werden sie in der Nacht nicht abgebaut, setzt sich ihre Wirkung am Folgemorgen fort, schläfrig und benommen sind Betroffene stark sturzgefährdet. Auch Beruhigungsmittel sind hier einzuordnen. Studien haben gezeigt: Menschen, die Beruhigungsmittel aus der Wirkstoffgruppe Benzodiazepin nehmen, stürzen dreimal so häufig wie ohne diese Medikamente. Aber selbst leichte Beruhigungs- und Schlafmittel können die Sturzgefahr immerhin noch um rund 40 Prozent steigern, ergab eine Untersuchung des Karolinska-Instituts in Stockholm.

Etliche Schmerzmittel zählen ebenfalls zu den Frids (etwa Opioide oder die sehr häufig verschriebenen nicht steroidalen Antirheumatika). Andere Präparate wiederum – zum Beispiel Mittel gegen Bluthochdruck (wie ACE-Hemmer, Diuretika, Kalziumantagonisten) oder Abführmittel – können den Elektrolythaushalt beeinflussen, zu Gangunsicherheit und damit zu erhöhter Sturzgefahr führen. „Diuretika beispielsweise erhöhen die Ausschwemmung von Natrium. Verliert man aber zu viel Natrium, führt das zum Beispiel zu Konzentrationsstörungen, Muskelschwäche und Schwindelattacken“, sagt Kretschmer. Bestimmte Antibiotika wiederum können Herzrhythmusstörungen verursachen und diese wiederum die Sturzgefahr steigern.

Mittel gegen Schwindel führen zu Schwindel

Paradoxerweise können auch Antivertiginosa (Arzneimittel zur Behandlung von Schwindel) neben negativen Auswirkungen auf die Kognition zum Symptom Schwindel beitragen. „Vor allem im Alter sollten sie daher nur sehr sorgsam und bedacht eingesetzt werden“, sagt Kretschmer. Prinzipiell, so die Expertin, reagieren ältere Menschen (und gerade sie schlucken oft acht Medikamente und mehr täglich) auf Medikamente und deren Nebenwirkungen viel sensibler; dies auch, weil ihre Organe nicht mehr so gut funktionieren.

Polypharmazie vermeiden

Vergessen darf man keinesfalls, dass bei Polypharmazie – so nennt man die regelmäßige Einnahme von mehr als fünf Medikamenten pro Tag – das Sturzrisiko erheblich erhöht sein kann. Wenn das eine Arzneimittel sediert, das zweite die Muskelspannung vermindert, ein drittes den Blutdruck plötzlich absinken lässt und ein viertes den Elektrolythaushalt durcheinanderbringt, ist ein Sturz fast programmiert.

„Man darf dabei freilich nie außer Acht lassen, dass Medikamente nicht nur Fluch, sondern vielfach auch Segen sind. Sie sind für die höhere Lebenserwartung mitverantwortlich und mitunter überhaupt lebensnotwendig“, betont Kretschmer. Man müsse im Einzelfall abwägen und unter Umständen die Dosis reduzieren oder kontrollieren, ob wirklich alle Medikamente notwendig sind und man nicht das eine oder andere absetzen kann. Eine deutsche Interventionsstudie hat nachgewiesen, dass sich beispielsweise durch Dosisreduktion und ausschleichendes Absetzen psychotroper Medikamente (vor allem Benzodiazepine, Antidepressiva und Neuroleptika) die Sturzrate um bis zu 66 Prozent verringern lässt. Auch die Supplementierung mit Vitamin D kann das Sturzrisiko bei älteren Menschen signifikant verringern.

Ein gemeinsames Medikationsmanagement von Arzt und Apotheker kann also durchaus die gute Seite der Arzneimittel verstärken und ihre Nebenwirkungen eindämmen. Auch Elga wird sich wahrscheinlich als Beitrag zur höheren Medikamentensicherheit erweisen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2016)

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